Kunstgeschichte / Bildwissenschaft

Von
Steffen Bogen, Kunstwissenschaft/Kunstgeschichte, Universität Konstanz

Besprochene Sektionen:

"Die historische Bildwissenschaft in Deutschland 1880-1930 und ihr Neubeginn nach 1945
"TechnikBilder und TechnikTexte in Spätmittelalter und Renaissance
"Umstrittene Bilder. Visualisierung und Wissenschaft in der Moderne"

Als Kunsthistoriker auf dem Historikertag ist man – um das Motto eines anderen Großereignisses dieses Jahres aufzugreifen – zu Gast bei Freunden. Wechselseitige Einladungen zu Fachtagungen haben eine lange Tradition. Auf den Historikertagen von 1904 und 1909 sprachen zum Beispiel auch Alois Riegl und Georg Dehio. Ihre Vorträge gehörten allerdings zum unterhaltsamen Teil, liefen außerhalb des Tagungsprogramms und blieben ohne Diskussion. An einigen Sektionen des diesjährigen Historikertages zum Thema GeschichtsBilder waren auch KunsthistorikerInnen beteiligt, ohne dass man dies bei einer weitgehenden Annäherung von Arbeitsfeldern und Methoden hätte markieren müssen. Zum Abschluss sprach Horst Bredekamp zum Thema „Bild – Akt – Geschichte“. Als Abendveranstaltung gehörte auch dieser Vortrag zum festlichen Teil. Der Gastgeber Peter Funke begrüßte den Eingeladenen freundlich und würdigte ihn als „Wunschkandidaten“, so dass kaum noch auffiel, dass er die Kunstgeschichte noch einmal als „Hilfswissenschaft“ bezeichnete, allerdings als „Hilfswissenschaft des Sehen-Lernens“. Horst Bredekamp überging dieses doppelbödige Kompliment und antwortete mit einem Vortrag, der das Paradigma der Hilfswissenschaft weit hinter sich ließ und die traditionelle Auffassung von Bildern als sekundären Hilfsquellen fundamental in Frage stellte. Der lang anhaltende Beifall, mit dem ihm das Auditorium dankte, deutete darauf hin, dass sich am Verhältnis von Geschichte und Kunstgeschichte etwas geändert hat.

Diese Veränderung ist nicht zuletzt auf den iconic turn der letzten Jahre zurückzuführen. Der antragsrhetorisch bereits stark strapazierte Begriff hat vor allem philosophische und historische Ansätze zusammengeführt: philosophische Ansätze, die nach Bildphänomenen mit Bezug auf allgemeine Wahrnehmungs- , Erkenntnis- und Kommunikationsprozesse fragen, historische Ansätze, die sich von konkreten Artefakten auch jenseits kanonisierter Grenzen der Kunst beeindrucken lassen und die Macht der Bilder im ursprünglichen Kontext und in der eigenen Gegenwart analysieren. Mitunter stehen sich beide Ansätze im Weg, wenn der eine als unsensible Begriffsdefinition, der andere ohne Sinn für die Verallgemeinerbarkeit medialer Prozesse betrieben wird. Richtig verstanden greifen sie jedoch ineinander. Es lässt sich nämlich nie allein begriffstheoretisch entscheiden, wie sich imaginäre, materielle und soziale Anteile am Bildprozess historisch zueinander verhalten haben. Umgekehrt werden die eigenen Augen vielfach geöffnet, wenn man historische Objekte mit Blick auf aktuelle bildtheoretische Probleme befragt. Oft wird man erst dann erkennen, welche Bedeutung den Artefakten in einer Zeit zukam, als diese Fragen noch nicht an einen akademischen Diskurs delegiert waren, sondern im Handwerk des Bildermachens selbst beantwortet wurden. Praktiken des Kultbildes, der Repräsentation von Herrschaft oder der Generierung von Wissen mit den Exponaten einer Schausammlung (um nur einige Beispiele zu nennen), werfen immer schon bildtheoretische Fragen ersten Ranges auf, verhandeln sie jedoch nicht in Begriffssystemen, sondern agieren sie in den visuellen Praktiken selbst aus. Mit einer bildwissenschaftlich geschärften Sensibilität wird man in ihnen hochkomplexe Techniken erkennen können, der im Kern immer singulär und persönlich bleibenden Imaginationskraft einen sozialen Ort zu geben. Das bildtheoretische Reflexionspotenzial, das die Beispiele gerade im Abbruch der ursprünglichen Praktiken freisetzen, steht den Erkundungen, die in den bildwissenschaftlichen Laboratorien der modernen Künstler betrieben wurden, vielfach nicht nach.

