Forum: M. Moravetz-Kuhlmann (BSB München) / M. Effinger (UB Heidelberg): FID Altertumswissenschaften - propylaeum

Von
Monika Moravetz-Kuhlmann, Bayerische Staatsbibliothek; Maria Effinger, Universitätsbibliothek Heidelberg

Zum derzeitigen Entwicklungsstand und den Perspektiven des FID Altertumswissenschaften – Propylaeum haben wir Fragen an die Projektkoordinatorinnen Maria Effinger von der Universitätsbibliothek Heidelberg und Monika Moravetz-Kuhlmann von der Bayerischen Staatsbibliothek München (BSB) gerichtet.

H-Soz-Kult: Vielen Dank an Sie beide für Ihre Bereitschaft zu einem Resümee des derzeitigen Standes im Fachinformationsdienst Altertumswissenschaften - Propylaeum. Können Sie uns kurz den Werdegang des FID und wichtige Informationsangebote skizzieren?

Im Rahmen der DFG-Förderlinie „Fachinformationsdienste (FID) für die Wissenschaft“ haben die Bayerische Staatsbibliothek München und die Universitätsbibliothek Heidelberg die ehemaligen Sondersammelgebiete Ägyptologie, Archäologie, Alte Geschichte, Byzantinistik, Klassische Philologie, Mittel- und Neulateinische Philologie sowie Vor- und Frühgeschichte in einen leistungsstarken Fachinformationsdienst überführt. Propylaeum, der Fachinformationsdienst Altertumswissenschaften, hat in seiner ersten Förderphase (2016-2018) in engem Austausch mit der Fachwissenschaft die überregionale Bereitstellung gedruckter und digitaler Medien deutlich verbessert und ein attraktives Angebot an fachspezifischen Dienstleistungen aufgebaut.

PropylaeumSEARCH wurde und wird im Rahmen des FIDs zu dem zentralen Rechercheinstrument für die Altertumswissenschaften ausgebaut, indem weitere maßgebliche Datenquellen eingebunden und deren Suchergebnisse noch stärker miteinander vernetzt werden. Bereits jetzt ist die in den Altertumswissenschaften relevante Gnomon Bibliographische Datenbank vollständig und tagesaktuell über PropylaeumSEARCH recherchierbar. Dazu wurde/wird in einem eigenen Teilprojekt des FID die Gnomon Bibliographische Datenbank in den Verbundkatalog B3Kat migriert. Für den Thesaurus wurde eine eigene Library als Normdatei in der Verbunddatenbank eingerichtet. Die Migration der Daten für die verschiedenen Publikationstypen erfolgte größtenteils im ersten Halbjahr 2018 und wird bis Ende 2018 komplett abgeschlossen sein. Bereits seit April 2018 erfolgt die Datenerfassung direkt in der Verbunddatenbank B3Kat.

Für die Einbindung in PropylaeumSEARCH vorgesehen sind außerdem einschlägige Fachausschnitte der Regesta Imperii Online sowie die Heidelberger Multimediadatenbank heidICON. Darüber hinaus sollen die in einem Kooperationsprojekt mit dem Deutschen Archäologischen Institut (DAI) in der ersten Förderphase des FID mit dem iDAI.gazetteer erzielten Ergebnisse konsolidiert, ausgebaut und im Rahmen von PropylaeumSEARCH zu einem kartenbasierten Sucheinstieg weiterentwickelt werden.

Neben diesen inhaltlichen Erweiterungen werden auch die Funktionalitäten und der Nutzungskomfort der Literaturrecherche in PropylaeumSEARCH laufend substantiell verbessert; vorgesehen sind in diesem Kontext verbesserte Sucheinstiege, Verbesserungen an den Authentifizierungs- und Personalisierungsfunktionen sowie Verbesserungen bei der Nachnutzbarkeit von Suchergebnissen.

Um die NutzerInnen von Propylaeum automatisch und regelmäßig über Neuerwerbungen des FIDs im Printbereich sowie über neue Angebote unter anderem von fachrelevanten Datenbanken, E-Journals, E-Books oder Retrodigitalisaten informieren zu können, ist der Profildienst my.propylaeum eingerichtet worden. Dort können sich die NutzerInnen nach erfolgter Registrierung individuell ihr gewünschtes Portfolio zusammenstellen und festlegen, ob sie täglich, wöchentlich, monatlich oder quartalsweise per Mail oder RSS-Feed über die jeweiligen Neuzugänge informiert werden wollen.

