Forum: Interview zum FID CrossAsia-Asien mit Nicola Spakowski (Univ. Freiburg) und Matthias Kaun (Staatsbibliothek zu Berlin)

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Matthias Kaun, Fachinformationsdienst CrossAsia – Asien, Staatsbibliothek zu Berlin; Nicola Spakowski, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

H-Soz-Kult: Herzlichen Dank an sie beide für Ihre Bereitschaft zu unserem Gespräch über die entstehenden Fachinformationsdienste (FID). Frau Spakowski, Sie als Fachwissenschaftlerin für Sinologie und moderne Geschichte Chinas möchten wir zuerst einmal um eine Einschätzung zum FID CrossAsia – Asien bitten: Welche Zielstellungen des FID CrossAsia – Asien begrüßen Sie und welche schätzen Sie eher kritisch ein?

Nicola Spakowski: Zunächst ist festzustellen, dass CrossAsia ein Angebot darstellt, das seit 2002 existiert, 2006 den Namen CrossAsia erhielt und bis 2015 mit dem Namenszusatz „Virtuelle Fachbibliothek Ost-, Südost- und Zentralasien“ versehen war. Jetzt erfolgt der Übergang zum sogenannten „Fachinformationsdienst“. Im FID CrossAsia wird offensichtlich bereits Bestehendes fortgesetzt, weiterentwickelt und um neue Angebote ergänzt. Insgesamt freue ich mich, dass CrossAsia weiterhin DFG-Förderung erhält, und kann wohl für alle KollegInnen meines Faches sagen, dass das Angebot immer begrüßt und gut angenommen wurde. Inwiefern gerade CrossAsia eine Anpassung an die neuen Richtlinien der DFG für die FID erfährt, ist mir allerdings nicht ganz klar.

Matthias Kaun: In den Diskussionen um die Beendigung des seit mehr als fünfzig Jahren DFG-geförderten SSG-Systems wurde die Frage nach der Zukunft der Sammlung als Angebot an die Wissenschaft intensiv thematisiert. Als dann in den ersten Phasen der FID-Antragsrunden viele ehemalige SSG keine Förderung als FID erhielten, spitzte sich die Frage weiter zu. Aus meiner Sicht, die sich vor allem auf eine weit entfernte Region und einen bislang noch relativ klar umrissenen Nutzerkreis konzentriert, war bereits vor mehr als zwölf Jahren offensichtlich, dass die Integration elektronischer Ressourcen und eine einfache, schnelle und verlässliche Zugänglichkeit das sind, was ein überregionales Angebot aus und über diese Region für die Wissenschaft ausmachen kann. Und ich gehe noch heute davon aus, dass nur solche zeitgemäßen Angebote zu einer wirklichen, tiefen Akzeptanz in der Wissenschaft führen können, die über politische Meinungsbildungsprozesse hinausreichen. Mit der Region Asien haben wir das Glück, dass es offensichtlich ist, sowohl aktuelle Forschungsinteressen akut zu beantworten, darüber hinaus ist es aber gleichermaßen wichtig, vorausschauend zu erwerben bzw. dauerhafte Nutzungsrechte an elektronischen Ressourcen zu lizenzieren. Was Sie heute aus Vietnam nicht erwerben, wird in fünf Jahren um vieles schwerer, wenn nicht unmöglich zu erwerben sein. Für die Region, für die wir jetzt verantwortlich sind, gibt es natürlich Unterschiede in der Zugänglichkeit von Materialien, die wir durchaus bei unseren Erwerbungsentscheidungen berücksichtigen. Was immer wichtig war und weiterhin wichtig ist: Diejenigen, die unsere Sammlung nutzen, haben seit jeher die Möglichkeit, Erwerbungsvorschläge zu machen und uns auf Dinge aufmerksam zu machen, die sie für ihre Forschung brauchen. Das wird im FID Asien noch einmal mehr betont, sowohl für den gedruckten wie auch den elektronischen Bereich, und wo möglich, ist Letzterem der Vorzug gegeben. Wir bieten z.B. ein großes Portfolio von elektronischen Büchern aus Taiwan an, die wir erst dann dauerhaft lizenzieren, wenn diese auch genutzt werden. Der Zugang ist aber sofort möglich, und keine Nutzerin oder Nutzer des Angebots merkt, dass hier ein gänzlich anderer „Erwerbungsansatz“ zu Grunde gelegt wird. Insofern wird CrossAsia im Bereich der Erwerbung und Lizenzierung den seit Jahren konsequent eingeschlagenen Weg als FID weiterführen. Das haben wir in unserem Antrag an die DFG deutlich gemacht, und die Gutachterinnen und Gutachter sind uns hier gefolgt.

Nicola Spakowski: Grundsätzlich wird ja problematisiert, dass mit der Einrichtung der FID ein umfassender Bestandsaufbau durch Angebote entlang der Nutzerinteressen ersetzt wird. Hier könnte Herr Kaun vielleicht ergänzen, in welchem Verhältnis CrossAsia diese beiden Strategien zukünftig verfolgen wird. Es stellt sich dabei natürlich die grundsätzliche Frage, wie realistisch es überhaupt wäre, für ein Sammelgebiet „Asien/Asienwissenschaften“ mit seinen Subregionen, Teil- und Subdisziplinen sowie, innerhalb der Teildisziplinen (z.B. der Sinologie), heterogenen Ansätzen wirklich umfassende Bestände aufzubauen bzw. was „umfassend“ für die Teildisziplinen überhaupt bedeuten würde.

