Forum: J. Olsen: Digital History als Mannschaftssport

Von
Jon Olsen, Department of History / UMass Digital Humanities Initiative, University of Massachusetts at Amherst

Im Allgemeinen stimme ich den Autoren Eva Schlotheuber und Frank Bösch gerne zu, dass ein tiefes Fach- und Grundwissen auch im digitalen Zeitalter nötig ist, um kompetent mit den historischen Quellen umzugehen und sie auszuwerten. Ich würde aber gegenüber meinen deutschen Kollegen dafür plädieren, auch mehr Wert auf den Ausbau von digitalen Kenntnissen bei Nachwuchshistoriker/innen zu setzen. In den USA gibt es an einigen Geschichtsfakultäten bereits Stellen (nicht gerade Lehrstühle, denn wir haben so ein System in den USA nicht) für „Digital History“ – ich besitze eine davon. Hier meine ich nicht die Geschichte der digitalen Welt, sondern die Methoden und Theorien, die Historiker/innen im digitalen Zeitraum benutzen können, um das historische Erbe zu analysieren.

„Digital History“ umfasst viel mehr als nur die Digitalisierung von historischen Quellen, die nur ihren Anfang darstellt. Der amerikanische Historiker Roy Rosenzweig hat in den 1990er-Jahren die Frage gestellt, wie die Zukunft der historischen Forschung in einer digitalen Welt aussehen würde. Er stieß auf zwei Möglichkeiten: Es würde entweder eine Vielfalt oder einen Mangel an Quellen für Historiker geben. Die Antwort kennen wir bereits – wir leben schon in der Welt der Vielfalt, mit in jedem Jahr Millionen neuer digitalisierter Quellen. Dabei handelt es sich nicht nur um Texte, sondern auch um Fotos, Filme, Tondokumente, Kunstobjekte, und noch viel mehr. Die Studierenden von heute müssen lernen, mit dieser Vielfalt umzugehen und sie zu erhalten.

Das heißt konkret: Die Studenten müssen über Digital History Methoden wie Data und Text Mining, Datenvisualisierung, digitales Kartieren und viel mehr erlernen – Kompetenzen, die wir in unserem Fach nur an wenigen Universitäten finden. Deshalb müssen wir neue Partner in anderen Fächern finden und mit den zusammenarbeiten, die relevante Fachkenntnisse haben und vermitteln können – Geografen, Informatiker, Anthropologen, Archäologen etc. Angehende Historiker müssen nicht all diese Kompetenzen meistern, aber sie brauchen ein Bewusstsein sowohl für die digitalen Möglichkeiten als auch für die Notwendigkeit der Kooperation.

Digital History war von Anfang an ein Mannschaftssport und kein individueller Leistungssport – jedes Mitglied in der Mannschaft bringt eigene Fähigkeiten aufs Spielfeld. Gemeinsam kann das Team somit neue Fragen stellen, neue Methoden ausprobieren. Wenn man sich beispielsweise die Mannschaft anschaut, die hinter dem „Geographies of the Holocaust“-Projekt steht, dann wird schnell klar, dass kein Einzelner dieses Unternehmen hätte realisieren können.1 Aber zurück zu einem der Hauptargumente des Positionspapiers: solche neuen digitalen Werkzeuge bleiben nutzlos ohne die Grundausbildung in historischer Forschung, um die Ergebnisse zu analysieren und bewerten. Wir können tolle neue Landkarten erzeugen, aber wir müssen sie hinterher auch interpretieren können.

Die Digitalisierung großer Quellenbestände hat den Zugriff der Öffentlichkeit auf Quellen vereinfacht und somit auch das Verhältnis von Fachwissenschaft und Öffentlichkeit verändert. Die meisten digitalen Historiker in den USA wollen nicht nur ihre Fachkollegen ansprechen, sondern auch das breite Publikum. Dass die Fachkenntnis des Publikums ernstgenommen werden muss, zeigen die Erfahrungen der Library of Congress (einer der konservativsten Institutionen in den USA), die über eine Partnerschaft mit Yahoo auf deren Plattform Flickr große Bildbestände kostenlos und ohne Copyright ins Netz gestellt und so „Flickr Commons“ gegründet hat. Die ersten Bilder, die die Library of Congress hochlud, waren Baseball-Fotografien. Die Bibliothekare wussten nichts oder nur sehr wenig über diese Bilder. Durch Crowdsourcing hat die Bibliothek innerhalb kürzester Zeit neue Information beispielsweise über die abgebildeten Personen, Orte und ab und zu das genaue Spieldatum erhalten. Diese Informationen konnten die Bibliothekare verifizieren oder falsifizieren und die Kataloge dementsprechend überarbeiten. Die Digitalisierung gibt uns Fachwissenschaftlern die Möglichkeit, das Wissen der allgemeinen Öffentlichkeit aufzunehmen, um unsere eigenen Analysen voranzutreiben.

Die Digital Humanities bieten viele neue Methoden und Werkzeuge an, um neue Fragen an alte Quellen zu stellen. Sicherlich muss hier die Grundausbildung im Studium verbessert werden. Wir müssen den Studierenden von heute aber auch beibringen, wie man diese neuen Methoden als Forschungsmannschaft kooperativ anwendet und auf welche neuen Fragen man mit diesen Methoden Antworten finden kann. Das bedeutet, nicht nur die Stellen für die Grundwissenschaften wiederaufzubauen, sondern auch neue Stellen für Digital History zu schaffen, Zentren für digitale Geschichte zu gründen, und Partnerschaften mit anderen Fächern zu schließen.

Eine Übersicht über alle Beiträge des Diskussionsforums finden Sie hier: <http://www.hsozkult.de/text/id/texte-2890>.

Anmerkung:
1 <http://www.ushmm.org/learn/mapping-initiatives/geographies-of-the-holocaust/about-the-authors> (11.11.2015).