Historikertag 2010: Didaktik der Geschichte

Von
Martin Lücke, Arbeitsbereich Didaktik der Geschichte, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Besprochene Sektionen

"Was ist guter Geschichtsunterricht? – Qualitätsmerkmale in der Kontroverse"
"Globalgeschichtliche Perspektiven im Geschichtsunterricht. Sektion des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands"
"Schulfach Geschichte: Geschichtslehrpläne ohne Inhalte?"
"Public History – Geschichte in der Öffentlichkeit. Das zwanzigjährige Jubiläum von „1989“ im Spannungsfeld von akademischer und öffentlicher Zeitgeschichte"
"Ansichts-Sachen. Fremd- und Selbstwahrnehmung des „Islam“ in Bildmedien"

Ist die Bundeskanzlerin eine Geschichtsdidaktikerin? Zumindest war Angela Merkel die erste, die beim 48. Historikertag in Berlin das Wort „Geschichtsbewusstsein“ in den Diskurs einführte, jene Zentralkategorie, mit der sich die Didaktik der Geschichte als wissenschaftliche Disziplin konstituiert. „Wir brauchen auch als Nation Geschichtsbewusstsein“, so die Politikerin in ihrer Eröffnungsansprache. Gerade solche nationalen Grenzziehungen zu überwinden hatte sich der Historikertag mit seinem Motto „Über Grenzen“ jedoch eigentlich zum Ziel gesetzt. Aus geschichtsdidaktischer Sicht also ein recht missratener Einstieg in die Veranstaltung. Welchen Beitrag konnte die Didaktik der Geschichte auf dieser Großveranstaltung leisten, um „Über Grenzen“ nachzudenken? Und konnte sie sich – eingeschnürt von fachhistorischer Forschung auf der einen (vertreten durch den Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands) und Schulpraxis auf der anderen Seite (vertreten durch den Verband der Geschichtslehrer Deutschlands) als eigene Disziplin behaupten oder gar profilieren?

Profilieren konnte sie sich zweifellos als empirisch arbeitendes Fach. Vor allem in der Sektion „Was ist guter Geschichtsunterricht? – Qualitätsmerkmale in der Kontroverse“ gelang es, vielfältige Zugriffsmöglichkeiten einer empirischen Erforschung historischer Lernprozesse aufzuzeigen, zu vergleichen und zu diskutieren. Ziel der Sektion war es, generell Chancen, Grenzen und konkrete Möglichkeiten einer empirischen Erforschung von Geschichtsunterricht am Beispiel einer videografierten und transkribierten Geschichtsstunde aufzuzeigen, in der sich ein Leistungskurs Geschichte aus Niedersachsen daran versucht hat, anhand des Themas „Der Sturm auf das Winterpalais 1917“ historisch zu lernen. Nicht um die Fixierung eines kanonisierten Methodenrepertoires empirischer Forschung ging es in der Sektion, als vielmehr darum, dicht am Material aufzuzeigen, wie empirisches Arbeiten in der Geschichtsdidaktik konkret funktionieren kann. Analysiert wurde empirisches Material aus Lehrer/innenperspektive, aus Schüler/innenperspektive und schließlich aus fachdidaktischer Perspektive. MEIK ZÜLSDORF-KERSTING (Osnabrück) verwies in seiner Einleitung auf die bisherigen Defizite in der Entwicklung von etablierten Messinstrumenten zur empirischen Erforschung historischer Lernprozesse, und zugleich auf die Pionierstudie „Guter Geschichtsunterricht“ von Peter Gautschi, die der Sektion nicht ohne Grund ihren Namen gab. HOLGER THÜNEMANN (Münster) untersuchte in seinem Referat Merkmale für guten Geschichtsunterricht aus Lehrerperspektive. Zur Auswertung kam bei ihm ein Interview mit dem Lehrer, der die zuvor präsentierte Unterrichtsstunde tatsächlich ‚gehalten’ hatte. Anhand seiner Analyse schälte Holger Thünemann dessen subjektive Theorie von gutem Geschichtsunterricht heraus, die sich sowohl durch einen „harten fachspezifischen Kern“ (zum Beispiel durch Qualitätsmerkmale wie Kontroversität und Quellenkritik, historisches Lernen als Prozess historischen Denkens) als auch durch fachunspezifische Anteile auszeichne. JOHANNES MEYER-HAMME (Hamburg) untersuchte