Matthias Kaun: Wir sprachen in SSG-Zeiten immer von der „relativen Vollständigkeit“. Wir sind als Sammlung für die Abdeckung eines „Spitzenbedarfs“ verantwortlich; auch dieses Wort ist ein Terminus technicus der Fördereinrichtung, der mal mehr, mal weniger hilfreich erscheint. Generell versuchen wir, so umfassend und vorausschauend zu sammeln wie möglich – und denken dabei sowohl an die heterogenen Märkte und verschiedene Nutzungsszenarien. Was uns jetzt für den FID Asien z.B. gelungen ist, ist die Integration des Schwerpunktes Wirtschaft in das Sammelspektrum. Hier konnten wir in SSG-Zeiten aufgrund der programmatischen Rahmenbedingungen nicht sammeln; nun teilen wir uns die Verantwortung mit der Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften der Leibniz-Gemeinschaft. Ich betone gerne immer wieder: Die Sammlung in Berlin ist eine Sammlung zu und über Ost-, Zentral- und Südostasien. In Teilaspekten kann sie als sinologische oder japanologische Sammlung verstanden werden, aber sie war und ist immer mehr. Das läuft im Prinzip parallel zu den völlig verschiedenen Themen, mit denen sich – nicht nur heute – die Sinologie, Japanologie, Zentralasienwissenschaften usw. beschäftigen. Und über diese (regional)wissenschaftlichen Fächer hinaus, nehmen wir in den letzten Jahren wachsende Anfragen von Seiten der Sozialwissenschaften, der historisch orientierten Forschung oder auch der Rechtswissenschaften wahr. Und auch hier sind wir verantwortlich.

H-Soz-Kult: Und wie sieht es mit den konkreteren Zielsetzungen von CrossAsia aus?

Nicola Spakowski: Die einzelnen Elemente von CrossAsia erscheinen mir sinnvoll, ohne dass ich behaupten könnte, dass ich persönlich alle nutzte bzw. zukünftig nutzen werde. CrossAsia deckt auf jeden Fall ein breites Spektrum an Angeboten und Dienstleistungen ab, wobei sich eher konservative NutzerInnen auf den bloßen Zugriff auf Ressourcen beschränken, dem Digitalen aufgeschlossenere NutzerInnen hingegen zusätzlich technische Dienstleistungen in Anspruch nehmen werden. Im Zentrum von CrossAsia stehen auf jeden Fall der Direktzugriff auf (meist lizenzpflichtige) elektronische Ressourcen sowie der Blaue Leihverkehr, über den gedruckte Werke aus Berlin an anderen Orten eingesehen werden können. Der Zugriff auf lizenzpflichtige elektronische Ressourcen, der im Falle von CrossAsia tatsächlich breite Fachinteressen bedient – vom vormodernen bis zum gegenwärtigen China, von der Philosophie bis zur Politikwissenschaft – stellt eine extreme Erleichterung dar, was den Zugang zu Quellen anbelangt. Ich werde das unten noch in Bezug auf meine eigene Forschung erläutern. Der Service der „Digitalisierung on Demand“ fällt ebenfalls in die Kategorie der Bereitstellung von Ressourcen. Dass für einen überregionalen Dienst elektronische Elemente bevorzugt werden, ist plausibel und sollte selbst diejenigen überzeugen, die (wie ich) nicht gerne am Bildschirm lesen. Das zweite Bündel an Elementen bezieht sich auf die Kommunikation mit der Fachcommunity (Newsletter, Forum, Schulungen). Diese Elemente sind außerordentlich wichtig, weil CrossAsia entlang der Nutzerinteressen entwickelt wurde und weiterentwickelt wird, weshalb es auf die Interessenbekundungen und Rückmeldungen der Nutzer angewiesen ist. Im Falle der Sinologie, die keinen Fachverband hat, ist diese Kommunikation vermutlich stärker individualisiert als in anderen Disziplinen und mit den genannten Elementen (und hier und da einem Telefonat) gut durchführbar. Die Erfahrung zeigt, dass Anfragen und Anregungen an CrossAsia schnell und konstruktiv beantwortet und Bestellwünsche aufgenommen werden. CrossAsia bietet dezentralisierte Schulungen an, die wir in Freiburg für fortgeschrittene Bachelor- und für Masterseminare auch schon genutzt haben. Schließlich gehören zu CrossAsia Angebote, die eher im Bereich der technischen Erschließung digitaler Bestände und technischer Hilfestellungen liegen: Suchfunktionen, individualisierte Profildienste, Einrichtung virtueller Arbeitsgruppen, die Bereitstellung von Editionsverfahren im Rahmen der Digital Humanities usw. CrossAsia erweist sich hier als sehr ambitioniert, gleichzeitig aber weiterhin offensichtlich an den Nutzerinteressen orientiert, wenn wir an die Generation der „digital natives“ denken, aber auch an die Initiativen verschiedener Institute, mit Methoden der Digital Humanities zu arbeiten und wichtige Archivbestände digital zugänglich zu machen. Hier ist ein zentrales Angebot der technischen Hilfestellung mit Sicherheit wertvoll, um sicherzustellen, dass digitalisierte Bestände wirklich sinnvoll genutzt werden können. Ich selbst arbeite nicht in diesen Bereichen und hinke digitalen Neuerungen in der Regel hinterher. Ich fände es aber hilfreich, Konkreteres über genau diese technischen Dienstleistungen von CrossAsia zu erfahren. Welche Vorteile hat der zukünftige Nutzer von den genannten Elementen? Gibt es im Bereich der Digital Humanities bereits Erfahrungen bei konkreten Projekten?

