Historikertag 2004: Geschichtsdidaktik

Von
Katja Gorbahn, Universität Siegen

Besprochene Sektionen:

"Mit Schülern Kulturlandschaften lesen – Medien, Methoden, Unterrichtserfahrung"
"Die doppelte deutsche Nachkriegsgeschichte als wissenschaftliches und fachdidaktisches Problem"
"Geschichtskultur im Umbruch: Neue Standards und global orientiertes Geschichtsbewusstsein"
"Geschichtsprojekte in Schule und Hochschule - theoretische Überlegungen und praktische Beispiele"
"Sprache im Geschichtsunterricht"

Zahlreiche Brücken wurden geschlagen in den fünf geschichtsdidaktischen Sektionen des Kieler Historikertags, gehören doch Brückenschläge zum Kern einer Disziplin, die sich nicht nur in engem Bezug zu den Fachwissenschaften konstituiert hat, sondern auch in hohem Maße an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxisbezug, Schule und Hochschule angesiedelt ist - eine nicht immer spannungsfreie, allemal aber spannende Kommunikationssituation.

Eine systematischere Berücksichtigung des Raumes als konstitutiver Kategorie des historischen Denkens scheint nicht zuletzt im Hinblick auf die schwierige Diskussion um den Identitätsbegriff sinnvoll, die auch in der Geschichtsdidaktik noch keineswegs abgeschlossen ist. So war es sicher kein Zufall, dass dieser Aspekt des Tagungsthemas auf unterschiedlichen Ebenen ausgeleuchtet wurde: Den Begriff der "Kulturlandschaft" suchte die von Bettina Alavi und Gerhard Henke-Bockschatz geleitete Sektion mithilfe zahlreicher Unterrichtsbeispiele auf regional- bzw. lokalhistorischer Ebene fruchtbar zu machen, dem schwierigen Problem der Konzeptualisierung der "doppelten" deutschen Nachkriegsgeschichte widmete sich Christoph Kleßmanns Sektion und schließlich eröffnete die Sektion "Geschichtskultur im Umbruch" unter der Leitung von Peter Lautzas globale Perspektiven - nur als Randnotiz sei hier hinzugefügt, dass sich die nächste Jahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik voraussichtlich der europäischen Dimension des Geschichtsbewusstseins widmen wird. Deutlich wurde in den Sektionen immer wieder, dass diese unterschiedlichen Dimensionen sich keineswegs ausschließen, einander vielmehr bedingen bzw. füreinander fruchtbar gemacht werden können (und müssen).