Eine derart historisch gewendete Bildwissenschaft vollzieht eine vollständige Abkehr vom Versuch, Bilder als Hilfsquellen in historische Forschungen einzubinden. Nimmt man den Titel des 46. Historikertags auf diese Weise ernst, ist er sogar geeignet, den historischen Quellenbegriff selbst herauszufordern. Das machte besonders die von Jens Jäger und Martin Knauer geleitete Sektion „Die historische Bildwissenschaft in Deutschland 1880 – 1930 und ihr Neubeginn nach 1945“ in einer Reihe von gut aufeinander abgestimmten Vorträgen deutlich. Dass die quellenkritische Haltung, in der das Selbstverständnis der Geschichtswissenschaften gründet, bis zu einem gewissen Grad quer zum Phänomen der Bilder formuliert ist, scheint Historikern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts intuitiv bewusst gewesen zu sein. Grenzgänger wie Karl Lambrecht haben sich zwar intensiv um die Integration von Bildern bemüht, sich dabei aber sofort auf ein methodisch ungesichertes Terrain begeben. In der Regel haben Historiker Bilder, wie Jens Jäger es formulierte, als „nice to have“ angesehen, als Illustration dessen, was bereits aus anderen Quellen erschlossen war. Eine solche Auffassung wurde mit einer gewissen Paradoxie gerade durch den Beschluss des Historikertrags in Oslo 1928 zementiert, eine internationale ikonographische Kommission (IIK) einzurichten. Explizit wurde hier an Bilder das Kriterium herangetragen als „historisch bedeutsame Quellen“ und „Zeugnis des Abgebildeten“ gelten zu können. Mit diesem Beschluss drückte man sozusagen die Hoffnung aus, ein naives Verständnis der modernen Fotografie mit quellenkritischen Methoden bis in die graue Vorzeit verschieben zu können. Eine solche Auffassung ging von einer Arbeitsteilung aus, in der die Kunstgeschichte dann nur noch für den „ästhetischen Mehrwert“ der historischen Dokumente zuständig gewesen wäre. Da aber stets umstritten blieb, welche Bilder sich überhaupt für ein solches arbeitsteiliges Vorgehen eignen sollten, gingen vom Projekt kaum entscheidende Impulse aus.

Da das Methodenarsenal der Geschichtswissenschaft Bildphänomenen gegenüber eher verschlossen blieb, war in der Frühphase der Geschichtswissenschaften eine jenseits der Kunstgeschichte angesiedelte Beschäftigung mit Bildern meist eine individuelle, an persönliche Bedingungen gebundene Leistung. Der Vortrag von Lucas Burkart zeichnete nach, wie Percy Ernst Schramm durch den Kunst- und Bildhistoriker Aby Warburg und seine kulturwissenschaftliche Bibliothek in Hamburg zu den Bildern geführt wurde. Warburg hielt die schützende Hand über den jungen Schüler, der sich häufig in seiner Bibliothek aufhielt, und verteidigte dessen Verhalten gegenüber dem karrierebesorgten Vater, dem Bürgermeister der Hansestadt. Im Stil des Warburg-Hauses bezieht auch der ausgebildete Historiker Schramm Elfenbeintafeln, Beispiele aus der Buchmalerei, heraldisches und numismatisches Material in seine Forschungen ein. Dass mit der Feststellung einer prinzipiellen Aufgeschlossenheit gegenüber Bildern jedoch noch wenig gesagt ist, lässt sich gerade an der Gegenüberstellung von Warburg und Schramm zeigen. Denn es bleibt immer noch die Frage, für welche Bilder man sich begeistert. Lucas Burkart verwies auf das Krönungsbild aus dem Evangeliar Ottos III., das Schramm auf besondere Weise für die Mittelalterforschung gewonnen habe (Wie viele Historiker mögen ihre Themen auch aus einer Faszination für Bilder heraus gewählt haben, ohne dies jemals explizit in ihren Schriften geäußert zu haben?). Die bekannte, über eine Doppelseite hinweg geführte Buchmalerei zeigt, wie sich die weiblich personifizierten Reichsteile mit eingezogenem Kopf dem thronenden Herrscher nähern, um ihre Gaben darzubringen. Eine undomestizierte Kraft des Blickes scheint nur dort auf, wo sich unvermutet Gesichter zeigen: an den Armlehnen des Throns und über den Säulen der Palastarchitektur, also ohne Ausnahme dort, wo die Machtvollkommenheit des thronenden Kaisers unterstrichen werden soll. Warburgs Faszination für die Florentiner Nymphen, jene bereits in der Antike kursierenden Gestalten, die mit aufflatterndem Gewand und wallenden Haaren in eine ganz anders kodifizierte Bildwelt einbrechen, sind in jeglicher Hinsicht ein Gegenbild zu den Huldigungsdamen des Herrscherkodex. In einer solchen Gegenüberstellung werden nicht nur abweichende Forschungsschwerpunkte sichtbar, wie es Lucas Burkart konstatierte: bei Schramm das Mittelalter, bei Warburg das Nachleben der Antike, bei Schramm das Interesse für einen deutschen Sonderweg, bei Warburg eine aufs Universelle zielende Kulturgeschichte. Hinter den wissenschaftlichen Programmen stehen andere Arten, sich von Bildern affizieren zu lassen, die weit in die Gegenstandswahl, Hypothesenbildung und die Anlage der Argumentation hereinreichen. Dass Schramm den Bruch mit dem Warburg-Kreis etwas fadenscheinig am Symbolbegriff festmacht und in einem Moment bekundet, in dem die gemeinsame Publikation mit den emigrierten Forschern politisch unmöglich wurde, ist ein beklemmender Zug dieser Wissenschaftsgeschichte.

