Transatlantische Missverstaendnisse: Der Briefwechsel amerikanischer und deutscher Intellektueller ueber den 11. September

Von
Richard Blum, Dept. of Philosophy, Loyola University Maryland

Im Februar 2002 hat das Institute for American Values ein Manifest mit dem Titel „What we’re fighting for“ (Wofuer wir kaempfen) veroeffentlicht, auf welches im Mai deutsche Intellektuelle unter dem Titel „Eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens sieht anders aus” geantwortet haben (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Mai 2002). Nun liegt die Replik der amerikanischen Autoren vor (Sueddeutsche Zeitung. 9. August 2002, alle Dokumente findet man unter www.propositionsonline.com).

Der Briefwechsel ist ein interessantes Dokument transatlantischer Missverstaendnisse, an dem zahlreiche Professoren und Schriftsteller beteiligt sind, von denen auf amerikanischer Seite wohl Francis Fukuyama und Samuel Huntington, auf deutscher Seite Franz Alt, Carl Amery, Klaus Michael Meyer-Abich, Peter Ruehmkorf und Guenther Wallraff die bekanntesten sind. Im juengsten Dokument zeigen sich die US-Autoren enttaeuscht, dass ihre deutschen Kollegen den Begriff des „gerechten Krieges“ als „unselig“ abkanzeln, auf dem ihre moralische Begruendung ruht, und dass sie zugleich moralisieren, ohne moralisch zu argumentieren. In der Tat warfen die deutschen Intellektuellen den USA saemtliche Verfehlungen der juengeren Vergangenheit vor, von Chile ueber Nicaragua bis zu Irak und Iran, die darin gipfeln, dass sie nunmehr eine Supermacht ohne Gegengewicht sind. Hinzu tritt die Selbstkritik, dass es den europaeischen Politikern noch nicht gelungen sei, eine eigene Weltpolitik zu betreiben.

Wenn man die Diskussion, ohne auf Einzelargumente eingehen zu koennen, ueberschaut, so stellt sich der Gegensatz als Unterschied in der Einstellung dar. Die Amerikaner berufen sich auf den gerechten Krieg als moralisch zulaessige Selbstverteidigung. Sie koennen dies, weil sie die Anschlaege vom 11. September 2001 als (Kriegs-)Angriff auf die USA wahrnehmen. Obwohl nun die Autoren des Manifests sehr differenziert ueber die soziale und mentale Lage der Muslime in der Welt urteilen und die Attentate einer kleinen Gruppe zuschreiben, identifizieren sie doch als deren Hintergrund das „internationale Netzwerk in ueber vierzig Laendern, bekannt als Al Quaeda“. Dieses ist somit der Gegner im gerechten Krieg. Zu verteidigen seien dabei nicht die USA allein, sondern die „American Values“, die Werte, mit denen sich jeder Buerger der Vereinigten Staaten identifizieren kann, naemlich Freiheit und Wuerde, individuelle Personalitaet, Streben nach Wahrheit und Lebenssinn, Religionsfreiheit.

Das Problem liegt offenkundig in der Schwierigkeit, den Kriegsgegner auszumachen, da es sich nicht um einen benennbaren souveraenen Staat handelt. Umgekehrt wiederholen die deutschen Kritiker die Bekenntnisse zu Religionsfreiheit und zum Respekt fuer den Islam, allerdings um daraus abzuleiten, es sei ungerecht, die muslimische Welt zu bekaempfen. Denn diese sei in ihrem Antiamerikanismus vor allem von Ressentiments aufgrund der wirtschaftlichen und militaerischen Uebermacht der USA getrieben. Andererseits lenken die Deutschen den Blick auf die Zivilopfer in Afghanistan. Somit wiederholen sie dasselbe Problem, das ihre Kollegen jenseits des Atlantiks nicht fassen koennen, dass naemlich die ‚Kriegsgegner‘ zugleich eine unbestimmte Gemeinschaft und individuelle Menschen sind. Allerdings definieren sie diese verschieden. Auch die Grundwerte, um die es beim Antiterrorkrieg zu gehen scheint, werden aus verschiedenen Perspektiven wahrgenommen: Selbstverstaendlich erkennen die deutschen Autoren dieselben Werte an, wie die amerikanischen, nur werfen sie den Amerikanern vor, diese nur fuer den Westen zu reklamieren und der islamischen Welt nicht zuzugestehen. Da aber die Unterstuetzer des Krieges gerade in den Terroristen die Feinde dieser Werte ausmachen, vermeinen sie, fuer deren Durchsetzung auch im Nahen und Fernen Osten einzutreten.