Geschichte im Raum zu entdecken und gestaltete Landschaft als historische Quelle zu nutzen impliziert die Fähigkeit, die Grenzen zwischen Natur und Kultur in ihrem Wechselverhältnis differenziert wahrzunehmen und Landschaft historisieren zu können. Der Frage, wie entsprechende Kompetenzen entwickelt werden können, wie Schülerinnen und Schüler Kulturlandschaften also historisch "lesen" lernen können, näherte sich die Sektion "Mit Schülern Kulturlandschaften lesen - Medien, Methoden, Unterrichtserfahrungen" von ganz konkreten Beispielen her, in denen unterschiedliche methodische Verfahren genutzt wurden. Bettina Alavi erläuterte die Chancen eines Zugangs über die neuen Medien: Heidelberger Lehramtsstudierende erstellten im Rahmen eines Projekts zur Kurpfalz eine CD-ROM. Indem das Medium durch die Visualisierung verschwundener Landschaft und portionierte Erläuterungen einen Vergleich zur Gegenwart ermöglicht, kann die durch menschliche Eingriffe bewirkte Veränderung virtuell erfahrbar und in ihrer Abhängigkeit von gesellschaftlichen Faktoren nachvollziehbar gemacht werden. Das von Gerhard Henke-Bockschatz vorgestellte Projekt, bei dem Schüler der 11. Klasse den Rheingau erkundeten und auf landschaftsprägende Kräfte hin untersuchten, zeigte auf, wie ein Zugang über unmittelbare Landschaftserfahrung aussehen kann. Dass mit Volker Albrecht und Maik Böing auch Geografiedidaktiker einbezogen wurden, erscheint bei dem Thema Landschaft fast unverzichtbar. Ihr Projekt, bei dem Schülerinnen und Schüler sich in Köln und Straßburg auf die Suche nach europäischen Entwicklungslinien in mittelalterlichen Stadtbildern machten, ermöglichte einen Einblick in Herangehensweisen und methodisches Repertoire einer Disziplin, zu der es von Seiten der Geschichtsdidaktik zahlreiche Berührungspunkte gibt. Hervorgehoben sei hier die Methode des sog. "Croquis", mit dessen Hilfe Veränderungen in Grundrissen in einer Weise erfasst werden können, die in hohem Maße zur Suche nach historischen Erklärungen herausfordern dürfte. Auf einer anderen Ebene als die genannten Beiträge bewegte sich der Ansatz Saskia Handros. Mithilfe eines differenzierten analytischen Instrumentariums und unter Nutzbarmachung des Begriffs der Erinnerungslandschaft analysierte sie Schülerarbeiten, die im Rahmen des regionalen Geschichtswettbewerbs von "Forum Geschichtskultur" eingereicht worden waren. Der Prozess der Entdeckung, Bewahrung, Gestaltung und Umdeutung von "Industrielandschaft" im Ruhrgebiet ist ein geschichtskulturell höchst spannendes Phänomen. Die Beobachtungen zu den hierzu sichtbar werdenden Schülerwahrnehmungen boten zahlreiche Ansatzpunkte zur theoretischen Reflexion wie zu weiteren empirischen Untersuchungen. Überhaupt gab diese Sektion zahlreiche Anstöße in einem Feld, auf dem weiterzuarbeiten sich sicher lohnt. So dürfte es gewinnbringend sein, weiter darüber nachzudenken, welche systematischen Zugriffe für Schülerinnen und Schüler bei der Erschließung von Raumkonzepten hilfreich sein könnten und welchen Erkenntnisgewinn umwelthistorische Fragestellungen und Forschungsergebnisse bieten können.

Auf mehreren Feldern hat der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) in der letzten Zeit Kooperationen angestoßen. Dazu zählt auch eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Sie befasst sich mit der Frage, welche konzeptuellen Konsequenzen für die Vermittlung der Nachkriegsgeschichte sich aus der Tatsache ergeben, dass Ost- und Westdeutschland zwar mittlerweile in einem Staat aufgegangen, ost- und westdeutsche Vorstellungen der Nachkriegsgeschichte von einer Integration jedoch noch weit entfernt sind. Das von Christoph Kleßmann in der Sektion "Die doppelte deutsche Nachkriegsgeschichte als wissenschaftliches und fachdidaktisches Problem" vorgestellte Konzept zielt demgegenüber auf eine Integration beider Stränge, die mehr ist als eine reine Parallelisierung und eine teleologisch ausgerichtete Gegenüberstellung von Erfolgs- und Misserfolgsgeschichte vermeidet. Kleßmann unterschied dazu mehrere Entwicklungsphasen bzw. Strukturdimensionen, wobei u. a. die Bedeutung von Formen der asymmetrischen Verflechtung zwischen beiden Staaten herausgearbeitet und der Blick auf systemübergreifende Problemlagen fortgeschrittener Industriegesellschaften gelenkt wurde. Peter Lautzas ergänzte diese Ausführungen durch weitere didaktische sowie methodische Überlegungen und hob u. a. längsschnittartige Zugriffe als hilfreich hervor. Die weiteren Vorträge exemplifizierten den Zugang anhand verschiedener Themenfelder: "Grenze und Grenzerfahrung" (Thomas Lindenberger, Klaus Fieberg), "Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und Geschichtskultur" (Martin Sabrow, Michaela Hänke-Portscheller) sowie "Jugend und Jugendkultur" (Konrad H. Jarausch, Rolf Brütting). Zugrunde lag das Prinzip, die Themen von jeweils einem Referenten aus dem Zentrum für Zeithistorische Forschung und einem Lehrer bzw. einer Lehrerin erschließen zu lassen. Auch wenn Redundanzen dabei nicht immer vermeidbar waren: Indem alle Referenten ihre Gegenstände konsequent aufeinander bezogen und kategorial strukturierten, demonstrierte die Sektion, wie konstruktiv und ergebnisorientiert die Zusammenarbeit zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik verlaufen kann.