Matthias Kaun: Wir haben in den letzten Jahren mit Hilfe der DFG und auch anderen Fördereinrichtungen wie dem Projektträger des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, dem Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), der Korea Foundation, aber auch den deutschen Instituten, die CrossAsia nutzen, sehr viel realisieren können. Wenn wir ein Buch erwerben, stellen wir es, mit einer Signatur versehen, bei uns ins Regal. Dort wartet es dann, bis es zu einem Ausleihvorgang kommt. Bei den elektronischen Materialien sieht das Ganze ein wenig anders aus. Die schnelle Zugänglichkeit ist für ein überregionales Angebot ein wichtiges Kriterium. Wir haben sehr viel Zeit und Gedanken in unsere Lizenzverträge mit den Anbietern bzw. Rechteinhabern gesteckt. Wir haben i.d.R. dauerhafte Nutzungsrechte, wir haben das Recht auf Archivierung und Hosting, und seit etwa vier Jahren verhandeln wir das Recht mit, dass unsere Nutzerinnen und Nutzer über das Lesen hinaus mit den Daten der elektronischen Ressourcen mehr anfangen dürfen, als nur lesen oder ggf. ausdrucken. Wir werden in der ersten Förderphase des FID eine Art elektronisches Magazin für die Materialien aufbauen und betreiben, das es uns ermöglichen wird, digitale (Voll-)Texte über eine gesicherte Verbindung unseren Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung zu stellen. Wir müssen diese Mechanismen entwickeln, da wir auf der einen Seite die Wissenschaft mit den lizenzierten Inhalten versorgen möchten und gleichzeitig die Einhaltung der Lizenzverträge gegenüber den Rechteinhabern einzuhalten haben. Die lizenzpflichtigen Inhalte können nicht einfach allen zur Verfügung gestellt werden, sondern in unserem Fall nur unseren registrierten Nutzerinnen und Nutzern. Wir haben hier in der Staatsbibliothek ein Konzept erstellt und hoffen, noch in diesem Jahr erste Ergebnisse zu erzielen. Da wir von sehr heterogenen Daten in den unterschiedlichsten Formaten und Kodierungen etc., von Zeitungen, Zeitschriften, vormodernen Texten, Statistiken usw. sprechen, ist klar, dass die Aufgabe nicht klein ist; ich gehe aber schon davon aus, dass wir das schaffen werden. Wir benötigen es aus mehreren Gründen: Zusammen mit dem Max-Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte hier in Berlin, die ein Projekt zu vormodernen chinesischen Lokalchroniken durchführen, sind wir als „Infrastrukturpartner“ mit im Boot. Wir haben – auch mit finanzieller Unterstützung des MPIWG – die Inhalte lizenziert und bieten diese nun prototypisch über eine Schnittstelle den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die am MPI in diesem Projekt forschen, an. Hier werden dann die Inhalte eben nicht mehr „nur“ gelesen, sondern es werden automatisierte Auszeichnungen an den Texten vorgenommen, es werden Inhalte herausgezogen und ggf. neu gruppiert. Alles Dinge, die mit einem normalen, lesenden Zugang zu Texten nicht realisierbar sind. Wir gehen davon aus, nach Ende der ersten Projektphase 2018 dann eine generelle Lösung für die Versorgung der Wissenschaft mit digitalen Inhalten jenseits der Anbieterplattformen für das freiere Arbeiten mit den Materialien anbieten zu können. Ich bin da optimistisch und halte es für sinnvoll und richtig, dass wir zumindest solche wesentlichen Sammlungen für die vormodernen Chinawissenschaften wie die qingzeitliche Schriftensammlung „Siku Quanshu“ oder – dann für die moderne Chinaforschung – die chinesische „Volkszeitung“ (Renmin Ribao) und andere anbieten können. Der Bedarf ist vielleicht heute noch nicht so groß; wir gehen aber davon aus, dass diese Anfragen in Zukunft stärker an uns herangetragen werden – und damit dann auch die Vorteile elektronischer Ausgaben erst wirklich genutzt werden können. Wir müssen dann nicht nur Antworten und Hilfestellungen für unsere Nutzer haben, sondern als Infrastruktureinrichtung auch zukunftssichere Lösungen anbieten können. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich die Lizenzgeber überzeugen, dass wir alles machen, um die Rechte nicht zu verletzen.

Wir gehen auch davon aus, dass die Ergebnisse der Arbeiten mit den digitalen Inhalten – im besten Fall – wieder nach CrossAsia zurückfließen werden, dann natürlich idealerweise im Bereich des Open Access bzw. Open Data. Wir wissen sehr wohl, dass die europäische Forschungslandschaft für den Bereich der Asienwissenschaften extrem heterogen aussieht. Deutschland ist – das darf ich hoffentlich so sagen – im Bereich Informationsinfrastruktur trotzdem gut versorgt. Das alte SSG-System hat genau diesen Zustand zum Ziel gehabt, und wir konnten ihn erfolgreich verwirklichen. In Deutschland haben die WissenschaftlerInnen Zugriff auf Dinge, die sonst vielleicht nur in Harvard oder in Tokyo verfügbar sind. Diese Unausgeglichenheit in Europa, die auch jahrzehntelang in Deutschland für den Bereich der Asienwissenschaften vorherrschte, schwächt einen Forschungsstandort. Andere europäische Länder sind heute deutlich schlechter gestellt. Insofern erhoffen wir uns auch, dass das Arbeiten mit den digitalen Volltexten zumindest im Kleinen, über Open Data, dafür sorgen wird, dass die Ergebnisse aus dem Bereich der digitalen Wissenschaften zu einem Teil die kommerzielle Datenbanken für die weltweite Forschung aufschließen.

Nicola Spakowski: Ich bin allerdings, ehrlich gesagt, skeptisch, ob eine digitale Publikationsplattform wirklich auf Nachfrage stoßen wird. Selbst wenn sich der „Open Access“-Gedanke weiter durchsetzen sollte, würde CrossAsia mit einer Vielzahl anderer Initiativen konkurrieren, sowohl lokalen als auch internationalen. Hier müsste CrossAsia unter Beweis stellen, dass es den in der Regel international orientierten AsienwissenschaftlerInnen das attraktivste Angebot für diese Publikationsform zur Verfügung stellt.