Interviews mit Schüler/innen über die videografierte Geschichtsstunde und stelle heraus, dass Schüler/innen durchaus über die besondere Fachspezifik von Geschichtsunterricht reflektieren und dabei zum Beispiel historische Gattungs- und Methodenkompetenz als Kennzeichen von gutem Geschichtsunterricht benennen würden. Andererseits sei zu beobachten, dass das Fach auch als reines Lernfach wahrgenommen wurde, etwa, indem das Auswendiglernen eines Tafelbildes als Strategie des Leistungserwerbs genannt wurde. GERHARD HENKE-BOCKSCHATZ (Frankfurt am Main) analysierte die Geschichtsstunde aus fachdidaktischer Perspektive, nahm dabei Struktur und Materialauswahl in den Blick, beschäftigte sich aber schwerpunkthaft mit der Schüler-Lehrer-Kommunikation. Er stellte durch eine dichte hermeneutische Analyse der Gesprächsfäden zwischen Lehrer und Schüler/innen heraus, dass eine kognitiv anregende Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand in der Stunde (eher) nicht stattgefunden habe und dass zudem zu beobachten sei, dass auch in dieser Lernsequenz Geschichtsunterricht zu sehr auf ein Einüben der gängigen, gesellschaftlich und politisch dominierenden Standpunkte zu historischen Themen beschränke. PETER GAUTSCHI (Aarau) systematisierte das dem Prinzip der Triangulation entsprechende methodische Vorgehen seiner drei Vorredner. Vor allem hob er darauf ab, dass eine explizite Vermittlung des Prozesscharakters historischen Denkens zum Qualitätsmerkmal von gutem Geschichtsunterricht werden solle.

Die Sektion „Globalgeschichtliche Perspektiven im Geschichtsunterricht“, explizit als Sektion des Verbandes der Geschichtslehrer benannt, führte vor Augen, dass die Didaktik der Geschichte noch immer um ihren Platz zwischen fachhistorischer Forschung und den normativ-curricularen Setzungen des Geschichtsunterrichts kämpfen muss. So betonte HANS WOIDT (Tübingen) als Leiter der Sektion, dass die Integration globalgeschichtlicher Themen in die Curricula und in die schulische Praxis zwar notwendig sei, Ziel der Sektion sei es jedoch lediglich, neue Perspektiven für globalgeschichtliche Themen aufzuzeigen. Eine konsequente Neuorientierung institutionalisierten historischen Lernens, etwa durch ein konsequentes Umschreiben bisheriger Rahmenlehrpläne, solle einer Politik der „kleinen Schritte“ weichen. Als „didaktische Sektion mit starken fachwissenschaftlichen Anteilen“ angekündigt, gelang es nicht, eine Brücke zwischen zwei explizit fachwissenschaftlichen Referaten und den theoretischen und pragmatischen geschichtsdidaktischen Überlegungen zu bauen. Gewiss boten die Ausführungen von UNSUK HAN (Seoul) zur Globalisierung aus asiatischer Sicht und jene von HERMANN J. HIERY (Bayreuth) zu Globalisierung aus europäischer Perspektive zahlreiche Inspirationen zur Reflexion über Globalgeschichte aus fachhistorischer Sicht. So hätte zum Beispiel anhand beider Vorträge diskutiert werden können, inwieweit Globalgeschichte das Konzept der Nation benötigt, um historiografisch überhaupt arbeitsfähig zu sein oder inwieweit etwa das Konzept des Parlamentarismus als Kennzeichen eines kolonialen Eurozentrismus beschrieben werde könne. Inspirationen für ein Nachdenken über Globalgeschichte als Thema historischen Lernens boten beide fachwissenschaftlichen Beträge jedoch nicht. Zwar betonte Unsuk Han, man müsse aus globalgeschichtlicher Sicht die Schulbücher radikal neu schreiben (und geriet damit in Gegensatz zu Hans Woidts eher zurückhaltender Auffassung einer curricularen Revision), allein ein solcher Erkenntnisgewinn rechtfertigt es aber nicht, Fachwissenschaft lediglich isoliert neben die Geschichtsdidaktik zu stellen. Offenbar sah die Architektur der Sektion einen tatsächlichen Dialog zwischen fachhistorischer Forschung und Didaktik der Geschichte auch gar nicht