Das vorgeschlagene Konzept verdient darüber hinaus in verschiedener Hinsicht Beachtung: Von vornherein auf Multiplikation angelegt - immerhin war mit Christoph Kleßmann einer der wichtigen geschichtskulturellen Multiplikatoren beteiligt - steht zu erwarten, dass die Ergebnisse der Arbeitsgruppe sich curricular und in Schulbüchern konkret niederschlagen werden. Des Weiteren sind die verschiedenen flexibel anwendbaren Strukturdimensionen geeignet, den Blick auf Brüche in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte zu lenken. Ob damit die Etablierung einer neuen nationalhistorischen "Meistererzählung" vermieden werden kann, wie Konrad Jarausch in seinem jüngst in den "Zeithistorischen Forschungen" erschienenen Aufsatz meint1, kann hier nicht diskutiert werden. Immerhin forderte auch Peter Lautzas eingangs die Situierung des Themas im europäischen und globalen Rahmen. Dass diese in den vorgeführten Beispielen nicht sehr deutlich wurde, mag zunächst daran gelegen haben, dass das Hauptanliegen der Sektion ein anderes war. Doch bleibt es eine spannende Frage, wie die verschiedenen Ebenen des historischen Raumes denn didaktisch zu integrieren seien.

In der Sektion "Geschichtskultur im Umbruch: Neue Standards und global orientiertes Geschichtsbewusstsein" wurden darauf einige Antworten gegeben. Überhaupt standen sich beide Sektionen vom Ansatz her nahe: Akzeptiert man die geschichtsdidaktische Grundannahme, dass ein enger Zusammenhang zwischen Gegenwartswahrnehmung, Vergangenheitsdeutung und Zukunftserwartung besteht, liegt die Folgerung nicht fern, dass Wandlungsprozesse in der Gegenwart u. U. zumindest partiell eine neue Ausrichtung des historischen Curriculums erfordern. Dass die sich derzeit vollziehenden Globalisierungsprozesse neue gesellschaftliche Orientierungsbedürfnisse schaffen und das überkommene nationalhistorische Narrativ infrage stellen, ist Ausgangspunkt der Überlegungen des VGD-Arbeitskreises "Global orientiertes Geschichtsbewusstsein", in dem Fachdidaktiker, Fachwissenschaftler und Mitglieder des VGD der Frage nachgehen, wie solche transnationalen historischen Narrative geschichtsdidaktisch sinnvoll und in einer Weise konstruiert werden können, dass Chancen für ihre curriculare Implementierung bestehen. Dies ist eine große Herausforderung in mehrfacher Hinsicht: Nicht nur existieren im deutschen Geschichtsunterricht - anders als in sehr vielen anderen Bildungssystemen - wenige Erfahrungen mit dem Unterricht in Weltgeschichte, auch die akademische Ausbildung ist vorwiegend regional, national und eher europäisch, in der Regel jedoch nicht global ausgerichtet.

Nach der Einführung durch Peter Lautzas stellte Matthias Middell, u.a. Mitherausgeber des Fachforums geschichte.transnational, die verschiedenen Konzepte der world oder global history vor, skizzierte vergleichend die derzeitige Situation in den USA und in Deutschland und forderte ein enges Bündnis zwischen Schule und Hochschule. Auch Hanna Schissler argumentierte unter Bezugnahme auf die Debatte in den USA und in Abgrenzung zu älteren universalhistorischen Entwürfen für die Notwendigkeit transnationaler historischer Narrative, die jedoch nicht in eine neue "master narrative" - gar mit universalhistorischem Anspruch - münden dürften. Susanne Popp diskutierte im Anschluss daran das Verhältnis von nationaler, europäischer und globaler Dimension im Geschichtsunterricht und betonte, dass die globale Dimension in den Konzepten der Nation und Europas wie auch der nationalen und europäischen Identität nicht mehr fehlen dürfe. Als konkreten Beitrag zur Debatte um die Bildungsstandards für das Fach Geschichte führte sie im Anschluss vor, wie sich ein globaler Ansatz konkret im Geschichtsunterricht niederschlagen könnte. Durch zahlreiche Beispiele machte sie deutlich, dass keinesfalls die Überfrachtung des Curriculums mit immer neuen Themen anzustreben ist, sondern dass es um einen Perspektivwechsel geht, der es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, bestehende Themen in unterschiedlichen und eben auch globalen Bezügen zu situieren. Ein solcher Zugang, der von den derzeit vorherrschenden Unterrichtsinhalten ausgeht, könnte nicht nur höhere Umsetzungschancen haben. Er konkretisiert mit der Fähigkeit u. a. zum vertikalen Perspektivenwechsel und zum historischen Vergleich auch diejenigen Kompetenzen, die bei den Schülerinnen und Schülern systematisch zu schulen wären, und trägt damit zur Ausdifferenzierung des geschichtsdidaktischen Postulats der Multiperspektivität bei. Eckhardt Fuchs beleuchtete das Thema schließlich noch aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive und schloss mit einem Plädoyer für empirische Unterrichtsforschung in diesem Bereich, die Klarheit verschaffen soll, wie die Schülerinnen und Schüler Globalisierungsphänomene wahrnehmen und verstehen.