Matthias Kaun: Ich hoffe schon, dass wir uns sowohl im Bereich Open Science, Open Data und eben auch Open Access gut positionieren können und erfolgreich sein werden. Überall da, wo heute Fördergelder von der DFG oder auch der EU genutzt werden, sollten oder müssen die Ergebnisse OA veröffentlicht werden. Mir geht es jetzt nicht darum, den Heidelberger Appell zu thematisieren; aber ich denke, es ist für die Wissenschaft interessant und attraktiv zugleich, wenn die Infrastruktur CrossAsia, die ggf. die Forschung mit ermöglicht hat, auch die Plattform ist, auf der sowohl die Forschungsdaten (auch die benötigen ein Zuhause) als auch die Forschungsergebnisse veröffentlicht, verbreitet und gesichert werden. Und mit CrossAsia E-Publishing gehen wir auch noch einen Schritt weiter und bieten neben der Online-Publikation Print-on-Demand Dienste in Verlagsqualität an. Zudem kann das gedruckte Buch über verschiedene Plattformen, wie buchhandel.de oder Amazon gekauft werden, was die Attraktivität des Angebot für die Wissenschaft steigern wird

H-Soz-Kult: Frau Spakowski, Ihre aktuellen Forschungsprojekte beschäftigen sich mit Konzepten der Zukunft, Feminismus und Frauenbewegung und dem Phänomen der Arbeiterhelden in China. Für unsere breite Leserschaft möchten wir Sie bitten, uns Ihre aktuellen Forschungsthemen etwas näher vorzustellen. Dabei sind wir insbesondere daran interessiert zu erfahren, wie ihre persönliche Recherchestrategie aussieht und welche Bedeutung Sie den bisher zur Verfügung stehenden Informationsangeboten von Bibliotheken und Informationsdienstleistern zumessen.

Nikola Spakowski: Längerfristig arbeite ich an einer Geschichte der Zukunft in China, die von den 1930er-Jahren bis in die Gegenwart reicht. Hier geht es um Zugänge zu Zukunft an Wendepunkten der chinesischen Geschichte, momentan konkret um städtische Zukunftsvorstellungen in den 1930er-Jahren, vor Ausbruch des Krieges mit Japan. Zu diesem Zeitpunkt konkurrierten technokratische Konzepte der Regierung mit Visionen einer sozialistischen Industriegesellschaft, wie sie von vielen städtischen Intellektuellen formuliert wurden. Zwei wichtige Quelleneditionen habe ich bei einem Forschungsaufenthalt in China erworben – hätte sie aber auch über die „Chinamaxx EBook library“ von CrossAsia herunterladen können. Die Zeitschriften- und Zeitungsartikel aus der Zeit beziehe ich aus der Datenbank für die Tageszeitung „Shenbao“ sowie der Zeitschriftendatenbank für die späte Qing- und die Republikzeit (insgesamt 1833-1949), auf die ich ebenfalls über CrossAsia Zugriff habe. Dies gewähreistet zwar keine vollständige, aber doch repräsentative Erfassung der existierenden Quellen.

Ein zweites aktuelles Forschungsthema sind die Arbeiterheldinnen und -helden Chinas von den 1920er- bis zu den 1960er-Jahren, die wir im Rahmen des Freiburger SFB „Helden, Heroisierungen, Heroismen“ mit ihren russischen Pendants vergleichen. Sie haben eine sehr wichtige Funktion als Akteure und Symbole der sozialistischen Transformation im Allgemeinen und der Umstrukturierung der agrarwirtschaftlichen und industriellen Produktion im Besonderen. Das Thema ist in westlichen Sprachen kaum behandelt, und wir stehen selbst noch am Anfang des Projektes. Bisher haben wir uns vor allem einen Überblick über die politischen Rahmenbedingungen und die kommunistische Heldenpolitik verschafft, und zwar vorrangig über chinesischsprachige wissenschaftliche Artikel aus der „China Academic Journals“-Datenbank und über chinesische Dissertationen, die ebenfalls über CrossAsia abgerufen werden können. Neben Interviews arbeiten wir hauptsächlich mit schriftlichen Quellen, die wir teilweise aus Archiven beziehen, teilweise sind sie veröffentlicht. Auch hier sind die Datenbanken von CrossAsia extrem hilfreich. Dies betrifft digitalisierte Quelleneditionen, Datenbanken zur Parteigeschichte, Lokalchroniken, die „Volkszeitung“ als Medium der Propagierung nationaler Helden usw. In China wird sehr viel digitalisiert, sowohl aktuell relevantes als auch historisches Material. Es gibt aber auch Grenzen: Lokal- und Provinzzeitungen sowie populäre Publikationen, z.B. Comicheftchen mit großer Auflage, die alle für das Projekt wichtig sind, sind nicht digitalisiert. Politisch sensibles Material ist grundsätzlich schwer zugänglich, gerade für Ausländer, aber hier können chinesische KollegInnen oft helfen. Die genannten populären oder lokalen Quellen können wir nur in chinesischen Bibliotheken einsehen oder anderweitig in China beschaffen, etwa in Antiquariaten oder von Sammlern. Ein drittes Thema sind Entwicklungen im chinesischen Feminismus, die ich schon lange verfolge, mit einem Untersuchungszeitraum, der von den 1920er-Jahren bis in die Gegenwart reicht. Hier habe ich jüngst einen Beitrag zu aktuellen Diskussionen um das sozialistische Erbe verfasst, also die Frage, ob die Frauenpolitik unter Mao Zedong Frauen lediglich als Arbeitskräfte instrumentalisiert oder echte Fortschritte für Frauen erzielt hat. In Bezug auf aktuelle Debatten spielen natürlich Gespräche mit Aktivistinnen eine wichtige Rolle. Außerdem habe ich mit der genannten „China Academic Journals“-Datenbank derzeit Volltextzugriff auf 10.232 chinesische Fachzeitschriften mit über 56 Millionen einzelnen Artikeln, die seit 1951 veröffentlicht wurden. Für den Zeitraum vor 1949 steht die Volltextdatenbank für Periodika der Jahre 1833 bis 1949 zur Verfügung. Sie ist bei weitem nicht so umfassend und lässt auch keine Volltextsuche zu. Trotzdem kann ich über diese beiden Datenbanken große Teile meines Quellenbedarfs für dieses Projekt abdecken.

