Forum: E. Pfanzelter: Historische Quellenkritik in Lehre und Forschung

Von
Eva Pfanzelter, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck

Eva Schlotheuber und Frank Bösch sprechen in ihrem Beitrag „Quellenkritik im digitalen Zeitalter“ aktuelle und sensible Themen an. Zum einen geht es um Forschungsförderung im Bereich der Digitalisierung bzw. Archivierung derzeit entstehender Artefakte. Zum anderen um den immer eklatanter werdenden Ausbildungsmangel des historischen Nachwuchses im quellen- und medienkritischen Umgang mit analogen und digitalen Quellen an Universitäten.

Quellenkritik gilt als Nadelöhr des historischen Erkenntnisprozesses und gewinnt im Zeitalter der Digitalisierung in viel mehr Disziplinen als den Geschichtswissenschaften an Bedeutung, da ehemalige Verlässlichkeiten und Autoritäten (wie Archive, Bibliotheken und Verlage) an Sichtbarkeit und Einfluss zu verlieren drohen.1 Die Rückeroberung der quellenkritischen Kompetenzen durch Bibliotheken, Archive sowie Medien- und Informationswissenschaften auch im Digitalen wird lobenswerter Weise durch Fördereinrichtungen (z.B. DFG und FWF, ÖAW etc.) unterstützt, doch ergibt sich daraus für die historische Zunft eine Reihe von Schwierigkeiten. Dazu gehört, dass Historiker/innen (oft selbstgewählt) nicht in Digitalisierungsprozesse großer Datenbestände eingebunden sind. Gerben Zaagsma am Lichtenberg Kolleg der Historischen Sternwarte der Universität Göttingen rief gerade in dieser Hinsicht 2013 in seinem wertvollen Beitrag „On Digital History“2 dazu auf, den Fokus der derzeitigen technologiedeterministischen Digitalisierungspraxis von den (sicher nützlichen) Tools und Daten auf kritische methodische und epistemologische Fragestellungen zu erweitern. Er fordert somit eine integrative historische Praxis. Diese, so setzten sich wenig später auch Katharina Hering, Michael J. Kramer, Kate Theimer und Joshua Sternfeld3 bei der Jahrestagung der American Historical Association 2014 ein, schließe auch die Aufnahme von Historiker/innen in Digitalisierungs- und Archivierungsprojekte mit ein. Sie fordern im Grunde eine Abkehr von technisch Möglichem zu Gunsten einer Digitalisierungspraxis in Richtung historischer Fragestellungen, denn kritikfreie, technologiebasierte Digitalisierung und Archivierung generiere zu leicht falsche Sicherheiten bzw. Wahrheiten und nicht zuletzt ungenutzte Datenfriedhöfe. Die derzeit leider gängige Ablehnung von Forschungsprojekten, die historische Fragestellungen an die entstehenden Datenberge stellen, unterbindet allerdings einen hier längst überfälligen kritischen Diskurs.

Der andere von Schlotheuber und Bösch angesprochene, sensible Bereich – jener der Ausbildung des Nachwuchses an Universitäten in den Kernkompetenzen des geschichtswissenschaftlichen Faches – zeigt in Zeiten knapper werdender Ressourcen und zunehmend verschulter Curricula die (nicht immer reifen) Früchte der durch die Bologna-Struktur vorgegebenen Lehrpläne: Wahlfreiheit ist im modularen System und mit rigoros eingehaltenen Regelstudienzeiten purer Luxus. In diesem System konkurrieren die Grundwissenschaften, die eigentlich ein breites Spektrum von Kompetenzen von Latein über Numismatik und Handschriften bis Digital Humanities abdecken sollten, mit anderen, oft ebenso wichtigen Teilbereichen: Oder sollen wir künftig die Kategorie „Gender“ wieder aufgeben bzw. die Epochenfächer den Schulbüchern überlassen?

Dabei hat die bisherige Digitalisierungspraxis nolens volens längst Einzug in den Lehr- und Lernalltag gehalten: Nicht nur von Studierenden wird nur noch „konsumiert“, was online zugänglich ist. Zu oft geht bei dieser Daten-Fokussierung der kritische Überblick – auch über analoge und bzw. versus digitale Quellen – verloren, wie Frederick W. Gibbs und Daniel J. Cohen meinen: „Historical trends – or anomalies – might be revealed by data, but they need to be investigated in detail in order to avoid conclusions that rest on superficial evidence. This is also true for more traditional research processes that rely too heavily on just a few anecdotal examples.”4 Für die Vermittlung der dafür notwendigen Kompetenzen wären die Universitäten zuständig. Zu Recht mahnen Schlotheuber und Bösch hier die Zusammenarbeit von historischer Zunft, Politik und Universitäten ein. Meine Zuversicht, dass dieser Aufruf für eine Kursadjustierung ausreichen wird, hält sich allerdings in Grenzen.

Eine Übersicht über alle Beiträge des Diskussionsforums finden Sie hier: <http://www.hsozkult.de/text/id/texte-2890>.

Anmerkungen:
1 Peter Haber, Digital Past. Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter, München 2011, S. 104–112; Eva Pfanzelter, Die historische Quellenkritik und das Digitale, in: Archiv und Wirtschaft. Zeitschrift für das Archivwesen der Wirtschaft 48,1 (2015), S. 5–19; siehe auch: Pascal Föhr, Blog: Historical Source Criticism, <http://hsc.hypotheses.org/> (16.11.2015).
2 Gerben Zaagsma, On Digital History, in: BMGN – Low Countries Historical Review 128-4 (2013), S. 3-29, <http://gerbenzaagsma.org/sites/default/files/publications/Zaagsma-2013-Digital_History.pdf> (16.11.2015).
3 Katharina Hering / Michael J. Kramer / Kate Theimer / Joshua Sternfeld, Digital Context, in: Journal of Digital Humanities 3,2 (Summer 2014), <http://journalofdigitalhumanities.org/3-2/digital-contexts/> (16.11.2015).
4 Frederick W. Gibbs / Daniel J. Cohen, A Conversation with Data: Prospecting Victorian Words and Ideas, in: Victorian Studies 54,1 (2011), S. 69–77.