An jeder Bildwahrnehmung ist die eigene Imaginationskraft immer schon beteiligt (sonst bliebe das Bild auf die materiellen Funktionen des Bildträgers reduziert). Jedes Bild ist als Bild also bereits ist in eine lebendige Gegenwart hineingeholt, so dass es sich ab einem gewissen Punkt gegen die Reduktion auf das Relikt eines historischen Faktums sperrt und zukunftsoffen bleibt. Für den zögerlichen Neubeginn der historischen Bildforschung in Deutschland nach 1945, mit dem sich der Vortrag von Martin Knauer beschäftigt hat, bleibt diese grundsätzliche Diskrepanz zwischen Quellenbegriff und Bildphänomenen entscheidend. Die Kriterien für die Auswahl und Auswertung von Bildern bleiben unsicher. Das gilt auch für den Einsatz von Bildern in historischen Museen, obwohl die Museumsdidaktik dem Material naturgemäß aufgeschlossener gegenüberstand als der akademische Diskurs. Der 1998 verstorbene Historiker Hartmut Boockmann, der in seinen Forschungen in besonderem Maß Bilddokumente erschlossen hat, war zugleich Mitherausgeber der Zeitschrift für Kunstgeschichte. Seine eigenen Arbeiten zeugen jedoch von einer großen Abgrenzungsenergie. Er spricht sich gegen kunsthistorische Präsentationsstrategien von Bildern aus und versucht Bilder so zu kontextualisieren, dass historische Sachverhalte erschlossen werden können. Der Sinn für die Historizität der Bildobjekte geht dabei eigenartig verloren. So sucht man in seinen Bildkommentaren, wie Martin Knauer mit einer gewissen Verwunderung anmerkte, vergeblich nach genauen Angaben zur Entstehungszeit und Entstehungsgeschichte der abgedruckten Bilder.

Reiner Wohlfeils historische Bildkunde adaptiert Ende der 80er Jahre das bereits in die Jahre gekommene ikonografisch-ikonologische Interpretationsmodell des Kunsthistorikers Erwin Panofsky und hofft hier das lang gesuchte Instrument einer auf Bilder anwendbaren Quellenkritik gefunden zu haben. Die Ebenen des Interpretationsmodells, von dessen rigidem Begriffsraster sich Panofsky zuletzt selbst distanziert hat, werden noch einmal durchdekliniert, um die Schichten des historischen Sachgehalts einer Bildquelle zu erschließen. Ein solcher Übernahmeversuch wirkt schon fast anachronistisch inmitten von Bestrebungen der Literatur- und Kunstwissenschaft, die Ikonologie phänomenologisch neu zu begründen (Max Imdahl), rezeptionsästhetisch zu erweitern (Wolfgang Kemp) oder mit Blick auf die Mediendifferenz von Bild und Schrift zu reformulieren (William J. T. Mitchell). Diese Ansätze zielen darauf ab, mediale und intermediale Phänomene zu thematisieren, womit auch die historisch wandelbaren Bedingungen von Wahrnehmung und Kommunikation in den Blick geraten. Wohlfeils Bildkunde schafft dagegen keinen systematischen Ort für solche Fragen, wie auch Martin Knauer kritisch anmerkte.