H-Soz-Kult: Bitte verraten Sie uns auch noch, welche forschungspraktische Bedeutung das bisherige Sondersammelgebiet Ost- und Südostasien und die Virtuelle Fachbibliothek Ost-, Südost- und Zentralasien (CrossAsia) für Sie hat bzw. hatte.

Nicola Spakowski: CrossAsia ist für mich unersetzlich, und ich nutze das digitale Angebot fast täglich. Den "Blauen Leihverkehr" nutze ich sporadisch. Ich habe in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre studiert, wo kleine, extrem selektiv ausgestattete sinologische Seminarbibliotheken sowie der Sammelschwerpunkt der Staatsbibliothek Berlin, der spezielle Themen eben doch nicht abdeckte, den einzigen Zugang zu chinaspezifischer Literatur in Deutschland darstellten. Lange Rechercheaufenthalte in China waren die einzige Alternative. Gleichzeitig waren die Möglichkeiten in China damals aus anderen – politischen, infrastrukturellen – Gründen ebenfalls sehr begrenzt. Recherchen in chinesischen Archiven und Bibliotheken sind extrem mühsam, und mit der umfangreichen Digitalisierung, die in China selbst vorangetrieben wird, wurde die Quellenbeschaffung deutlich erleichtert. CrossAsia konnte und kann viele forschungspraktische Probleme gut auffangen, wenn auch nicht alle lösen. In jedem Fall haben sich über CrossAsia die Recherchemöglichkeiten in Deutschland immens ausgeweitet. Die Freiburger Sinologie nutzt übrigens CrossAsia auch intensiv in forschungsnahen Seminaren bzw. den zugehörigen Lehrveranstaltungen zur Quellenlektüre, wo bereits unsere fortgeschrittenen Bachelorstudierenden mit originalsprachigen Quellen arbeiten müssen, die Studierenden des Masterstudienganges sowieso. Es handelt es sich dabei um Lexikonartikel, Zeitungsartikel, wissenschaftliche Aufsätze, politische Dokumente und Romane. Wir üben im Kurs zum einen die Benutzung der entsprechenden Datenbanken. Zum anderen geht es um die Erschließung dieser Texte mit den jeweils relevanten Methoden.

Es wäre für mich aber auch sehr interessant zu erfahren, wie sich die Entwicklungen seit den 1980er-Jahren aus Sicht eines Fachbibliothekars darstellen: Inwiefern spiegeln die chinabezogenen Angebote von CrossAsia die chinesische Publikationspolitik wider? Gibt es eine Erklärung für den chinesischen Digitalisierungsboom, und stellt China hier eine Ausnahme dar? Unterscheidet sich China in seiner Lizenzpolitik von anderen Ländern?

Matthias Kaun: In der Tat lassen sich mehrere Schichten des chinesischen Publikationsmarktes – und ich inkludiere hier jetzt auch den taiwanischen Markt – identifizieren. Vor und in den frühen achtziger Jahren waren es vor allem Taiwan und die „chinesischen“ Verlage in den USA, die die Wissenschaft mit Material versorgt haben. Das staatliche chinesische Publikationswesen – und nur das gibt es im Prinzip – erlebte dann in den achtziger Jahren einen starken Aufwuchs. Dies war teilweise dadurch bedingt, dass China eben auch eine Schriftkultur mit einem riesigen Berg an Material ist, das z.B. neu veröffentlicht, neu ediert, neu kommentiert, neu herausgegeben usw. wurde. Viele dieser Veröffentlichungen stehen heute noch immer in den Institutsbibliotheken wie die chinesische Dynastiegeschichten, herausgegeben vom Verlag „Zhonghua shuju“. Die Qualität der chinesischen wissenschaftlichen Veröffentlichungen dieser Zeit bis ins neue Jahrtausend hinein wurde – auch gerade von Seiten der deutschen Wissenschaft – stark bemängelt und kritisiert. Das hat sich heute – sowohl was die Qualität betrifft als auch die Sicht auf die Leistung der chinesischen Wissenschaft – massiv verändert. Unsere Sammlung spiegelt diesen Zustand natürlich wider. Ich war sehr froh, als wir damals nach mehr als vier Jahren Verhandlungen Chinamaxx lizenzieren konnten. Chinamaxx bietet Zugang zu mehr als 700.000 Bänden chinesischer – vornehmlich – wissenschaftlicher Literatur. Es ist klar, dass gerade die Bestände aus der Zeit nach 1945 bis nach der Kulturrevolution in Bibliotheken nur schwach vertreten sind. Diese Lücke konnte z.B. hervorragend durch Chinamaxx mit geschlossen werden.