H-Soz-Kult: Welche Informationsressourcen stellen Sie im FID bereit und welche Lizenz- und Erwerbungsmodelle haben Sie hierfür entwickelt; wie gestaltet sich der Übergang vom umfassenden SSG-Erwerbungsmodell zum nutzungs- bzw. bedarfsgesteuerten Betrieb?

Da AltertumswissenschaftlerInnen primär mit Texten und Bildmaterial arbeiten, werden die UB Heidelberg und die BSB München auch weiterhin der Bereitstellung von gedruckten und digitalen Informationsressourcen besondere Aufmerksamkeit schenken. Im Fokus der dafür notwendigen Weiterentwicklung und Profilbildung steht neben der Fortführung des systematischen Bestandsaufbaus vor allem der Ausbau der Online-Verfügbarkeit. Gemäß der ‚e-first‘-Policy der FID-Förderlinie wurde im ersten Förderzeitraum für die Altertumswissenschaften eine E-Medien-Strategie entwickelt, die sich an den spezifischen Anforderungen des Fächerspektrums orientiert und dem Nutzerverhalten im Hinblick auf elektronische Ressourcen Rechnung trägt. Für einen beschränkten Nutzerkreis von 500 WissenschaftlerInnen aus der altertumswissenschaftlichen Community konnte ein attraktives Lizenz-Angebot von eBooks und Datenbanken namhafter Verlage bereitgestellt werden, das nun weiter ausgebaut werden soll. Dabei werden in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für Lizenzierung (KfL) unterschiedliche Lizensierungsmodelle verfolgt: Neben dem klassischen Kauf von eBooks (Bsp. die Sammlung Classical Studies von Oxford University Press) wird auch ein PDA-Modell (Patron-Driven-Acquistion) erprobt. Hierbei können registrierte User über die Plattform E-Book Central aus 250, größtenteils englischsprachigen Neuerscheinungen der Verlage Brill, Mohr Siebeck, Princeton University Press, Wiley Blackwell u.a. auswählen. Erst bei einem Download oder längerer Ansicht des Produktes durch den User wird dieses allgemein erworben und steht dann auch den anderen Teilnehmern der Fachcommunity zur Verfügung. Eine andere Form der nutzergesteuerten Erwerbung stellt die ‚Evidence Based Selection (EBS)‘ dar, bei welcher der FID gemeinsam mit dem Verlag vorab eine Summe festlegt, die nach Ablauf einer bestimmten Lizenzlaufzeit eingesetzt wird. Der Verlag schaltet dann alle zur Verfügung stehenden E-Books des Faches frei. Nach Ablauf der Frist entscheidet die Bibliothek anhand der vorliegenden Nutzungsstatistiken, welche Titel dauerhaft für den FID erworben werden sollen. Über dieses Modell werden derzeit Verhandlungen mit Cambridge University Press geführt. Der Zugriff auf die Byzantinische Bibliographie Online von DeGruyter wurde in Form einer Subskription realisiert, die in der kommenden Förderphase des FID weitergeführt werden kann und damit dauerhafte Nutzungsrechte an der BSB München verankert lässt.

Obwohl es gelungen ist, beinahe alle Produkte aus dem Antrag im Berichtszeitraum zur Verfügung zu stellen, ergaben sich Herausforderungen insbesondere dort, wo sich – ungeachtet der bereits geführten Vorverhandlungen – herausstellte, dass die Anbieter das FID-Konzept bei den ersten Gesprächen noch nicht komplett erfasst hatten, so dass Preisvorstellungen nach oben korrigiert wurden oder auch eine starke Zurückhaltung bezüglich eines Abschlusses zu spüren war. Auch gestalteten sich die Vertragsverhandlungen im Detail vielfach schwierig, da etwa die Einbettung der FID-Richtlinien ein Hindernis für manchen Anbieter darstellte. Im Falle der E-Book-Plattform MyiLibrary kam es während der Verhandlungen zu einem Verkauf des Anbieters, so dass dem FID ein völlig neuer Vertragspartner gegenüberstand. Darüber hinaus wurde die Plattform auf ProQuest E-Book Central umgestellt, was zu weiteren Verzögerungen in der Bereitstellung führte. Nicht unerheblich waren zudem die zu leistenden Aufwände für den Nachweis der Inhalte (Metadaten anfordern und aufarbeiten, Auslieferung der Daten an Verbünde sowie das Einrichten von Produktsigeln).