Im letzten Vortrag der insgesamt erfrischend selbstkritischen Sektion über den Stellenwert von Bildern in der Entwicklung der Geschichtswissenschaften in Deutschland verwies Gerhard Paul darauf, dass der iconic turn auch aktuelle Fragestellungen von Historikern gedreht habe – eine Einschätzung, die der Konstanzer Historikertag durchaus eindrucksvoll bestätigte. Viele Vorträge nahmen Bilder nunmehr nicht mehr allein als Quellen der Ereignisgeschichte, sondern als historische Formationen eigener Art in den Blick. Eine solche Form von Bildkritik mit einem erweiterten Quellenverständnis abzugleichen, scheint freilich eine Herkulesaufgabe, die noch kaum auf einer grundsätzlichen methodologischen Ebene angegangen ist. Dennoch blitzte in vielen Sektionen auf, was im Rahmen eines solchen Ansatzes vielleicht einmal selbstverständlich werden könnte.

In der von Horst Kranz und Rainer Leng geleiteten Sektion über „TechnikBilder und TechnikTexte in Spätmittelalter und Renaissance“ wurde eine weit zurückreichende Schicht von Maschinenzeichnungen vorgestellt, die darauf hindeutet, dass Konstruktionsskizzen bereits im europäischen Mittelalter des 13. und 14. Jahrhunderts eine wichtige Rolle bei der Planung handwerklicher Tätigkeiten gespielt haben. Was überliefert ist, sind jedoch (meist) keine ephemeren, mit der Fertigung überflüssig gewordene Skizzen, sondern Lehrfiguren und Schaubilder, die von Anfang an als Fertigung eigener Art intendiert waren. Im Verbund mit Formen der literarischen Stilisierung wird hier an neuen Bildkonzepten gearbeitet, wie im faszinierenden Maschinenbuch des Konrad Gruter von Werden aus dem Jahr 1424, über dessen Entschlüsselung am Ostersonntag 2005 Ulrich Alertz mit noch immer nachwirkender Begeisterung berichtete. Wenn Gerhard Dohrn-van Rossum feststellte, die Technikgeschichte benötige keinen iconic turn, weil sie sich immer schon der Bedeutung ihrer Bildquellen bewusst gewesen sei, dann ist dem in einer Hinsicht zu widersprechen: Gerade beim Thema Technikbilder können bildtheoretische Überlegungen dazu anhalten, den Stellenwert der überlieferten Beispiele neu zu bestimmen und angemessen zu würdigen. Nimmt man die konstruktive Seite der Maschinenbilder ernst, wird nämlich deutlich, dass die Idee, Mechanismen in Bildern vorzuführen, nicht nur das Verständnis der Maschinen, sondern auch den Aufbau der Bilder verändert hat. Mitunter scheint den Technikhistorikern noch kaum bewusst zu sein, welch kunsthistorisch brisantes Material sie da erschließen. Wenn Horst Kranz das Münchner Maschinenbuch des Giovanni Fontana mit stupender Detailkenntnis in den Kontext der weniger bekannten Schriften des Autors einordnet, wird deutlich, dass der technikbegeisterte Arzt aus Padua eine auf Maß und Zahl gegründete Bildwelt entwirft, die einer entsprechend geschulten Imaginationskraft verspricht, die materielle Wirklichkeit selbst in den Griff zu bekommen. Im Rahmen einer mnemotechnisch ausgerichteten Bildkultur ist das eine Revolution, die dem neuzeitlichen Kunstbegriff nicht, wie noch Samuel Edgerton glaubte, nach-folgt, sondern ihn geradezu ein-leitet.