Wir müssen aber auch feststellen, dass wir in Asien mit völlig verschiedenen Märkten und auch unterschiedlichen Ansichten, was das Verlagswesen angeht, zurechtkommen müssen. Der Markt für wissenschaftliche elektronische Publikationen in Japan ist extrem überschaubar und schwierig. Der Markt ist gekennzeichnet durch einen stark ausgeprägten Konservatismus, der sich am gedruckten Werk festklammert. Der Markt in Korea ist allein aufgrund der Größe des wissenschaftlichen Bereichs im Prinzip überschaubar, aber in den digitalen Entwicklungen sehr aktiv. China stellt hier eine Sonderrolle dar; hier wurde bereits in den 1990er-Jahren des letzten Jahrhunderts von der Regierung eine Roadmap entworfen, die klar die Richtung Digitalisierung vorgab. Insofern ist es verständlich, dass mehrere, heute sehr große und extrem erfolgreiche (meist Staats-)Firmen den Distributionsmarkt für chinesische elektronische Publikationen dominieren. Diese Firmen sind aber keine Verlage, die zu nahezu 100 Prozent Staatsverlage sind und unter Kontrolle der Regierung stehen, sondern Dienstleister, die mit der elektronischen Veröffentlichung der Verlagspublikationen sehr viel Geld verdienen, sowohl auf dem chinesischen Markt als auch im Ausland. Die Verlage beginnen gerade erst, sich mit dem Thema zukunftsorientierte Digitalisierungsstrategien, neue Geschäftsmodelle oder Vertriebswege zu beschäftigen. Der schon genannte wichtige Verlag Zhonghua shuju z.B. kündigt seine ersten elektronischen Bücher erst für 2015/2016 an. Nichtsdestotrotz: Der chinesische Markt ist beeindruckend groß und umfassend, qualitativ nicht immer herausragend, aber – und das ist immer ein gutes Zeichen, finde ich – immer in Bewegung. Das macht unsere Arbeit hier schwerer und aufwendiger, aber es kommen so eben auch Dinge und Nutzungsverträge zustande, die vor 15 Jahren undenkbar schienen.

H-Soz-Kult: Die Geisteswissenschaften unterliegen einer digitalen Transformation, die sich unter anderem in medialen Veränderungsprozessen niederschlägt und zu neuen Formen der Fachinformation geführt hat. Erwarten Sie für sich in den nächsten Jahren eine Hinwendung zu digitalen Publikationsformaten im Open Access?

Nicola Spakowski: Ganz grundsätzlich bietet die Digitalisierung der geisteswissenschaftlichen Forschung viele Chancen, sei es in Form des einfacheren Zugangs zu Quellen, sei es in den Methoden und Arbeitsbereichen der Digital Humanities. Dass am Ende die Plausibilität der Analyse zählt, versteht sich von selbst. Was die digitale Publikation im Open Access anbelangt, so halte ich die Problematisierung der hohen Kosten von Zeitschriftenliteratur für mehr als berechtigt. Ich bezweifle aber, dass Open Access der einzig mögliche Ausweg aus der Krise ist, und halte einen Übergang zu dieser Publikationsform nur im Rahmen einer grundsätzlichen wissenschaftspolitischen und -organisatorischen Wende für praktikabel. Als Chinawissenschaftlerin mit einem speziellen Forschungsprofil bin ich zwangsläufig international ausgerichtet – anders hätte ich keine Leser. Meine Arbeit wird international über Publikationen in englischsprachigen Fachzeitschriften wahrgenommen, die für Qualität stehen und als solche Aufmerksamkeit genießen. Außerdem ist das Publizieren in internationalen Zeitschriften mit anonymem Begutachtungsverfahren ein wichtiger Faktor bei Evaluationen der verschiedensten Art. Ich sehe momentan noch nicht, wie mit Open Access alle Vorteile des alten Systems umfassend gewährleistet wären.

H-Soz-Kult: An Sie beide möchten wir gerne die Frage richten: Wie und wo sind bisher WissenschaftlerInnen der verschiedenen Bereiche der Asienwissenschaften in die Entwicklung von Online-Diensten bzw. in den FID involviert? Gibt es eigenständige Initiativen aus dem Fach heraus oder erfolgt die Entwicklung primär in Kooperation mit Archiven und Bibliotheken?

Nicola Spakowski: Ich kann hier nur für die Sinologie sprechen, für welche die Tatsache, dass das Fach sich nicht in einem einheitlichen Fachverband, sondern in mehr oder weniger stark institutionalisierten Netzwerken organisiert, die Kommunikation und Kooperation zwischen FID und Fachcommunity sicherlich erschwert. Eine eigenständige und vor allem einheitliche Initiative aus dem Fach heraus gibt es deshalb nicht. CrossAsia hat den Austausch mit VertreterInnen des Faches über Veranstaltungen in Berlin und die Präsenz bei großen Konferenzen gesucht. Ansonsten erfolgt die Kommunikation meines Wissens individuell, mit einzelnen FachvertreterInnen oder BibliothekarInnen. Insgesamt ist mein Eindruck, dass sich CrossAsia von beiden Richtungen her entwickelt, dem Angebot, das seitens des FID entwickelt wird, und den Nachfragen seitens der FachvertreterInnen. Aber hier kann Herr Kaun mit Sicherheit besser Auskunft geben.

