Historikertag 2008: Geschichtsdidaktik

Von
Urte Kocka, Freie Universität Berlin

Besprochene Sektionen

"Kompetenzorientierung im Geschichtsunterricht"
"Nachhaltiger Geschichtsunterricht in der Sek. I und II"
"Historische Erinnerung im Zeitalter des Internets – Ungleichheit als Methodenproblem"
"Geschichtsvermittlung durch Landes- und Regionalgeschichte. Ein deutsch-tschechischer Vergleich"

Der Historikertag fand vom 30. September bis zum 3. Oktober 2008 an der TU Dresden statt. Veranstalter waren der „Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands“ und der „Verband der Geschichtslehrer Deutschlands“. Das Schwerpunktthema lautete „Ungleichheiten“. Unter diesem systematischen Gesichtspunkt konnte ein weites Themenfeld zur Diskussion gestellt werden. Die Sektionen waren nicht wie auf vergangenen Historikertagen nach der historischen Epochenchronologie zusammengestellt, sondern stellten unter dem Leitthema „Ungleichheiten“ konkrete Themen aus allen Forschungsgebieten und Epochen der Geschichtswissenschaft zur Diskussion, z. B. aus der Wirtschafts-, Politik-, Gender-, Sozial-, Kulturgeschichte und der Geschichtsdidaktik. Vom geschichtsdidaktischen Blickwinkel ist das Tagungskonzept sehr zu begrüßen, nimmt es doch eine aktuelle Gegenwartsproblematik als Ausgangspunkt geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen.1 Die Wahl des Schwerpunktthemas wurde auch in den Reden zur Eröffnung des Historikertages aufgrund seiner Aktualität mehrfach gutgeheißen. So bedankte sich der Bundespräsident bei der Geschichtswissenschaft, dass sie gegenwärtige Fragen zugrunde lege, um damit für Gegenwart und Zukunft aus der Vergangenheit Antworten zu suchen und ermutigte, mit diesen Forschungen zum Besten der gegenwärtigen Gesellschaft fortzufahren.
Auch der Vorsitzende des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands, Peter Lautzas, hob die Bedeutung des Geschichtsunterrichtes für die Gegenwart hervor und bemängelte in diesem Zusammenhang die vielfach fehlenden Kenntnisse der Lernenden gerade auch zur deutsch-deutschen Geschichte nach 1945. Diese Kenntnisse seien deshalb besonders wichtig, weil aus ihnen über Diktatur und Demokratie in aufklärerischer Absicht gelernt werden könne. Der aufklärerische Aspekt im Geschichtsunterricht sei immer wieder neu zu erarbeiten. Nur so sei die gesamte Geschichte für die Gegenwart zu nutzen. Dank dieser Begründungen konnte Lautzas dann auch sagen, das Unterrichtsfach Geschichte stehe in den Kultusministerien der Länder gut da und könne bei der „nationalen Aufgabe“ helfen, mehr Bildung zu schaffen. Die Geschichtswissenschaft müsse sich aber umso mehr um die inhaltliche Ausgestaltung des Faches Gedanken machen und sich um die Erstellung eines Kerncurriculums bemühen.

Eine Besonderheit des Historikertages in Dresden ergab sich aus der Tatsache, dass Tschechien als Nachbarland Sachsens auch als Partnerregion angesehen wird und damit Sektionen mit Themen zur tschechischen Geschichte und zu deutsch-tschechischen Beziehungen ins Programm aufgenommen wurden. Für die Geschichtsdidaktik ergab sich damit auch eine Diskussion über Regional- und Beziehungsgeschichte.

Von etwa 60 Sektionen auf dem Historikertag gab es sieben als eindeutig geschichtsdidaktisch ausgewiesene, also knapp 10 Prozent. Von diesem Zahlenverhältnis angeregt könnte der Frage nachgegangen werden, wie viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus der Schulpraxis oder dem Schulfachstudium kamen. Damit soll nicht gesagt sein, dass dieser Teilnehmerkreis sich auf geschichtsdidaktische Veranstaltungen konzentrieren müsste, im Gegenteil: Der Historikertag ist eine gute Gelegenheit, sich Forschungsergebnisse aus den unterschiedlichsten Themenkomplexen vermitteln zu lassen. Zu beobachten war aber, dass zumindest zwei geschichtsdidaktische Sektionen in nicht gerade kleinen Hörsälen überfüllt waren, die Teilnehmenden auf dem Boden oder den Fensterbrettern saßen oder überhaupt standen.