vor, denn beide fachwissenschaftlichen Referate wurden isoliert als solche diskutiert und auch vom Publikum nicht auf deren geschichtsdidaktisches Potenzial hin befragt, so dass es zur Aufgabe der Sektionsmoderation wurde, explizit darauf hinzuweisen, dass sich nun noch ein didaktischer Teil anschließen würde. Hier hingegen boten HILKE GÜNTHER-ARNDT, URTE KOCKA und JUDITH MARTIN (alle Berlin) nicht nur einen gelungenen Gesamtabriss über die geschichtskulturelle Relevanz von Globalgeschichte, eine Reflektion über ein (notwendiges) problemorientiertes historisches Lernen und eine Einordnung in Kompetenzdebatten des Faches. Es gelang zudem, anhand ausgewählter Inhaltsfelder (Transnationales Erinnern an den 17. Juni 1953, Industrialisierung als ‚glokal’ verflochtene Geschichte, Ritter als globalhistorisches Phänomen, Sklaverei als globalgeschichtlicher Längsschnitt sowie globale Klimageschichte als interdisziplinäre Perspektive für historisches Lernen) zu verdeutlichen, dass alle Panik, eine Integration von Globalgeschichte in den Kanon historischen Lernens würde zu einer Komplettrevision der Inhalte von Geschichtsunterricht führen, unbegründet ist. Die didaktischen ‚Schlussplädoyers’, dass unter Berücksichtigung globalgeschichtlicher Fragestellungen gerade die bisher kanonischen und zumeist nationen- bzw. eurozentristisch entworfenen Inhalte historischen Lernens neu erzählt werden können (und sollten) und dass auch das Erzählen einer globalen „Big History“ in die Reichweite schulischen historischen Lernens geraten kann, rundeten zumindest den geschichtsdidaktischen Part dieser Sektion gelungen ab.

Ins Mark aktueller und überaus kontrovers geführter Debatten um Inhalte und Kompetenzen historischen Lernens stieß die Podiumsdiskussion „ Schulfach Geschichte: Geschichtslehrpläne ohne Inhalte?“ des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschland. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um neue Bildungsstandards für das Fach Geschichte in Hessen, an deren Fundamentalkritik eine Allianz aus Geschichtslehrerverband und Historikerverband maßgeblich mitgewirkt hatte und auf die von Seiten der Geschichtsdidaktik wiederum bisher nur von Ulrich Mayer angemessen reagiert wurde, stellte der Verband der Geschichtslehrer einen Entwurf für Bildungsstandards im Fach Geschichte für den gymnasialen Geschichtsunterricht vor. Warum der Verband der Geschichtslehrer nur Männer an diesem Entwurf mitarbeiten ließ, kam nicht zur Sprache. Dass es bisher keine „nationalen Bildungsstandards“ im Fach Geschichte gebe, führten die Autoren des Entwurfs auf die Nachlässigkeit der deutschen Kultusbürokratie zurück. Ob solche „nationalen“ Standards historischen Lernens überhaupt notwendig und vor dem Hintergrund einer heterogenen Gesellschaft auch wünschenswert sind (eine angesichts des Mottos des Historikertages mehr als berechtigte Frage), bleibt im Entwurf undiskutiert. Vorgestellt wurde ein Papier, das unter „historischer Kompetenz“ eine Entwicklung von Geschichtsbewusstsein und narrativer Kompetenz versteht und der die drei Teilkompetenzen einer „Deutungs- und Reflexionskompetenz“, einer „Sachkompetenz“ und einer „Medien-Methoden-Kompetenz“ zugeordnet werden. Als Gesamtentwurf erscheint eine solche Strukturierung von Kompetenzen historischen Lernens nicht unschlüssig, wünschenswert wäre jedoch eine stärkere Betonung einer historischen Orientierungskompetenz (die recht unscheinbar unter die Deutungs- und Reflexionskompetenz subsumiert wurde) und – eng damit verbunden – das explizite Ausweisen einer geschichtskulturellen Kompetenz (die im Entwurf bei der „historischen Kompetenz“ nur knapp mitverhandelt wird). So wird hier ein Kompetenzmodell historischen Lernens vorgestellt, das sich recht einseitig an Geschichte als reinem Denkfach und weit weniger an