Matthias Kaun: Kommunikation und Austausch von Information ist immer wichtig und ebenso schwierig zu realisieren, wenn man mal die bilateralen Gespräche außer Acht lässt. Selbst Kommunikation mit und über Fachverbände ist keine Garantie für einen Austausch. Vor allem habe ich im Laufe der Jahre gelernt, dass Öffentlichkeitsarbeit, die sich an den Services orientiert, extrem wichtig ist. Hervorragende Angebote können toll und wichtig sein, aber wenn sie keiner kennt, erzielen sie nicht ihre Wirkung. Wir kommen von der inhaltsbezogenen Angebotsseite und versuchen, diese Angebote dann aktiv zu vermitteln, sei es im Rahmen von Kursen an den Instituten, sei es heute verstärkt über Videokonferenzen oder eben auch Telefonate oder Email. Wir garantieren eine Ansprechbarkeit bei Wünschen, Anregungen – und vor allem auch bei praktischen Problemen mit oder Orientierung in den Angeboten. Wir versuchen gleichzeitig auch über verschiedene elektronische Medien, auf die Angebote aufmerksam zu machen. Und das ist weniger einfach, als es sich anhört, weil es eben schwierig ist, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wir versuchen aber vor allem zu vermeiden, unsere Nutzerinnen und Nutzer in unsere Probleme und Aufgaben einzubeziehen, sondern möchten mit einem herausragenden Angebot überzeugen. Rückkoppelungen und Anregungen seitens der Nutzerinnen und Nutzer sind für uns sehr wichtig und mehr als willkommen; gleiches gilt für Kritik und Lob. Wir werden jetzt im FID einen Fachbeirat etablieren, der unsere Arbeit enger begleiten wird. Viele der Fachbeiratsmitglieder sind dann „Gesandte“ der Fachverbände. Wir werden sehen, ob sich auf diesem Wege die Kommunikation und der Austausch mit den verschiedenen Ausrichtungen von Forschung und Lehre in den deutschen Asienwissenschaften sicherer gestalten werden.

H-Soz-Kult: In den Asienwissenschaften werden wie in anderen Regionalwissenschaften auch verschiedene disziplinäre Zugänge miteinander verbunden. Schlägt sich das in der Struktur der FID-Angebote (Datenbankauswahl etc.) nieder? Sind bestimmte regionale, disziplinäre und thematische Felder stärker präsent als andere? Welche fachspezifischen Charakteristika sind besonders passfähig zu den FID-Angebote, welche sind darin kaum zu bedienen?

Nicola Spakowski: In der Tat zeichnen sich die Regionalwissenschaften durch besondere Heterogenität aus: Ein sinologisches Institut kann eine Historikerin, eine Literaturwissenschaftlerin und eine Ökonomin als Fachvertreterinnen umfassen. Und es gibt den grundsätzlichen Unterschied zwischen den philologischen und den disziplinär definierten Ansätzen (Geschichts-, Politik-, Literaturwissenschaft usw.). Mein Eindruck ist, dass das Angebot von CrossAsia im Bereich China einigermaßen ausgewogen ist, wobei die Geisteswissenschaften sehr gut bedient werden, die quantitativ arbeitenden Sozialwissenschaften eher weniger. Auch KollegInnen, die mit audio-visuellen Quellen arbeiten, kommen über CrossAsia bisher nicht besonders weit. Typisch für die China-Forschung und insbesondere die chinabezogene Geschichtswissenschaft ist vielleicht, dass es außerordentlich viele unbearbeitete Themen gibt, denen sich SinologInnen gerne zuwenden. Die bloße Erschließung und Erstauswertung neuer Quellen – von denen viele ja noch gar nicht lange zur Verfügung stehen – spielt eine wichtige Rolle in der Sinologie, und hier ist CrossAsia als Datenbanksammlung natürlich sehr passend. Herr Kaun hat vielleicht noch bessere Möglichkeiten, diese Frage im Vergleich zu anderen Disziplinen zu beantworten. Überdies würde mich interessieren, wo er selbst Erweiterungsbedarf und -möglichkeiten in der Bereitstellung von Ressourcen für die Asienwissenschaften sieht.

Matthias Kaun: Unser Anspruch ist, sowohl die Heterogenität der Region, der Märkte und eben auch die Ausdifferenzierung und Heterogenität der Wissenschaft, die sich mit Asien beschäftigt, zu berücksichtigen. Das funktioniert im Bereich des klassischen Fächerkanons ganz gut. In den letzten Jahren konnten wir auch die verstärkten Nachfragen aus dem Bereich Rechtswissenschaft oder Wirtschaft abdecken. Nicht richtig hinterher kommen wir – vor allem aus Gründen des zur Verfügung stehenden Etats – bei großen Wirtschaftsdatenbanken, für die i.d.R. auch keine dauerhaften Nutzungsrechte eingeräumt werden, die aber gleichzeitig horrend kostenintensiv sind. Wenn es einen formulierten Bedarf gibt, z.B. an wirtschaftlichen oder an audiovisuellen Materialien, dann sind wir dem gegenüber aber sehr aufgeschlossen. Wir könnten hier unsere Angebote wirklich ausweiten. Ich möchte aber nicht vermeiden zu betonen, dass wir nur eine Infrastruktureinrichtung sind, die vor allem im Zusammenspiel mit den Institutsbibliotheken ihre Wirkung entfaltet. CrossAsia ist geplant und gedacht als komplementärer Baustein einer Infrastruktur für asienbezogene Wissenschaft.

H-Soz-Kult: Abschließend möchten wir gerne noch erfahren, welche Veränderungen Sie aus Ihrer jeweiligen Perspektive nach der Bereitstellung der neuen FID-Angebote erwarten und welche Wünsche und Vorschläge Sie an eine Weiterentwicklung des FID CrossAsia - Asien knüpfen.