Versucht man einen Gesamtüberblick über die geschichtsdidaktischen Sektionen, so soll erstens eine Einordnung der Sektionsthemen in den augenblicklichen Diskussions- und Arbeitsstand der Geschichtsdidaktik an den Hochschulen erfolgen und zweitens das Leitthema „Ungleichheiten“ im geschichtsdidaktischen Kontext gefunden werden. An dritter Stelle folgt eine Vorstellung einzelner Sektionen.

In der fachdidaktischen Diskussion wird das Thema der Kompetenzorientierung als besonders aktuell behandelt. Im Zusammenhang mit dieser Thematik wird viel empirische Forschung betrieben, um Geschichtsunterricht auf seine Nachhaltigkeit hin zu untersuchen. Erforscht werden unter anderem außerschulisch gewonnene Begrifflichkeit, der Einsatz von unterschiedlichen Lehr-/Lernmethoden im Unterricht und der Grad von reflektiertem Geschichtsbewusstsein. Mottoartig heißt es: Geschichtsunterricht soll als Denkfach und nicht in erster Linie als Lernfach vermittelt werden. Diesen geschichtsdidaktischen Vorgaben entsprachen thematisch die beiden ersten oben angegebenen Sektionen.

Zugleich aber passten alle vier Sektionen in die Vorgaben des Leitthemas „Ungleichheiten“. Empirische Forschung richtet ihr Augenmerk nicht nur auf sozial und ethnisch unterschiedliche Herkunft der Lernenden. Hierzu gab es eine eigene Sektion von Béatrice Ziegler.

Empirische Lehr-/Lernforschung untersucht auch die ungleich vorhandenen Voraussetzungen und Fähigkeiten zur Kompetenzorientierung, zum selbstständigen Lernen, zur Reflexion, zur Methodenanwendung, zur Begrifflichkeit.

Eine weitere, heutzutage gravierende Ungleichheit im Geschichtsunterricht ergibt sich aus der in unterschiedlichem Maße vorhandenen Medienkompetenz. Dabei geht es nicht nur um technisches Know-how im Umgang mit dem Internet, sondern auch um das selbstständige und kritische Hinterfragen der Mediendarstellungen geschichtlicher Themen im Internet, im Fernsehen, auch in Museen. Mit diesem Themenkomplex beschäftigten sich die schon erwähnten Sektionen von Thomas Lange und Klaus Fieberg, aber darüber hinaus auch die Sektion von Hans-Ulrich Thamer „Militärgeschichte ausstellen.“ Eine besondere Art von „Ungleichheit“ wurde in der Sektion von Manfred Treml und Rolf Brütting angesprochen, da es nicht nur um Regionalgeschichte allgemein ging, sondern konkret um eine deutsch-tschechische Beziehungsgeschichte.