Während die Historisierung des Bildbegriffs auf den Gebieten des Kultbildes und der Herrschaftsrepräsentation bereits weit entwickelt ist, scheint gerade die lange Zeit vernachlässigte Bilderproduktion der Technik und Wissenschaft eine noch keineswegs abgeschlossene interdisziplinäre Anstrengung herauszufordern, wie auch die von Martina Heßler und Alexander Nützenadel geleitete Sektion „Umstrittene Bilder. Visualisierung und Wissenschaft in der Moderne“ zeigte. Gerade dort, wo der Bildstatus der Beispiele kritisch hinterfragt werden kann, sind philosophische Ansätze zur Modellierung des Bildphänomens gefragt. Martina Heßler zeigte, wie die neuzeitlichen Wissenschaften erst einmal einen Raum des Unsichtbaren erzeugen mussten, bevor die eigenen Instrumente und Bilder als mediale Mittler eingesetzt werden konnten. Bildern wurde eine neue epistemische Funktion der Sichtbarmachung von empirischen und nicht nur transzendenten Qualitäten zugesprochen.

Während es zur historischen Allgemeinbildung gehört, die Erfindung der zentralperspektivischen Konstruktion mit der Renaissance verbinden zu können, ist die heute weit verbreitete Technik des Kurvendiagramms noch kaum im historischen Bewusstsein verankert. Sie scheint sozusagen vom Himmel gefallen. Wie viel Aufklärungsarbeit hier noch zu leisten ist, zeigte Alexander Nützenadel mit seinem Vortrag über die „Bildsprache und Modelldarstellung in der Ökonomie seit dem 18. Jahrhundert“. Im Zuge des Vortrags und auch durch den Kommentar von Hans-Jörg Rheinberger herausgefordert, wurde deutlich, dass die Abstrakta „der Wirtschaft“ und „der Ökonomie“ mit den dünnen Linien von Kurvendiagrammen stehen und fallen. Man kann also behaupten, dass die Diagramme den Ökonomen nicht nur eine an den mathematischen Naturwissenschaften orientierte Modellbildung nahe gelegt, sondern überhaupt erst ihren Gegenstand geschenkt haben. Eine solche Erkenntnis wird man freilich nicht dem Selbstverständnis der Wissenschaft entnehmen können, sondern in der Fremdbeschreibung gewinnen müssen. Auch die Kulturwissenschaften haben hier noch ein gutes Stück selbstkritischer Arbeit vor sich, wie Astrit Schmidt-Burckhardt anhand von ideologisch befrachteten Diagrammen zur (kunst)historischen Epochengliederung zeigte.

Wenn man erkennt, dass die Macht starker Bilder immer noch andauert, wird man auch die eigenen Präsentationsstrategien neu reflektieren. Gerade auf einem Historikertag, der GeschichtsBilder heißt, hätte man zum Beispiel erwartet, dass an der Jury, die die Poster des Doktorandenforums prämiert hat, auch GrafikerInnen beteiligt gewesen wären. Von der schwierigen Aufgabe, wissenschaftliche Reflexion und öffentlichkeitswirksame Vermittlung zusammenzubringen, zeugte auch die Podiumsdiskussion zum Thema „Geschichte im Fernsehen – Herausforderung für die Geschichtswissenschaft?“, in der die akademisch tätigen Historiker der eher stumpfen Praxis der Fernsehmacher keine differenzierte Medienanalyse an die Seite stellen konnten.

Die alten Paradigmen wirkten mitunter noch in den Präsentationsformen der Vorträge weiter. In kunsthistorischen Seminaren wird eine Haltung eingeübt, in denen die Vortragenden als Mittler zu den gezeigten Bildern auftreten. Dort wo die projizierten Bilder erscheinen, schließt sich der Raum. Ein guter Vortrag konzentriert die Blicke auf die Bilderwand und lässt das aufmerksame Sehen zu einer kontrollierten Handlung werden. Mit dem Thema Geschichtsbilder hat dieses Dispositiv Einzug in die historischen Sektionen gehalten. Die Vortragenden fühlten sich nicht immer wohl dabei. Da konnte es auch geschehen, dass ein Bild nach einem Vortrag einfach stehen blieb, und den gar nicht mehr passenden nächsten Vortrag untermalte.