Nicola Spakowski: Ich sehe keinen gravierenden Einschnitt im Übergang zum FID. CrossAsia existiert, wie gesagt, schon lange und hat sich stetig weiterentwickelt, und zwar entlang der Interessen der NutzerInnen. Mein Eindruck ist, dass mit dem Übergang zum FID die technischen Dienstleistungen optimiert werden sollen, und dies ist ja durchaus begrüßenswert. Es bestehen angesichts begrenzter Ressourcen natürlich gewisse Gefahren – Weiterentwicklung der Technik auf Kosten des Ausbaus von Beständen, Berücksichtigung sehr individueller Nutzerinteressen auf Kosten allgemein relevanter Angebote –, aber es gibt in der Praxis von CrossAsia, wie ich es beobachte, bisher keinen Anlass zur Sorge. Dennoch muss weiter diskutiert werden, wie der FID CrossAsia dem speziellen Fall der Sinologie als einer heterogenen Disziplin ohne Fachverband am besten gerecht werden kann. Ich frage mich außerdem, ob es Möglichkeiten der internationalen Kooperation gibt, mit denen das notwendigerweise doch begrenzte Angebot von CrossAsia erweitert werden könnte. Außerdem stellt sich die Frage, ob CrossAsia Unterstützung dabei leisten könnte, die durchaus wichtigen Bestände einzelner deutscher sinologischer Institutsbibliotheken besser zugänglich zu machen. Einige Institute verfügen über Schenkungen, Spezialsammlungen oder sind gerade mit digitalen Archivierungsprojekten befasst. Könnte sich CrossAsia hier nicht sinnvoll einbringen?

Matthias Kaun: Da schneiden Sie Themen an, die wir vor einigen Jahren versucht haben, konkret anzugehen. Dies mündete dann in einen DFG-Antrag, der nicht gefördert werden konnte. Wie ich aber schon sagte: CrossAsia ist komplementär zu den Instituten, die uns maßgeblich nutzen. Insofern wäre es – wie Sie sagen – wichtig, die auch in den Institutsbibliotheken vorhandenen Materialien zumindest erst einmal sichtbar zu machen. Das klingt einfach, ist aber schwierig, da dieses Sichtbarmachen eben Kosten verursacht; im Prinzip dauerhafte Kosten auf Seiten der Universitäten. Aber genau hier wollten wir damals ansetzen und den Bereich der Retrokonversion oder den Nachweis von originalschriftlicher Literatur in Deutschland, so wie z.B. in den USA, zu etablieren. Wir sind leider noch sehr weit davon entfernt. Nichtsdestotrotz unterstützen wir, wo wir können, und nehmen z.B. auch Nachlässe oder Sammlungsteile aus anderen Bibliotheken auf oder helfen bei Bedarf mit Rat bei Retrokonversionsprojekten.

Was den Bereich der Forschungsdaten angeht, stehen wir sehr gerne sowohl als Ansprechpartner als auch als „Archivierungsinfrastruktur“ zur Verfügung. Auch wir haben da, wie viele andere, bislang noch wenig praktische Erfahrung, da es sich um einen relativ neuen Bereich handelt. Wir sehen aber die Aufgabe und werden hier bei Bedarf als Infrastruktur zur Verfügung stehen und eine Lösung finden.

Ich hatte bereits vorhin auf die Unausgewogenheit in Europa hingewiesen: CrossAsia ist für die deutsche Wissenschaft und eben nicht für die belgische oder die schweizerische. Wir sehen diese Unausgewogenheit sehr kritisch und versuchen auch hier, uns einzubringen. Wir bieten z.B. an, sich über europäische Konsortien, die wir verhandeln und organisieren, an Lizenzierungen zu beteiligen. Wir verfügen über gute Kontakte und die Erfahrung im Lizenzgeschäft und stellen das gerne zur Verfügung. Leider ist die Lage in den europäischen Asienbibliotheken bzw. -sammlungen finanziell wenig erfolgsversprechend. Gleichzeitig behindern nationale Bedingungen den Aufbau und Betrieb oder auch nur die Kostenübernahme für disziplinspezifische Plattformen wie CrossAsia. Hier hat die DFG im Bereich der Sondersammelgebiete und jetzt Fachinformationsdienste wirklich ein einmaliges und gleichermaßen erfolgreiches und wichtiges Programm etabliert und gefördert. Das gibt es eben nicht in Belgien, der Schweiz oder Schweden.

Die Staatsbibliothek als Träger von CrossAsia ist natürlich international vernetzt. Wir haben enge Beziehungen zu Bibliotheken und Verlagen in Asien, wir kennen die Vertriebswege und man kennt uns. Aus Erfahrung wissen wir, dass Kooperationen – gerade internationale – extrem wichtig und gleichzeitig arbeitsaufwendig und schwierig sind. Wir haben uns intern vorgenommen, uns hier noch stärker vor allem in Ostasien zu vernetzen. Das wird mit Sicherheit ein längerer Prozess sein, in den wir auch gerne den neuen Fachbeirat von CrossAsia miteinbeziehen möchten. In Zeiten der elektronischen Zugänglichkeit von Materialien und nationalen Digitalisierungsprojekten können solche internationalen Kooperationen ihren wahren Charme voll entfalten.

Was damit aber eben nicht beantwortet werden kann, ist die Frage, wie wir die Nutzung internationalisieren können. Wir haben hier Ideen und entwickeln Strategien, wie z.B. das Angebot internationaler Konsortien. Der Unterschied zu anderen FID, die für andere wissenschaftlichen Bereiche zuständig sind, ist der, dass in unserem Fall selbst der Zugang zu eigentlich selbstverständlichen Inhalten in anderen Ländern nicht flächendeckend gesichert ist. Das bringt große Probleme mit sich, nicht nur im Bereich internationaler Kooperation. Gerade in diesem Feld sind dann Angebote wie Konsortien ein kleiner Schritt; wenn es aber den Einrichtungen an den Mitteln mangelt, müssen auch, parallel zu den existierenden, neue Versuche unternommen werden, um diesen Missstand der Unausgewogenheit zu minimieren. Da möchten wir CrossAsia auch zukünftig stärker positionieren, denn wir nehmen gerade bei all den internationalen Anfragen auch die Potentiale wahr, die hinter diesem durch die öffentliche Hand geförderten und betriebenen Angebot CrossAsia stehen. Klar ist aber auch: Auch CrossAsia bedarf eines gesicherten Betriebs- und Finanzierungsmodells.