In der Sektion „Kompetenzorientierung im Geschichtsunterricht“ von Roland Wolf ging es allen Vortragenden darum Wege aufzuzeigen, wie Geschichtsunterricht effektiver und nachhaltiger zu gestalten sei. ROLAND WOLF (Tübingen) zeichnete klar die Entwicklung des Begriffs der Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik nach. Die heute vertretenen Theorien, von denen er besonders die von Andreas Körber, Michael Sauer und Peter Gautschi hervorhob2, hätten Vorläufertheorien. Schon in der Curriculumdebatte der 1960er- und 1970er-Jahre sei die Kompetenzdebatte eingeschlossen gewesen, auch in dem Ansatz des problemorientierten Unterrichtes von Uwe Uffelmann3 und im Konzept des entdeckenden Lernens von Günther Schmid4. Bei der Kompetenzorientierung legten alle Befürworter fachspezifische Strukturmerkmale des historischen Lernens zugrunde. Diese seien: Konstruktion und Rekonstruktion, Betonung von Quellenarbeit, Ernstnehmen von Alterität und Partikularität, Selektivität durch Gegenwartsbezug. Für die aktuelle Praxis des Geschichtsunterrichtes müsse das theoretische Modell anwendbar gemacht werden. Dies bewirke im positiven Sinn, dass Geschichtsunterricht zum Denkfach werde, die Lernenden im selbstständigen Erarbeiten eine neue Unterrichtsqualität erleben würden, die sie mündig mache für den Umgang mit der Geschichtskultur und mit ihrer Lebenswelt. Dadurch sei eine höhere Akzeptanz von Geschichtsunterricht in der Schule zu erwarten. Für die Lehrenden ergebe sich eine Grundlage zur Unterrichtsplanung, die sich bei allen Curricula und Inhalten anwenden lasse, das Fach Geschichte erfahre eine gute Profilierung im Fächerkanon und es bedürfe nur eines Anstoßes zur Erprobung und Umsetzung der Theorie.

ANDREA KIMMI (Eberhard Karls Universtität Tübingen) zeigte sehr überzeugend, wie ein Kompetenzorientierungsmodell bereits im Anfangsgeschichtsunterricht in der 5. oder 6. Klasse funktionieren kann. Am Beispiel des steinzeitlichen Jagens auf einer bildlichen Darstellung aus heutiger Zeit konnten die Lernenden durch Gegenüberstellung mit Quellen (haptische, ikonische von Felsmalereien) feststellen, was auf der bildlichen Darstellung stimmen könne, was nicht. Die Unterschiede von Darstellung und Quelle, von Vergangenheit und Gegenwart können so bewusst gemacht werden. Reflektiertes Geschichtsbewusstsein kann entstehen. Den Lernenden (6. Klasse Gymnasium) soll die Arbeit Spaß gemacht haben, und es wurde der Schluss aus der Erfahrung mit diesem Unterrichtsmodell gezogen, man möge nicht nur frühzeitig mit dem Geschichtsunterricht beginnen, sondern dabei von Geschichtsbildern und dem Konstruktcharakter von Geschichte ausgehen. Man möge nicht einfach einen „fertigen Inhalt“ vorsetzen, den die Lernenden aus den angebotenen Materialien „herausholen“ mit der Botschaft: so war es! Diese Empfehlung möge auch den Schulgeschichtsbuchmachern zu Ohren kommen.

In einem weiteren Beitrag zu nachhaltigem und kompetenzorientiertem Lernen wurde die Fragekompetenz als grundlegend genannt. Zur Herkunft von Fragehorizonten und Fragequalifikationen, auch über außerschulisch gewonnene Begrifflichkeit, werde in den Niederlanden empirisch geforscht, so in einem Beitrag von ALBERT LOGTENBERG (Amsterdam) in Vertretung von DAPHNE VON MANEN (Amsterdam).

Zwei weitere Vorträge stellten Kompetenzorientierung und nachhaltiges Lernen in den Kontext der Lernpsychologie. CLAUDIA STUHRMANN (Stuttgart) machte für die Tatsache, dass Schüler und Schülerinnen so wenig über Geschichte wissen, das ‚Pauken‘ verantwortlich, ein rein additives und nicht kumulatives Lernen. Nur kumulatives Lernen könne Kompetenzen aufbauen, in Stufen und in längeren Phasen. So funktioniere auch das Memorieren. Lernzuwachs könne bei einem solchen Vorgehen auch evaluiert werden.

Über nachhaltiges Lernen in einem kumulativen Verfahren sprach auch ANDREAS GRIESSINGER (Konstanz). Er betonte, dass historische Sachkompetenz nur dann erreicht werde, wenn Begriffe mit ihrem Bedeutungsumfeld gedacht und verstanden würden. Geschichtliche Grundbegriffe seien als Leitkategorien zu verstehen, mit deren Hilfe Begriffshierarchien gebildet werden könnten, um zu generalisieren, einzuordnen und zu vernetzen. Nachhaltiges Lernen bedürfe der Wiederholung, der Leitkategorisierung und der Vernetzung.
So notwendig und wichtig die Debatte über Kompetenzorientierung und nachhaltiges Lernen auch ist, so klar wurde auch, dass eine Umsetzung der Theorie in die Praxis nicht gelingen kann, wenn nicht unterrichtspraktische Beispiele gegeben werden. Das zeigte auch die anschließende Diskussion. Deshalb war der Beitrag von Andrea Kimmi besonders erhellend und hilfreich. In ihrem Fall ging es um Analyse-, Deutungs- und Reflexionskompetenz, die in jedem Schulalter, an jedem Inhalt geübt werden können. Damit kann Geschichtsunterricht in der Tat spannender und attraktiver werden.