Viele Vorträge zeugten jedoch von einem souveränen Umgang mit den neuen Themen und Medien der Präsentation. Christian Fuhrmeister führte in einer Serie von Bildern die Konstruktion eines nationalen Märtyrers im Übergang von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus vor. Sven Reichardt analysierte das Paradox eines medial vermittelten Authentizitätsanspruchs der 68er Generation. Petra Terhoeven zeigte eindrucksvoll die Entwicklung von Bildstrategien im Terror der Roten Brigaden und RAF, um nur einige Beispiele zu nennen.

Den Schlusspunkt setzte der Abendvortrag von Horst Bredekamp mit dem Titel „Bild – Akt – Geschichte“. Bredekamps Begriff der „Bildakte“ kursierte bereits zuvor in einer Vielzahl von Beiträgen, bringt er doch das Unbehagen an der alten Vorstellung vom Bild als illustrativ eingesetzter Hilfsquelle auf den Punkt. Im Abendvortrag entfaltete Bredekamp die Idee in einer Serie von acht beeindruckenden Fallstudien. Dabei fokussierte er stets die prägende, nicht illustrative Kraft von Bildern. Besonders drastisch wird sie durch aktuelle Terrorstrategien vor Augen geführt, die auf die Schaffung massenmedial wirksamer Schreckensbilder abzielen.

Nach dieser Ouvertüre, die die tagespolitische Relevanz des Forschungsprojekts vor Augen führt, analysierte Bredekamp Beispiele, die durch ein ausbalanciertes Verhältnis von Form und Funktion gekennzeichnet sind. Ziel war es, die Sensibilität des Publikums für die formbezogene Eigenaktivität der Bilder zu schärfen. Besonders eindringlich gelang dies bei einer Bauzeichnung Bramantes, die sich in der verführerischen Demonstration einer machtvollen Baugeste als wahrer „Mauerbrecher von Alt St. Peter“ erwiesen hat. Bredekamp spitzte zu, dass die formschaffende Qualität dieser Zeichnung und der von ihr stimulierte Bau der neuen Peterskirche gleichsam ganz Europa in der Reformation gespalten haben. Eine weitere Fallstudie gründete in einem päpstlichen Dokument, das Michelangelos einzigartige Vollmachten in einer bisher kaum zur Kenntnis genommenen Deutlichkeit formuliert: Herrscher und Künstler spiegeln sich wechselseitig als souveräne Universalmächte, die Schöpfungen aus dem Nichts hervorbringen können. Die Reihe der Beispiele reichte von Jan van Eycks Mann mit dem Turban bis zu Frank Gehrys Gebäude der DG Bank am Pariser Platz in Berlin, dessen eigenwillig geformter Konferenzsaals durch die spätmittelalterlichen Figuren von Claus Sluter angeregt wurde. Die in den berühmten Pleurants gefasste Formidee war in ihrer materiellen Realisierung stark genug, um die Jahrhunderte zu überspringen und an anderem Ort in der monumentalen Form einer Konstruktion aus Stahl und Glas wiederzukehren. Während der Transfer von Sluter zu Gehry sich auf Ebene einer Bildform vollzieht, die nur von Kennern als Akt der Erinnerung erkannt werden wird, erreichen die Bildakte in anderen Fällen eine körperliche Wirklichkeit, die sich für die Leidtragenden jenseits aller imaginären Qualitäten aufdrängt. In dieser Hinsicht hat der Vortrag ein Feld für weitere Differenzierungen geöffnet. Die Grundtendenz lässt sich bereits jetzt mit Horst Bredekamp als antiplatonische Zielrichtung formulieren: Bilder sind keine Epiphänomene, sie verdoppeln nicht, sondern sie erzeugen, was sie zeigen. Eine solche These kann durchaus auch als Resümee am Ende dieses bildwissenschaftlichen Kommentars zum Historikertag stehen.

Dr. Steffen Bogen, von 1997-2006 wissenschaftlicher Assistent im Fach Kunstwissenschaft/Kunstgeschichte an der Universität Konstanz; Habilitationsschrift zu einer Kunstgeschichte gezeichneter Maschinen (eingereicht Juli 2006), ist gegenwärtig im Forschungsprojekt "Visuelle Navigation. Entwicklung und Kritik schematischer Karten" in Konstanz tätig. Weiteren Forschungsschwerpunkte: Bilderzählung, Bildsemiotik, Diagrammatik. E-Mail: <Steffen.Bogen@uni-konstanz.de>