Innovationsmuster in der österreichischen Wirtschaftsgeschichte

Innovationsmuster in der österreichischen Wirtschaftsgeschichte

Organisatoren
Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, Wien
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
01.08.2002 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Rupert Pichler

Innovationskapazitäten gelten heute als entscheidende Determinante für die Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften. Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung und rückläufiges Wachstum werden daher zunehmend mit der Rolle von Innovation und technologischem Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft in Zusammenhang gebracht, in historischer Perspektive ist dieser Ansatz aber nicht neu.

Das Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte veranstaltete daher gemeinsam mit dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie einen Workshop, bei dem es darum ging, den aktuellen österreichischen forschungs- und technologiepolitischen Rückständigkeitsdiskurs in einen historischen Kontext zu stellen. Das Ziel sollte sein, ein besseres Verständnis für Ursachen und Wirkungsweisen einiger Spezifika des österreichischen Innovationssystems zu erreichen.

Daher wurde die Tagung mit zwei Referaten eingeleitet, die die ökonomischen Strukturbedingungen der späten Habsburgermonarchie und des heutigen Österreich einander gegenüberstellten. Max-Stephan Schulze (London School of Economics) unterstrich mit neuen Analysen die Dynamik der letzten Jahrzehnte der Habsburgermonarchie, gekennzeichnet durch beträchtlichen Strukturwandel und Steigerungen der Arbeitsproduktivität, jedoch sich nur langsam beschleunigendes Wachstum. Michael Peneder (Österreichisches Wirtschaftsforschungsinstitut) näherte sich dem umgekehrten Paradoxon der jüngsten Vergangenheit, nämlich positive wirtschaftliche Gesamtperformance bei geringem Strukturwandel mit - daraus abgeleitet - eher pessimistischer Zukunftsperspektive Diese Gegenüberstellung der Situation um die beiden Jahrhundertwenden - erheblicher Strukturwandel und beginnende Wachstumsdynamik bzw. mangelnder Strukturwandel und u.U. abflachende Wachstumsdynamik - war vielleicht eine der interessantesten Entdeckungen im Verlauf des Workshops.

Wegen des interdiziplinären Charakters der Veranstaltung und der Neuartigkeit des gesamten Forschungsthemas folgte ein bewusst breit angelegter methodischer Block, der gemeinsame Interessen von Geschichts- und Wirtschaftswissenschaften aufzeigen sollten. Reinhold Hofer (Wirtschaftsuniversität Wien), Wolfgang Polt und Helmut Gassler (Joanneum Research Wien/Graz) gingen auf die Möglichkeiten evolutionärer Theorieansätze in der Ökonomie ein, die Struktur- und Systementwicklungen wesentlich breiteren Raum geben als die Neoklassik und sich damit auch einer historischen Perspektive öffnen. Wolfgang Neurath (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit) stellte die Möglichkeiten der Netzwerkanalyse vor, die Untersuchungen über die in ihrer Aussagekraft eher beschränkten, reinen Wachstumsparameter hinaus erlaubt. Ob das zuvor konstatierte Paradoxon mit zur Herausbildung der Austrian Economics beigetragen haben könnte, wurde von Hardy Hanappi (Technische Universität Wien) an Hand von Alois Schumpeter untersucht. Hanappi unterstrich dabei die Bedeutung der Schumpeterschen Tradition für die moderne innovationspolitische Praxis. Irene Bandhauer-Schöffmann (Universität Klagenfurt) stellte dem die problematische geschlechtsspezifische Konstruktion des so nachhaltig wirksamen Unternehmerbegriffs Schumpeters gegenüber.

