Forum: C. Märtl: Grundwissenschaften im Studium

Von
Claudia Märtl, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der in diesem Papier vorgetragenen Analyse der Situation und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen stimme ich voll und ganz zu. Durch die Marginalisierung der Grundwissenschaften an den Universitäten schneidet sich die deutsche Geschichtswissenschaft nicht allein von der angelsächsischen Welt, sondern auch von Ländern wie Italien und Frankreich ab. Die Verdrängung der Grundwissenschaften geht eng einher mit der Absenkung von Sprachkenntnissen - im Zuge der Bologna-Reform traten an deren Stelle vielerorts Anforderungen, die das neue System nicht durch die Zumutung jahrelangen Übens stören. Mit der Zurückdrängung der Grundwissenschaften schwindet allerdings auch die sonst so gerne eingeforderte „Praxisrelevanz“ des Studiums. Für anspruchsvolle Tätigkeitsfelder in Forschungseinrichtungen, Bibliotheken, Archiven und Museen kommen die Absolventen und Absolventinnen der um die Grundwissenschaften erleichterten Studiengänge kaum in Frage.

Das Schwinden der Grundwissenschaften vollzog sich parallel zum Aufschwung der drittmittelgeförderten Projektforschung und der damit einhergehenden Zunahme an Qualifikationsarbeiten. Nicht selten fehlen jetzt grundlegende Fertigkeiten, um die immer ehrgeizigeren Fragestellungen bewältigen zu können. Wenn eigenständige Quellenerschließung und Quellenkritik aber Voraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten in den historischen Disziplinen sind, dann müssen die Grundwissenschaften von Anfang an integraler Bestandteil des Studiums werden.

Um eine Verbesserung herbeizuführen, wäre allerdings ein Konsens über die Notwendigkeit und den Wert handwerklicher Fähigkeiten des Historikers vonnöten. Solange grundwissenschaftliche und editorische Arbeiten bei denen, die sie selbst nicht betreiben, von vornherein im Verdacht stehen, „wenig innovativ“ und „wenig originell“ zu sein, wird sich an dieser Situation nichts ändern.

Die großangelegten Digitalisierungskampagnen sind aus Sicht der Forschung gewiss zu begrüßen. Da aber heutige Studenten bisweilen schon mit der Fraktur der Drucke des 19. Jahrhunderts Probleme haben, fragt sich, wer diese Angebote künftig nutzen soll. Die viel Geld verschlingende Digitalisierung großer Massen von ungedruckten Materialien ist nur dann sinnvoll, wenn auch für die breite Vermittlung der Fähigkeiten gesorgt ist, die nötig sind, um diese Materialien entschlüsseln zu können.

Der unbefriedigenden Situation kann nicht dadurch abgeholfen werden, dass „Digital Humanities“ eingeführt werden und die Grundwissenschaften weiterhin marginalisiert bleiben. In die Studiengänge historisch orientierter Fächer müssen vielmehr Angebote aus beiden Bereichen integriert werden.

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