Die deutschen Intellektuellen scheinen dem zuzustimmen, allerdings aufgrund von interkulturellem Dialog und Rechtlichkeit – eine Basis, welche die Kollegen in den USA gerade in Gefahr sehen. Unverkennbar unterscheiden sich beide Positionen, obwohl sie von derselben Sache zu handeln scheinen, dadurch, dass die Amerikaner mit militaerischen Mitteln verteidigen wollen, was die Deutschen unbefragt fuer gegeben halten, dass naemlich Politiker guten Willens allezeit zu Verhandlungen bereit sind.

Dass die Lage etwas schwieriger ist, kann man einer Entgegnung gegen das amerikanische Manifest entnehmen, die muslimische Intellektuelle, ueberwiegend Professoren aus dem Nahen Osten, unter dem Titel „How we can coexist“ (Wie wir zusammenleben koennen – ebenfalls zu lesen unter propositionsonline.com) veroeffentlicht haben. Sie spitzen den Gegensatz zwischen dem Islam und der saekularisierten Kultur des Westens soweit zu, dass sie feststellen: Die islamische Kultur muss ihrem Wesen nach auch das Politische dominieren und kann nur unter diesem Dach andere Religionen bzw. Minderheiten tolerieren. Damit ist fuer jeden Nichtmoslem der Konflikt zwischen Loyalitaet zum Staat und Abgrenzung von der Religion, die diesen Staat praegt, vorprogrammiert. Sowohl die amerikanischen als auch die deutschen Intellektuellen gehen umgekehrt von dem aus, was Europa sich seit der Reformation muehevoll erworben hat, dass es diesen Konflikt nicht geben kann, weil die genannten Grundwerte nicht religioes sondern aus der Natur des Menschen begruendet werden. Deshalb geht die Treue zu dem Staat, der die Religionsfreiheit garantiert, vor die Religion, ohne Ruecksicht darauf, ob der Einzelne einer Mehrheit oder einer Minderheit angehoert. Sowohl der interkulturelle Dialog als auch die machtvolle Verteidigung der Freiheit setzen diese Saekularisierung voraus, die von den muslimischen Autoren abgelehnt wird. Waehrend die Westler die saekularisierten Menschenrechte propagieren, laden ihre islamischen Partner ein, den Islam als Basis aller Rechte zu sehen. Gerade aus dieser islamischen Position wird klar, warum die deutschen an den amerikanischen Kollegen vorbeireden – sie befassen sich mit sich selbst.

Eine Gemeinsamkeit besteht zwischen der islamischen Kritik und dem amerikanischen Manifest: beide gehen von gesicherten Werten aus, zu denen man sich bekennen muss und die daher der Verteidigung Wert sind. Im Gegensatz dazu relativieren die deutschen Kritiker eben die Grundpositionen, die Menschenrechte, zu blossen „Spielregeln des Zusammenlebens der Voelker“. Dies wird besonders deutlich an der amerikanischen Antwort. Demnach gibt es nur vier moegliche Haltungen gegenueber dem Krieg: Pazifismus (jeder Krieg ist schlecht), Realismus (Krieg ist Sache der Macht und indifferent gegen moralische Ueberlegungen), Heiliger Krieg/Kreuzzug (eine hoehere Instanz gebietet Kampf gegen Andersdenkende), gerechter Krieg (Selbstverteidigung). Die deutschen Intellektuellen muessen sich fragen lassen, welche Option sie vorziehen, denn offenbar sind sie keiner der Positionen zuzuordnen. Einerseits erwarten amerikanische Intellektuelle eine klare Standortbestimmung, von der aus man argumentieren und handeln kann, andererseits weichen die deutschen aus in unbestimmte Appelle an Gerechtigkeit und Offenheit. Die amerikanischen Kollegen beanspruchen, eine klare moralische Begruendung fuer den Antiterrorkrieg gegeben zu haben, wogegen die deutschen von einer diffusen Moralitaet aus ihr Unbehagen pflegen.

Jedoch muss man auch feststellen, dass die vier Optionen nicht vollstaendig sind, denn in der sogenannten realistischen Position verbirgt sich die radikal-politische, machiavellistische Einstellung, wonach jeder Kampf um Macht nicht nur jenseits der Moral liegt, sondern sich sogar als Mittel zum Zweck moralischer Appelle bedienen kann. Das zu uebersehen ist vielleicht die Ursache des transatlantischen Missverstaendnisses.

[Vgl.: Interview mit David Blankenhorn, einem der Inititiatoren des amerikanischen Aufrufs, in der TAZ vom 20.04.2002:
http://www.taz.de/pt/2002/04/20/a0146.nf/text.name,askfu3lJM.n,1
K.B.]

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