Mit einer E-Book-Fernleihe beabsichtigt der FID, die ‚e-first‘-Policy im Bereich der digitalen Monographien in der Breite zu unterstützen. Aufsetzend auf dem deutschlandweit bewährten System für gedruckte Bücher und Zeitschriftenartikel hat die BSB gemeinsam mit dem BVB ein technisches System entwickelt, das den sicheren Transfer der Daten von der gebenden Bibliothek zum Nutzer einer nehmenden Bibliothek gewährleistet. Diesem wird der Zugriff auf das E-Book für zwei Wochen auf einem gesicherten Server zur Verfügung gestellt und anschließend wieder gelöscht. Aufgrund technischer Probleme anderer Verbünde konnte das Angebot zunächst nur in Bayern realisiert und für eine Ausweitung auf Baden-Württemberg projektiert werden. Die zentralen Komponenten der Lizenz- und Bestellverwaltung, sowie die dafür notwendige Auslieferungskomponente wurden bereits umgesetzt. Ein Konzept für die Einbindung in die Portale der FIDs liegt ebenfalls bereits vor und ist zur zeitnahen Realisierung eingeplant.

Für Portalbenutzer bietet der FID in Form eines Webformulars einen Wunschbuch-Service an, über welchen auf Nutzerwunsch hin gemeinfreie bzw. urheberrechtlich geklärte Werke, vergriffene Bücher deutscher Verlage oder eigene Publikationen digitalisiert und zur Verfügung gestellt werden können. Hierdurch kann rasch auf den aktuellen Bedarf an Forschungsliteratur reagiert werden.

H-Soz-Kult: Welche Rolle spielen elektronische Publikationen in Ihrem FID? Lassen sich ggf. Veränderungen in Ihrem Angebotsportfolio hin zu digitalen Ressourcen bereits in einem veränderten Nutzerverhalten messen?

Die Aktivitäten im Bereich des elektronischen Publizierens im Open Access in Propylaeum haben in der ersten Förderphase einen deutlichen Ausbau sowie eine Stärkung der „Marke“ erfahren. Auf PropylaeumDOK können einzelne Monographien und sogar ganze Publikationsreihen per Open Monograph Press von den WissenschaftlerInnen selbst publiziert und allgemein zugänglich gemacht werden. Alleine 2017 wurden insgesamt 405 weitere Publikationen freigeschaltet; zahlreiche neue Schriftenreihen konnten aufgebaut werden. Ende September 2018 stellt Propylaeum-DOK somit rund 4.000 Dokumente bereit. Monatlich belegen durchschnittlich 25.000 qualifizierte Downloads die Akzeptanz des Angebotes.

Im Rahmen von Propylaeum-eJournals wiederum wird die Transformation bislang gedruckt erschienener altertumswissenschaftlicher Zeitschriften in elektronische Open-Access-Zeitschriften bzw. die Neuherausgabe genuiner E-Journals mit Hilfe der Software Open Journal Systems (OJS) unterstützt. Insgesamt werden aktuell 29 E-Journals über Propylaeum gehostet, weitere sind in Vorbereitung. Für jede der neuen Zeitschriften wird in enger und individueller Absprache mit den Herausgebern das jeweilige Layout umgesetzt sowie die Veröffentlichungsbedingungen geklärt. Zudem wird vom Heidelberger Projektteam das Scannen der Backfiles, ggf. die sehr zeitaufwändige individuelle Rechteklärung mit den Autoren, die Bearbeitung der PDF-Dateien, die Metadatenerfassung, die DOI/URN Registrierung sowie die Katalogisierung im SWB/ZDB/EZB übernommen. Für dieses Angebot konnten im Jahr 2017 ca. 813.500 Artikeldownloads registriert werden.

Darüber hinaus stehen auf Propylaeum-eBOOKS aktuell bereits über 100 Bände zur Verfügung, die mit ISBN-Nummern und DOIs ausgestattet sind. Bei den Titeln handelt es sich zum einen um die retrospektive Onlinestellung von Schriftenreihen (Grüner Weg) (u.a. „Archäologische Berichte“ (Backfiles) und der DGUF oder das „Corpus der minoischen und mykenischen Siegel), für die auch die Digitalisierung vom Heidelberger Projektteam übernommen wurde, aber auch um elektronische Erstveröffentlichungen (u.a. „Archäologische Berichte“, „Archäologische Quellen“, Daidalos, Einzelveröffentlichungen). 2017 wurden ca. 16.000 qualifizierte Downloads auf die Bände registriert.

Zusätzlich zu diesen Angeboten befindet sich als Erweiterung der etablierten Rezensionsplattform recensio.net mit recenscio.antiquitatis ein Open Access-Aggregator für Rezensionen altertumswissenschaftlicher Neuerscheinungen im Aufbau. Über recensio.antiquitatis können User nun in den Rezensionen namhafter Zeitschriften und anderer Rezensionsorgane beispielsweise gezielt nach Themen, Autoren, aber auch nach Schlagwörtern suchen. Erste Kooperationen konnten mit zehn Zeitschriften begründet werden; insgesamt werden bereits ca. 1.350 Rezensionen online bereitgestellt.