Die Thematik der Kompetenzorientierung und die Betonung des Unterrichtsfaches Geschichte als Denkfach waren auch präsent in der Sektion „Nachhaltiger Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe I und II: Vorschläge für neue Kerncurricula“ von Martin Stupperich.
Die Förderung von Nachhaltigkeit des Geschichtsunterrichtes sei nur zu erreichen, wenn Themen und Inhalte zu einem vernetzten Denken führten. Der Verein der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) hat einen Arbeitskreis eingerichtet, der sich mit Bildungsstandards im Fach Geschichte befasst. Die zum Teil vorliegenden Vorschläge müssten überarbeitet werden in Richtung Deutungs- und Reflexionskompetenz, ohne die nicht problemlösend gedacht werden könne. Der Erwerb von inhaltlichen Kenntnissen müsse angemessen sein, die Inhalte nicht beliebig. Voraussetzung dafür solle ein Referenzrahmen sein, z. B. ein Epochenschema, für die Sekundarstufe I auch das chronologische Prinzip. Eine Lernprogression sei zu erreichen, wenn Inhalte in neue Zusammenhänge eingebettet würden (so Martin Stupperich aus Hannover).

Ähnlich argumentierte SUSANNE POPP (Universität Augsburg), die relevantes Grundwissen forderte, allein schon um einer Allgemeinbildung willen, doch müsse dieses Grundwissen in ein Orientierungswissen integriert sein, das epochenspezifisch gedacht und hierarchisch aufgebaut, aber nicht additiv sein dürfe.

Diese Überlegungen wurden von ARIE WILSCHUT (Educatieve Faculteit Amsterdam) konkretisiert und in einen schulpolitischen Rahmen gestellt. In den Niederlanden wurde ein Curriculum für den Geschichtsunterricht erarbeitet, welches einen Referenzrahmen für historische Themen vorgeschlägt.5 Dabei wird die Geschichte in 10 Epochen untergliedert, die in mehreren Durchgängen im Geschichtsunterricht behandelt werden sollen. Jede Epoche ist mit kennzeichnenden Merkmalen versehen, die allein für den Unterricht als verbindlich gelten sollen. Themen und Inhalte können gewählt werden. So heißt die erste Epoche „Zeit der Jäger und Bauern/Prähistorie“, die neunte Epoche „Zeit der Weltkriege/1.Hälfte des 20. Jahrhunderts“, die zehnte Epoche „Zeit des Fernsehers und des Computers/2. Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Wenn unter diesen Prämissen unterrichtet werde, dann sei es möglich vernetztes Denken zu fördern; die Geschichte bleibe offen, denn Ideen, Werte, Anschauungen seien relativ in der Zeit; Alternativen zu denken sei möglich, und damit würden die Lernenden zu historischem Denken und zur Reflexion gelangen. Dieses Konzept des „Referenzrahmens“ habe in den Niederlanden gegen das Konzept eines nationalen Geschichtskanons gestanden, der sich auf nationaler Ebene mit konkret festgelegten und verbindlich zu unterrichtenden Ereignissen, Namen und Daten durchgesetzt habe. Die Forderung nach einem nationalen Geschichtskanon sei begründet worden mit dem Ziel, die niederländische Identität zu stärken.