Die anschließende Podiumsdiskussion brachte Teilnehmer aus ganz verschiedenen Feldern zusammen: In den USA wurde in den letzten Jahren eine intensive und breit verankerte Diskussion um Weltgeschichte im Geschichtsunterricht geführt. Eine Rolle spielt dabei, dass das Fach Weltgeschichte im US-amerikanischen Modell - dem zahlreiche Staaten folgen - als Fach neben der Nationalgeschichte fest verankert ist. Mit dem "Advanced Placement (AP) World History Course" stellte Lawrence Beaber den derzeit erfolgreichsten world history-High-School-Kurs vor. Dass dieser Vortrag zugleich Einblick in ein gänzlich anders strukturiertes bildungspolitisches Steuerungssystem gab, sei hier auch deshalb eigens vermerkt, weil sich im Zusammenhang mit der derzeitigen Diskussion um Bildungsstandards ein Paradigmenwechsel hin zur outputorientierten Steuerung vollzieht, zu dessen differenzierterer Beurteilung dringend Informationen über den Umgang mit Geschichte in Bildungssystemen eingeholt werden müssen, die mit solchen Steuerungsformen Erfahrung haben. Zu Wort kamen außerdem, ohne dass dies im gegebenen Rahmen genauer ausgeführt werden könnte, der Afrikanist Andreas Eckert sowie der Historiker und Japanspezialist Sebastian Conrad. Beide nahmen zur Frage der möglichen Fortentwicklung des traditionellen nationalhistorischen Narrativs in globaler Perspektive Stellung. Schließlich rückte Ernst Ulrich von Weizsäcker in einem vehementen Plädoyer die Notwendigkeit eines kritischen Zugangs zu den gegenwärtigen Globalisierungsprozessen ins Bewusstsein. So lässt sich im Fazit festhalten, dass die Sektion für die geschichtsdidaktische Erschließung des Feldes, die seit dem von Susanne Popp und Johanna Forster herausgegebenen Band "Curriculum Weltgeschichte" 2 im Gange und bei weitem noch nicht abgeschlossen ist, einen wichtigen Beitrag leistete. Eine klare Positionierung von Seiten der Geschichtsdidaktik ist hier umso wichtiger, als die derzeit unter der Federführung der Kultusbürokratien entwickelten Standards möglicherweise das nationalhistorische Modell zu zementieren drohen.

Die vom schleswig-holsteinischen Landesverband des VGD verantwortete Sektion "Geschichtsprojekte in Schule und Hochschule - theoretische Überlegungen und praktische Beispiele", geleitet von Reinhard Mischke, führte Teilnehmer aus Schule, Universität und weiteren Einrichtungen der Geschichtskultur zusammen. Leitend für die Sektion war das konkrete Anliegen, Hilfestellungen zu leisten in einer bildungspolitischen Situation, in der sich die Lehrkräfte zwar mit der Forderung nach schüleraktivierenden Unterrichtsformen konfrontiert sehen, in der Praxis jedoch nicht unerhebliche Umsetzungsprobleme bestehen.