In den beiden folgenden Blöcken wurden zu einzelnen Themen Forschungsergebnisse vorgestellt, die einen Eindruck vom gegenwärtigen Forschungsstand gaben und Möglichkeiten wie Bedarf für zukünftige Forschungen aufzeigten. Andreas Resch (Wirtschaftsuniversität Wien) berührte mit seinem Vortrag über die Rolle der Industriekartelle zwei in der Forschungs- und Technologiepolitik besonders wichtige Punkte, nämlich die eher wettbewerbsabgeneigte Tradition in der österreichischen Wirtschaftsgeschichte und die heute massive Kooperationslogik politischer Maßnahmen. Um die Folgen für Innovationsneigung (und die dafür notwendige Vielfalt) generell beurteilen zu können, scheint es aber noch zu früh zu sein. Michael Pammer (Universität Linz) befasste sich mit der Entwicklung innovativer Kapitalmarktinstrumente, die zu den Voraussetzungen einer positiven Wachstumsentwicklung gehörten. Anschließend machte Wolfgang Meixner (Universität Innsbruck) einen Schritt in die jüngere Vergangenheit mit einem Referat über innerbetriebliche Innovation in enteigneten österreichischen Industriebetrieben während der NS-Zeit. Auch hier zeigte sich zunächst kein einheitliches Muster, wohl aber, dass Inovation und Technologieentwicklung zu den bestimmenden Faktoren für die Performance der betreffenden Betriebe vor und nach 1945 gehörten. Karl-Heinz Leitner (Austrian Research Centers Seibersdorf) spannte den Bogen wieder in die Gegenwart und beichtete von einem Projekt mit 50 Fallstudien über innovative Unternehmen in Österreich. Dabei wurde das häufig zufällige und immer wieder "unakademische" Zustandekommen von später durchschlagenden Innovationen deutlich, ebenso wie das Gewicht von Nachfragefunktionen. Hubert Weitensfelder (Technisches Museum Wien) ging dann auf das Klischee des verkannten österreichischen Erfinders ein und relativierte die ökonomische und institutionelle Aussagekraft dieses Stereotyps. Peter Eigner (Universität Wien) ergänzte diesen Befund mit einem faszinierenden Beitrag über den Erfinder des Spieles "Typ Dom", einer Art Scrabble-Vorläufer.

Unbestritten ist, dass für innovatives Verhalten angesichts unsicheren Erfolgs regulatorische Rahmenbedingungen besonders wichtig sind. Daher setzte sich der letzte Tagungsblock mit der Rolle staatlicher Institutionen auseinander. Eine für technische Erfindungen und Innovationen entscheidende staatliche Eingriffsmöglichkeit stellte das Patentrecht dar. Juliane Mikoletzky (Technische Universität Wien) präsentierte die Geschichte der Privilegiengesetzgebung und zeigte, wie dadurch auch stimulierende Rückwirkungen auf Ausbildung und Forschung erzeugt wurden. Noch direkter trat staatliches Handeln durch die Steuerung der schon angesprochenen Nachfragefunktion auf. Günter Dinhobl (Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung) widmete sich diesbezüglich der Geschichte der Semmeringbahn, deren Entstehung von einem technischen Systemstreit geprägt war. Gegen den Ingenieur-Verein entschieden sich die Staatseisenbahnen für eine innovative Lösung, weil sie eine durchgehende Adhäsionsbahn verlangten. Wo der Staat nicht selbst Nachfrager war, konnte er die Nachfrage nach innovativen Produkten mit der Preisbeeinflussung durch Zölle steuern. Rupert Pichler (Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie) untersuchte, welche Rolle industrielle Innovationspotenziale in den Zolltarifdebatten um die Wende zum 20. Jahrhundert spielten. Hier wurde vor allem eine Tradition relativer Benachteiligung technologisch fortgeschrittener Produktionsstufen im Wirken staatlicher und privater Institutionen sichtbar. Allerdings spielten Forschung und Innovation explizit als relevante Größenordnungen für wirtschaftspolitische Maßnahmen zu dieser Zeit noch keine Rolle. Michael Stampfer (Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds) analysierte dann die Entstehung der beiden ersten, 1967 geschaffenen Fördereinrichtungen des Bundes zur Forschungsförderung. Anhand des Gesetzgebungsverfahrens wurde klar, dass es sich bei der Gründung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und des Forschungsförderungsfonds für die gewerbliche Wirtschaft um einen relativ markanten, damals zukunftsorientierten Schritt ohne erfundene oder wahrgenommene Traditionen handelte, die sich erst in der Folge herausbilden sollten.

Insgesamt bot die Tagung ein spannendes und ihrerseits innovatives Diskussionsklima, weil hier Personen aufeinander trafen, die in ihrem gewohnten beruflichen Umfeld einander normalerweise nicht begegnen würden. Gleichzeitig wurden neue Ideen entwickelt, die nach Möglichkeit bei einer follow-up-Veranstaltung weiterverfolgt werden sollen. Die Ergebnisse der vergangenen Tagung werden als Tagungsband publiziert und 2003 beim Studien-Verlag in Innsbruck erscheinen.