Forum: W. Spickermann / L. Scheuermann: Grundwissenschaften in den Altertumswissenschaften

Von
Wolfgang Spickermann / Leif Scheuermann, Universität Graz

Aus einer dezidiert althistorischen Perspektive bilden die Grundwissenschaften, und hierbei sind neben den klassischen Hilfswissenschaften wie der Epigraphik; Papyrologie und der Numismatik auch die Nachbardisziplinen Archäologie und klassische Philologie oder die (historische bzw. biblische) Theologie zu nennen, die absolute Basis jeglichen wissenschaftlichen Arbeitens. Die Fachinformatik (um den zwar alten, jedoch immer noch in seiner Bedeutung zutreffenden Begriff zu nennen) bzw. die Digital Humanities sind als Hilfsdisziplinen Teil dieses Fächerkanons der Grundwissenschaften. Ein Primat letzterer vor den zuerst genannten wäre jedoch keinesfalls im Sinne der Altertumswissenschaften als einem Ganzen. Eine solide Ausbildung in z.B. der Epigraphik kann nicht durch informationstechnologische Verfahren ersetzt werden.

Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass die klassischen Teildisziplinen ohne die Nutzung großer internetgestützter Datenressourcen heute nicht mehr auskommen. Grundlage für diese Daten bildet jedoch die Autopsie des Materials, sei es nun eine Münze, eine Inschrift, ein Papyrus oder auch ein Text, welche nicht ohne den geschulten und gut ausgebildeten Experten auskommt. Das Ordnen und begrifflich Fassen des antiken Objektes als zentraler Bestandteil des hermeneutischen Prozesses der Wissensbildung kann nicht jenseits der historischen Fachexpertise von statten gehen und ist auch nicht durch die im Bereich der citizen science oft beschworene „Weisheit der Masse“ („The wisdom of crowds“) oder automatisierter Verfahren selbstlernender Systeme zu ersetzen. Hier bedarf es ausgebildeter Expertinnen und Experten.

Es bleibt also festzuhalten, dass die Altertumswissenschaften ohne die grundlegende fachwissenschaftliche Ausbildung zum Scheitern verurteilt sind. Neue informationstechnologische Verfahren können zur besseren Kommunikation unter den Wissenschaftler/innen beitragen, können Ressourcen vernetzt zugänglich machen, können zu einer besseren didaktischen Vermittlung und Außenrepräsentation beitragen, sie können aber keinesfalls die aus den Daten und Informationen Wissen generierenden, solide ausgebildeten Fachleute ersetzen. Jeder Versuch einer „data driven history“, einer Rekonstruktion der Antike „wie sie wirklich war“, indem man nur alle möglichen Daten sammelt und nebeneinander stellt, bleibt im Romantizismus des 19. Jahrhunderts stecken. Diese Ausrichtung der Digital Humanities wäre dann wirklich ein Rückschritt. Die Altertumswissenschaften und besonders die Grundwissenschaften verstehen sich spätestens nach der Wende vom 19. in das 20. Jahrhundert nicht mehr als bloße Sammlerinnen von antiken Artefakten, sondern als moderne methoden- und theoriegeleitete Disziplinen. Die digitale Wende darf weder zu einem Rückschritt führen, noch dürfen die Entwicklungen in den neuen Medien von einer Fachcommunity außen vor gelassen werden. Es bedarf der Integration digitaler Verfahren in die Fachdisziplin, doch ist dies nur über eine Stärkung beider Seiten erreichbar, also einer Stärkung besonders der Grundwissenschaften, da diese die unabdingbare Basis für alle möglichen Anwendungen digitaler Verfahren bilden.

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