Bereits die einleitenden Ausführungen von Karl Heinrich Pohl zum gegenwärtigen Diskussionsstand benannten neben Leistungen des Projekts für das historische Lernen auch Probleme in praktischer, theoretischer und systematischer Hinsicht. Damit war der Rahmen gesteckt für die Praxisbeispiele, die nicht nur aus unterschiedlichen Schulformen und -stufen, sondern auch aus dem universitären Lernen stammten. Vorgestellt wurden ein an der Realschule durchgeführtes stadt- und technikgeschichtliches Projekt zum Brückenbau über den Elbe-Lübeck-Kanal (Michael Kiss), ein gymnasiales Mittelstufenprojekt zur Hanse-Schifffahrt (Martin Krotz), ein Projekt zum Bismarck-Bild in Vergangenheit und Gegenwart an der gymnasialen Oberstufe (Ralf-Gunnar Rathlau) sowie ein an der Universität Kiel durchgeführtes Projekt, in dessen Rahmen Studierende die Präsentation eines Filmdokuments zu den Segelwettbewerben von Kiel 1936 konzipierten (Thomas Hill). Letztgenanntes Beispiel konkretisierte die Arbeit der Kieler Initiative zur Studienreform HIP ("Historiker in der Praxis"), die sich zum Ziel gesetzt hat, fachwissenschaftliche Ausbildung und Vorbereitung auf den außeruniversitären Berufsalltag sinnvoll miteinander zu verknüpfen. In allen Vorträgen wurden sehr konkrete Arbeitsberichte geliefert, in denen nicht nur positive Ergebnisse herausgestrichen, sondern auch Probleme offen benannt wurden - speziell die Fragen der Motivation sowie der Selbstbestimmtheit der Schülerinnen und Schüler wurden in den Vorträgen wie in der Diskussion problematisiert. Ein besonderer Reiz der Sektion lag darin, dass nicht nur die Lehrenden, sondern auch die Lernenden zu Wort kamen, als ein Student (Ole Hagemann) bzw. eine Schülerin und ein Schüler (Sarah Scheffer und Malte Kröger) die Projekte aus ihrer Sicht kommentierten. Angesichts des häufig beklagten Defizits an empirischen Forschungsergebnissen zu den Sichtweisen der Schülerinnen und Schüler scheint hier immerhin ein Ansatzpunkt gegeben, fernab jeglichen Repräsentativitätsanspruchs Positionen der Lernenden zumindest stärker ins Blickfeld zu rücken.

Ein weiterer Akzent der Sektion lag auf Angeboten der Geschichtskultur, die zur Durchführung von Projekten geeignet sind. Andreas von Seggerns, Museumspädagoge an der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh, stellte im Zusammenhang mit dem oben genannten Projekt zum Bismarck-Bild seine Einrichtung als außerschulischen Lernort vor und erläuterte zudem, welche Möglichkeiten für Lerngruppen bestehen, die das Angebot nicht direkt vor Ort nutzen können. Die Plymouth Plantation in Massachusetts hingegen werden wohl ohnehin die wenigsten besuchen können. Höchst anregend war der Vortrag von Simone Lässig dennoch, stellte er doch ein gelungenes Beispiel eines "Living History"-Museums vor, ein Konzept, das hierzulande weniger bekannt ist. Ihr Beitrag reflektierte darüber hinaus auf allgemeinerer Ebene Möglichkeiten und Grenzen historischen Lernens in speziell gestalteten Lernumgebungen und warf die Frage nach der Grenze zwischen erlebnisorientierten Zugängen zur Geschichte und vordergründigem Motivationsspektakel auf.

Einen angesichts des Mottos "Raum und Kommunikation" passenden Abschluss der Reihe der geschichtsdidaktischen Sektionen lieferte die von Hans-Jürgen Pandel geleitete Sektion "Sprache im Geschichtsunterricht". Hier wurde es unternommen, das zentrale Erkenntnisinstrument des Historikers in den Blick zu nehmen, ist doch Zugang zu Geschichte losgelöst von Sprache nicht denkbar, sei es, dass der Gegenstand der Geschichtswissenschaft nur in sprachlicher Überlieferung vorliegt, sei es, dass auch ikonische Aussagen verbalisiert werden müssen, sei es, dass alle Deutungen notwendigerweise in Worte gefasst werden müssen. Durch welche Charakteristika aber zeichnen sich Sprache des Historikers, Sprache der Quellen, Sprache der Schüler und Sprache der Geschichtskultur aus? Wie verhalten sich diese Sprachkulturen und Textwelten zueinander? Welche Kompetenzen müssen Schülerinnen und Schüler erwerben, um mit ihnen umgehen zu können? Die Diskussion auf diesem Feld voranzubringen, war Anliegen der Sektion.