Die Debatte geht einerseits um offene Geschichtscurricula mit systematisierenden Gesichtspunkten, unter denen verschiedenartige, nicht festgelegte Themen und Ereignisse behandelt werden. Andererseits wird für Geschichtscurricula mit einem verbindlichen Wissenskanon plädiert. Die Diskussion steht noch am Anfang, sei bisher nur „angedacht“, so Susanne Popp. Sie dürfe nicht im Sinne eines Entweder-Oder geführt werden. Eine Verknüpfung sei wünschenswert, bei der neue Inhalte dank eines Orientierungsrahmens eingeordnet und gelernt würden. Ein pures Paukwissen erreiche dieses Ziel nicht.

Die Frage bleibt, ob nicht nachhaltiges Geschichtswissen nur durch ein relativ offenes Curriculum mit Referenz- oder Orientierungsrahmen erreicht werden kann, da Nachhaltigkeit die Gegenwartsorientierung braucht, die sich in neuen Themen und Inhalten, auch globaler Art, in neuen Wertungen und Perspektiven äußert. Sicherlich darf unter diesen Bedingungen ein Kerncurriculum nicht nur aus einem nationalen Wissenskanon bestehen.

In der Sektion von Thomas Lange aus Darmstadt und Clemens Rehm aus Karlsruhe „Historische Erinnerung im Zeitalter des Internets – Ungleichheit als Methodenproblem“ ging es vor allem um Medienkompetenz, doch auch um Ungleichheit im zweifachen Sinn: um das technische Know-how für eine verlässliche Informationsbeschaffung und um Ungleichheit der Erinnerung, so Thomas Lange in einer Einleitung zur Sektion.

Mit prinzipiellen Überlegungen zum Begriff der Erinnerung eröffnete MARTIN SABROW (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam) die Podiumsrunde. Erinnerung sei eine „Pathosformel der Gegenwart“. Erinnerung habe eine eigene Geschichte seit der Antike, aber auch das Vergessen. Heutzutage werde beides nicht mehr nur als individueller Faktor interpretiert, man spreche vielmehr vom „kollektiven Gedächtnis“. Nicht-Erinnern werde mit Verschweigen gleichgesetzt, und es gebe einen Kampf gegen das Vergessen. Aus Erinnerung könne aber nur dann Geschichte werden, wenn man sich ein Stück aus der Erinnerungskultur löse, sie wissenschaftlich-methodisch bearbeite und kritisch kontrolliere. Von Ungleichheit der Erinnerung wurde gesprochen, weil es einerseits die kritisch hinterfragte und bearbeitete Erinnerung gibt, andererseits die im medialen Kontext unkritisch benutzte und damit auch zu missbrauchende.

Für die „Aufbewahrung von historischer Erinnerung“ seien die Archive zuständig. Sie seien nach wie vor mit ihren Materialien und Sammlungen die „Rüstkammern für Aufklärung“, die „Werkzeuge der Demokratie“, so CLEMENS REHM (Landesarchiv Baden-Württemberg) in seinem Beitrag „Archive – Agenten der Erinnerung“. Heutzutage seien aber viele Medien – Fernsehen, Radio, Film und Internet – an der Vermarktung unterschiedlichster Quellen interessiert, ohne auf deren Kontext zu achten. Dadurch würden Quellen zur „Hehlerware“.

Diesen Prozess zu stoppen, forderte VADIM OSWALT (Justus-Liebig-Universität Gießen) in seinem Beitrag „Quellenkritik im Zeitalter des Internet“. Nur mit Medienkompetenz, besonders mit Quellenkritik, könne die Leichtgläubigkeit gegenüber dem Internet und anderen Medien bekämpft werden. Gerade das Internet müsse mit gründlichen und kritischen Analysen der Geschichtswissenschaft konfrontiert und kontrolliert werden.

Zu fordern sei, so JOACHIM PIEPER (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf), das auch Schüler und Schülerinnen ins Archiv gehen, um dort zu arbeiten. Es solle als Unterrichtsort ernst genommen werden, um an Ort und Stelle Kritikfähigkeit durch Medienkompetenz zu erwerben. Noch gebe es in Deutschland viel zu wenig Archivpädagogen im Unterschied zu Frankreich, was in einem Beitrag von ARIANE JAMES-SARAZIN (Musée de l'histoire de France, Archives Nationales Paris) eindrücklich vorgestellt wurde.