H-Soz-Kult: Wie wurde die Fachcommunity einbezogen? Welche Rolle übernehmen Fachverbände und Beiräte?

Bei all seinen Aktivitäten steht der FID in ständigem Austausch mit der Fachcommunity. Kontinuierlich wird die Arbeit des FIDs durch den Wissenschaftlichen Beirat begleitet. Dieser besteht aus mindestens einer/m renommierten WissenschaftlerIn aus dem Fächerspektrum des FIDs und trifft sich jährlich zu einem Beiratstreffen an einer der beiden Heimatbibliotheken der FID-Partner. Darüber hinaus finden Workshops statt, in denen gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Beirat, den kooperierenden AltertumswissenschaftlerInnen, VertreterInnen der Verbände, aber auch bislang noch nicht mit dem FID zusammenarbeitenden VertreterInnen des Fachs sowie mit NachwuchswissenschaftlerInnen das Dienstleistungsangebot des Fachinformationsdienstes evaluiert, nachjustiert und weiterentwickelt wird. Das Angebot des FIDs wird zudem stetig durch Informationsveranstaltungen an Universitäten und altertumswissenschaftlich relevanten Instituten weiter bekannt gemacht, Anregungen und Wünsche aus der Fachcommunity werden per E-Mail, über den Propylaeum-Blog sowie über Facebook und Twitter kommuniziert.

Um die sich stetig weiter entwickelnden technischen Möglichkeiten der „Digital Classics“ mehrwertstiftend für Propylaeum nutzbar zu machen, sollen in diesem Aktionsfeld Kooperationen an der Schnittstelle zwischen Informatik und Altertumswissenschaften eingegangen und mittels innovativer Tools erprobt werden. Propylaeum wird sich so schrittweise von einer anspruchsvollen digitalen Informations- und Rechercheplattform zu einer nachhaltig betriebenen, virtuellen Arbeitsumgebung für die digitalen Altertumswissenschaften entwickeln.

Auf nachdrücklichen Wunsch der Fachcommunity sollen zunächst die am Lehrstuhl für Alte Geschichte der Universität Leipzig entwickelten Analysetools eAQUA und eComparatio, bei denen es sich um Module zur Suche von Zitaten bzw. zum Vergleich von Editionen handelt, in Propylaeum integriert werden, um deren Nachhaltigkeit im FID-Kontext zu gewährleisten.

H-Soz-Kult: Welche Ziele und Perspektiven sehen Sie für Ihren FID, wie wird der weitere Ausbau gestaltet?

In der nun anstehenden zweiten Förderphase wird besonderer Wert auf die Nachhaltigkeit und Konsolidierung des bestehenden Informationsangebots gelegt; die Schaffung von Mehrwerten wird sich dabei vor allem auf die von den Antragstellern in den letzten Jahren erworbenen Kompetenzfelder „Bereitstellung von Informationsressourcen“, „Suchtechnologie“, „Elektronisches Publizieren“, „Retrodigitalisierung und Onlinepräsentation forschungsrelevanter Medienbestände“ sowie „Wissenschaftskommunikation“ konzentrieren.

Ziel der zweiten Förderphase ist es, noch flexibler, nachfrage- und serviceorientierter auf die Anforderungen der Wissenschaftler reagieren zu können. So soll mit der Weiterentwicklung der dynamischen und kollaborativen Publikationsmöglichkeiten der Ausbau der Publikationsformate betrieben werden. Strukturierte wissenschaftliche Texte sollen mit Bildern, Karten oder 3D-Visualisierungen verknüpft werden können. Durch eine ontologiebasierte Datenhaltung in einem Triple Store stehen Forschungsergebnisse mittels Linked Data 1weltweit zur Verknüpfung mit anderen Datenrepositorien bereit. Erste Versuche wurden hierbei in der ersten Projektphase mit dem Aufbau des kollaborativ betriebenen, biographischen Informationssystem Propylaeum-Vitae gemacht. In der zweiten Projektphase soll diese Form des semantischen Publizierens weiter erprobt und ausgebaut werden. Am Ende des Prozesses sollen Werkzeuge und Lösungen für alle Bereiche des wissenschaftlichen Publikationsprozesses im Open Access bereitstehen.

Anmerkung:
1 Unter Linked Open Data (LOD) werden im WWW frei verfügbare Daten verstanden, die über eine URL identifizierbar sind, direkt abgerufen werden können und über URLs mit weiteren Daten verknüpft werden können.