Hierzu analysierte Horst-Walter Blanke die sprachlichen Strategien von Historikern an den Beispielen von Werken Theodor Mommsens, Veit Valentins und Hans-Ulrich Wehlers, arbeitete dabei besonders ihr Verhältnis zur Alltagssprache heraus und verortete in diesem Rahmen die Sprache der Schulbücher. Vadim Oswalt untersuchte exemplarisch fiktionale Texte zur Geschichte und strich insbesondere deren spezifische Stärken heraus. Die Vorträge von Helmut Beilner und Hilke Günther-Arndt zielten direkter auf den schulischen Raum. Helmut Beilner benannte zahlreiche sprachlich bedingte Hindernisse, die für Schülerinnen und Schüler den Umgang mit Quellen erschweren - die angeführten Schwierigkeiten wiesen allerdings über genuin fachspezifische, aus der historischen Differenz der Quellen resultierende Probleme hinaus und berührten z. T. allgemeinere Probleme des Textverstehens. Hilke Günther-Arndt führte vor, wie in einem von ihr initiierten und geleiteten Forschungsprojekt mittels einer genauen Analyse von Schüleräußerungen Zugang zu Schülervorstellungen gesucht wird. Spezielle Aufmerksamkeit wandte sie den in den Interviews deutlich werdenden metaphorischen Konzepten der Schülerinnen und Schüler zu und demonstrierte, mit welch großer Feinheit deren Untersuchung erfolgt. Die Frage, wie diese Vorstellungen im Einzelnen aufgebaut werden, wird sicher noch Anlass zu Diskussionen geben.

Eine systematische Untersuchung der sprachlichen Aspekte, die eine Rolle für das historische Denken bzw. Lernen spielen, und eine theoretische Klärung der sprach- bzw. texttheoretischen Merkmale von sprachlichen Äußerungen, die man dem historischen Diskurs zurechnet, sind zentrale Desiderate geschichtsdidaktischer Forschung. Dass dies in Kiel angegangen wurde, ist mehr als begrüßenswert, und es steht zu hoffen, dass die Sektion erst am Anfang einer detaillierten Auseinandersetzung mit einem Thema steht, das vielfältige Forschungsperspektiven eröffnet und gewaltige Impulse zu vermitteln in der Lage ist. Dabei könnten auch die Erkenntnisse anderer Disziplinen für die Geschichtsdidaktik von großem Gewinn sein - insbesondere wäre die konsequente Heranziehung von Linguisten bzw. Semiotikern denkbar und wünschenswert.

Die Funktionen eines Historikertags aus der Sicht der Geschichtsdidaktik sind mannigfaltig: Es gilt, theoretisch über Fragen der Geschichtsvermittlung zu reflektieren, aber auch im Austausch mit den Fachwissenschaften über die Konsequenzen fachwissenschaftlicher Forschungsergebnisse und weltpolitischer Veränderungen für die herrschenden Narrative und Vermittlungskonzepte nachzudenken. Es gilt, ein Forum für den Austausch praktischer Unterrichtserfahrungen zu schaffen, Impulse aus anderen Bildungssystemen zu vermitteln und systematisch Unterrichtsmodelle anzubieten. Und schließlich ist es notwendig, nach gemeinsamen Positionen in der bildungspolitischen Auseinandersetzung zu suchen. Diese und andere Aufgaben erfordern Kommunikation - Kommunikation über die Grenzen der Disziplinen hinweg wie zwischen Schule und Hochschule oder zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Der Historikertag in Kiel 2004 hat gezeigt, dass die Disziplin dazu bereit ist.

Katja Gorbahn ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte, Neueste Geschichte der Universität Siegen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Bildungspotenziale der antiken Geschichte im europäischen Zusammenhang, Schulbuchforschung, Lehrplananalyse und Qualitätssicherung im Geschichtsunterricht. Homepage: http://www.fb1.uni-siegen.de/history/dgng/gorbahn.htm

Anmerkungen:
1 Jarausch , Konrad H., "Die Teile als Ganzes erkennen". Zur Integration der beiden deutschen Nachkriegsgeschichten, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 1 (2004), S. 10-30, online unter: http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Jarausch-1-2004.
2 Popp, Susanne; Forster, Johanna (Hgg.), Curriculum Weltgeschichte. Interdisziplinäre Zugänge zu einem global orientierten Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 2003.