In der Diskussion wurde große Zustimmung zu allen Forderungen signalisiert. Es bleibt aber die Skepsis, ob die vorhandenen Hilfen zum Erwerb von Medienkompetenz angenommen werden und auch ausreichen.

An das Kongressthema “Partnerregion Tschechien“ knüpfte die geschichtsdidaktische Sektion von Manfred Treml aus München und Rolf Brütting mit dem Titel „Geschichtsvermittlung durch Landes- und Regionalgeschichte. Ein deutsch-tschechischer Vergleich“ an.
BERND SCHÖNEMANN (Universität Münster) leistete einen geschichtsdidaktischen Beitrag mit dem Titel „Regionalgeschichtlich akzentuiertes geschichtliches Lernen. Eine Bestandsaufnahme in systematisierender Absicht“. Für Regionalgeschichte gelte, dass Räume nicht im geographischen Sinn zu verstehen seien, vielmehr als politik- und sozialhistorische Konstrukte. Sie seien funktional definiert, als Konstrukte verschiedenster Art, vor allem auch translokal. Das Ziel von Regionalgeschichte sei es nicht, Identität zu schaffen, sondern Heterogenität, Konflikte und Konkurrenzen zu thematisieren.

Regionalgeschichtliche Themen könnten mit Projektunterricht vermittelt werden, an außerschulischen Lernorten beispielsweise, so dass auch geschichtskulturelle Erfahrungen einbezogen würden. Alternativ zur „Geschichte des kleinen Raumes“ müsse auf Beziehungsgeschichte Wert gelegt werden und auf die Erkundung translokaler europäischer Räume, gegebenenfalls auch in globalen Beziehungen.

Über die tschechischen Erfahrungen mit Regionalgeschichte sprach ROBERT LUFT (Collegium Carolinum, München). In Tschechien sei der Geschichtsunterricht faktenorientiert, ohne explizit behandelte Unterscheidungen von lokaler, regionaler, nationaler und weltgeschichtlicher Thematik. Alles sei mit der nationalen Geschichte verbunden. Wenn von Region die Rede sei, dann nur im allgemeinen Sinn von informeller, traditioneller oder moderner Region. Das nationale Paradigma überwiege, allerdings gebe es durch die Universitäten Projekte binationaler Art, etwa mit Deutschland, und man habe eine „makroregionale Interpretation“ als Perspektive.

Von ROLF BRÜTTING (Universität Dortmund) wurde im Sinne Schönemanns gefordert, die Regionalität selbst im Geschichtsunterricht und in der Geschichtsdidaktik zum Thema zu machen, sie als veränderbar zu zeigen und als Raum mit mehrfachen Loyalitäten.

EDUARD MIKUSEK (Staatliches Gebietsarchiv Litomeríce) zeigte eindrucksvoll die konkrete Beschäftigung mit Regionalgeschichte am Beispiel der Stadt Aussig im damaligen „Sudetengau“ im Kreis Leitmeritz. Im Archiv in Aussig gebe es sehr viele Materialien, anhand derer die Beziehungen zwischen der deutsch- und tschechischsprachlichen Bevölkerung aufgearbeitet werden können. Seit der Wende sei Aussig ein wichtiges Forschungszentrum für diese Fragen und Probleme geworden. Dank der vorhandenen Materialien könne man bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen. An dieser Stelle hätte man gern noch mehr darüber gehört, welche Themen von wem und wie intensiv erforscht werden.

In anderen Sektionen des Historikertages waren globalgeschichtliche, transnationale und beziehungsgeschichtliche Themen sehr präsent, in der Geschichtsdidaktik fehlten sie ganz, bis auf die hier vorgestellte binationale Sektion zur Regionalgeschichte. Das ist bedauerlich und wäre auch nicht nötig gewesen, da es die Diskussion um globalgeschichtliche Perspektiven im Geschichtsunterricht nicht nur bei der geschichtsdidaktischen Schulgeschichtsbuchforschung gibt und bei der Erstellung von binationalen Schulgeschichtsbüchern6, sondern auch bei der Diskussion um Kerncurricula. Auch beim Thema der Kompetenzorientierung und der Selbstständigkeit historischen Lernens kommt man nicht um global- und weltgeschichtliche Betrachtungen herum, da das global operierende Internet und andere Medien in der alltäglichen Geschichtskultur immer präsent sind.

Auch auf diesem Historikertag zeigte sich wieder, dass Geschichtsdidaktik und die übrige Geschichtswissenschaft separat agieren, mit je eigenen Themen. Dabei gäbe es sehr wohl gemeinsame Interessen, z. B. die Diskussion darüber, welche Themen in welcher Perspektive, mit welchen Methoden aus gegenwärtigen Fragestellungen gelehrt werden könnten und sollten, sowohl an den Universitäten, als auch an den Schulen. Den Bachelor-Studierenden könnte damit ein thematisch nachhaltigeres Studium angeboten werden, den Schulcurriculum-Machern eine fundiertere Grundlage für ihre Entscheidungen im Hinblick auf nachhaltigen Geschichtsunterricht. Auf den Podien zu allgemeinen und aktuellen geschichtswissenschaftlichen Problemen sollte eigentlich auch immer eine geschichtsdidaktische Position vertreten sein, wie schon vor Jahren vorgeschlagen.

Für die Geschichtsdidaktik ist der Historikertag aber dennoch als positiv und erfolgreich zu beurteilen, da mit der Kompetenzorientierung für nachhaltigen Geschichtsunterricht grundlegende Positionen in aller Ausführlichkeit zu Wort kamen. So ist zu hoffen, dass viel davon auch in der alltäglichen Praxis des Schulgeschichtsunterrichtes ankommt dank all der Multiplikatoren, die anwesend waren, und dass der Riesendampfer Schulgeschichtsunterricht flottere Fahrt aufnimmt.

Anmerkungen:
1 So auch immer wieder von der Geschichtsdidaktik für nachhaltig geschichtswissenschaftliche Lehre und Forschung gefordert. Siehe z. B. grundlegend Uwe Uffelmann, Problemorientierter Geschichtsunterricht, Villingen-Schwenningen 1990.
2 Von den erwähnten Autoren können z. B. folgende Schriften angegeben werden: Kompetenzen historischen Denkens, Hrsg. von Andreas Körber / Waltraud Schreiber / Alexander Schöner, ars una Neuried 2007, darin mehrere Beiträge von Andreas Körber; Michael Sauer: Methodenkompetenz als Schlüsselqualifikation. Eine neue Grundlegung des Geschichtsunterrichts? In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 30, 3/4 (2002), S. 183-192; Peter Gautschi, Kompetenzen von Lernenden, in: Barbara Bonhage / Peter Gautschi / Jan Hodel u.a. (Hrsg.), Hinschauen und Nachfragen: die Schweiz und die Zeit des Nationalsozialismus im Licht aktueller Fragen, Zürich 2006, S. 1-13.
3 U. Uffelmann a.a.O.
4 Z. B. Heinz Dieter Schmid, Entdeckendes Lernen im Geschichtsunterricht, in: Hans Süssmuth (Hrsg.), Geschichtsdidaktische Positionen. Bestandsaufnahme und Neuorientierung, Paderborn 1980, S.283-314.
5 Ausführlich wird dieses Projekt von Susanne Popp vorgestellt und besprochen in einem Aufsatz: Geschichtliches Überblickswissen aufbauen – ein konzentrisch-longitudinales Geschichtscurriculum aus den Niederlanden, in: Elisabeth Erdmann / Robert Maier / Susanne Popp (Hrsg.): Geschichtsunterricht international, Hannover 2006, Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Band 117, S. 269-300.
6 Zu erwähnen ist das Deutsch-französische Schulgeschichtsbuch, aber auch das im Entstehen begriffenen deutsch-polnische Schulgeschichtsbuch. Darüber hinaus gibt es Diskussionen und Veröffentlichungen zum Thema der globalgeschichtlichen Perspektiven im Geschichtsunterricht, z. B. a.a.O. „Geschichtsunterricht international“ oder in: Susanne Popp / Johanna Forster (Hrsg.), Curriculum Weltgeschichte“, Schwalbach im Taunus. 2003.

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