Geschichte als einem Orientierung stiftenden lebensweltlichen Erfahrungsraum orientiert. Betont wurde bei der Vorstellung, dass sich der Entwurf am „studienorientierten Gymnasium“ orientiere und dass deshalb ein curricularer Entwurf präsentiert werden müsse, der vor allem auf die spätere Studierfähigkeit von Schülerinnen und Schülern abheben solle. Hier soll nicht diskutiert werden, ob die Orientierung an einer Schulform, die bildungspolitisch gewaltig unter Druck geraten ist, den Aufwand des Verfassens eines solchen Papiers überhaupt rechtfertigen kann. Fragwürdig erscheint vielmehr der Vorschlag eines Katalogs von „Fachinhalten des Kerncurriculums in grobchronologischer Ordnung“, der dem Entwurf beigefügt ist, der verbindliche Inhalte von Geschichtsunterricht vorschlägt. Historisches Wissen wird hier strikt entlang einer chronologischen Achse geordnet, vom „Menschen in urgeschichtlicher Zeit“ bis in unsere Gegenwart hinein. Zudem bleibt die Auswahl von Themenzuschnitten seit dem Mittelalter zu eng einer nationalen Meta-Narration verpflichtet (so ist von einem „Deutschen Reich in der Ottonenzeit“ die Rede) und ist zudem stark politikgeschichtlich dominiert. Auch tauchen als handelnde Akteure im Entwurf ausschließlich Männer auf (von Homer bis Wolf Biermann, lediglich Sophie Scholl findet als „Hans und Sophie Scholl“ Erwähnung). Exemplarisch könne jedoch zum Beispiel am Thema „Frauen, Juden, Protestanten“ zu Menschen- und Bürgerrechten historisch gelernt werden. Ob ein solcher Wissenskatalog tatsächlich auf eine Studierfähigkeit hinarbeiten kann, darf beim Facettenreichtum der akademischen Geschichtswissenschaften stark bezweifelt werden, orientiert sich der Entwurf doch nur unzureichend an denjenigen Themenfeldern, mit denen heutige Studierende konfrontiert werden wie etwa die Neue Kulturgeschichte oder transnationale Ansätze. Ob die Themenauswahl dazu geeignet ist, gerade in einer heterogenen Gesellschaft, in der Migrationen, soziale Ungleichheiten und bunt durchmischte Geschlechterverhältnisse kennzeichnend sind, Geschichte vor allem in ihrer Orientierungsfunktion erlebbar zu machen, erscheint gleichermaßen zweifelhaft. Die hier vorgetragene Kritik an einem Entwurf von Männern aus der gymnasialen Schulpraxis führt jedoch gleichermaßen vor Augen, dass der Didaktik der Geschichte andere und eigene Antworten zur Strukturierung historischen Wissens fehlen oder dass sie zumindest nur noch selten nach ihrer eigenen Expertise hierzu befragt wird. Die Podiumsdiskussion markierte sehr deutlich, dass die Geschichtsdidaktik Gefahr läuft, ihre Deutungshoheit (oder doch zumindest ihre gleichberechtigte Teilnahme an solchen Deutungsdebatten) bei der Diskussion über die Inhalte historischen Lernens zu verlieren.

Ein vielversprechendes und recht junges Gebiet geschichtsdidaktischer Reflexion wurde in der Sektion „Public History – Geschichte in der Öffentlichkeit. Das zwanzigjährige Jubiläum von ‚1989’ im Spannungsfeld von akademischer und öffentlicher Zeitgeschichte“ betreten. Die Sektion verfolgte ein anspruchsvolles Ziel: Durch Dialoge zwischen Vertretern von Geschichte in der Öffentlichkeit und Repräsentanten akademischer Geschichtswissenschaft sollte ausgelotet werden, welche Deutungsangebote und Deutungskonkurrenzen in diesen beiden Sphären bestehen. FRANK BÖSCH (Gießen) und SVEN-FELIX KELLERHOFF (Berlin) führten einen solchen Dialog zum Thema „Historiker als Journalisten“, ROSEMARIE BEYER-DE HAAN (Berlin) und OLAF HARTUNG (Gießen) befassten sich mit Museen und Gedenkstätten, ANNA KAMINSKY (Berlin) und EDGAR WOLFRUM (Heidelberg) nahmen Historiker als „Aufarbeiter“ in den Blick, während THOMAS FISCHER (Konstanz) und HANNO HOCHMUTH (Berlin) sich mit Historikern als Filmemachern beschäftigten. Zu Beginn der Sektion bot jedoch zunächst MARTIN SABROW (Berlin/Potsdam) eine Einführung in die Besonderheit von „1989“ als in den Geschichtswissenschaften und der Geschichtskultur wirkungsmächtigem Gedenkjahr. SIMONE RAUTHE schärfte den Begriff der Public History, indem sie eine Systematisierung von Public History als einer „history by the public“, einer „history for the public“ und einer „history about the public“ vorlegte. Das geschichtsdidaktische Konzept der Geschichtskultur sah sie als nicht kongruent zu ihrer Systematisierung an, weil es ihr zufolge zu wenige anwendungsbezogene Anknüpfungspunkte biete. Hier hätte man sich gewünscht, dass eine solche Kritik am Konzept der Geschichtskultur weiter entfaltet und vor allem konkretisiert worden wäre. Wenn Simone Rauthe zum Beispiel die These vertrat, die Geschichtswissenschaften könnten von der Public History vor allem lernen, Vermittlungsfragen nicht zu vernachlässigen, so sind eben solche Vermittlungsfragen doch gerade durch das Konzept der Geschichtskultur bereits vorgedacht, in dem dort explizit beschrieben wird, wie sich kognitive, politische und ästhetische Dimensionen von Geschichtskultur gegenseitig überlappen. So sehr der Ruf Susanne Rauthes nach einem eigenen Lehrbuch zu Public History, in dem Methoden- und Vermittlungsfragen für Geschichte in der Öffentlichkeit im Zentrum stehen, dann auch berechtigt erschien (denn ein solches Werk fehlt in der Tat), so sehr hätte sie darauf verweisen können, dass ein solches Grundlagenwerk doch eigentlich „Handbuch Geschichtskultur“ heißen müsste.

Vielschichtige Überlegungen zu Geschichte in der Öffentlichkeit bot die Sektion „Ansichts-Sachen. Fremd- und Selbstwahrnehmung des ‚Islam’ in Bildmedien“. Hier gelang es vor allem, die Ebene der Vermittlung von Geschichte in Schulgeschichtsbüchern, die Repräsentation von Geschichte in populärwissenschaftlichen Geschichtsmagazinen, Entwürfe antiislamischer Bedrohungsszenarien in deutschen Massenmedien sowie die Bedeutung der visuellen Repräsentation des Holocaust in der (geschichts-)politischen Kultur im Nahost-Konflikt in einer Sektion zu integrieren. Ausgangspunkt waren Überlegungen zu Visual History und dem mittlerweile auch die Geschichtsdidaktik erreichten visual turn. MICHAEL WOBRING (Augsburg) konnte zunächst anhand einer methodisch überzeugenden und empirisch gesättigten Analyse von Schulgeschichtsbüchern aus Deutschland, Spanien und Frankreich nachweisen, dass die visuelle Darstellung des Islam in Bildmedien stets das ‚Andere’ der eigenen Kultur repräsentiert. Nur die Darstellung des mittelalterlichen Islam in Spanien wich hiervon ab, sollte der Islam wohl auf diese Weise zum historisch ‚Eigenen’ einer besonderen Zeitspanne spanischer Geschichte werden. Die Auswahl der drei Länder kann gerade deshalb überzeugen, weil alle drei über historisch bedingte unterschiedliche Beziehungen zum Islam verfügen. Anhand einer quantitativen Auswertung von Bildmaterial zum Islam zeigte Michael Wobring, dass zwar in Spanien und Frankreich die Anzahl von Bilddarstellungen mit islamisch konnotierten Bildinhalten von 1970 bis 2010 gesunken ist (während sie in Deutschland sehr stark anstieg), in allen drei Ländern ist jedoch ein deutlicher Anstieg von Darstellungen mit ‚negativen’ Bildinhalten zu beobachten. In qualitativer Hinsicht zeigte Michael Wobring überzeugend, dass es insbesondere spezielle Arrangements von Bild und Text sowie Mechanismen der Gegenüberstellung von Darstellungen (etwa Islam/Christentum) waren, durch die solche ‚Negativ’-Darstellungen narrativert werden konnten, ihnen also auf diese Weise ein historischer Sinn zugewiesen wurde. JUTTA SCHUMANN (Augsburg) entdeckte ganz ähnliche Mechanismen bei der visuellen Repräsentation des Islam in populären Print-Geschichtsmagazinen. Im Gegensatz zum Medium Schulbuch, das am Tropf staatlicher Vorgaben zum Geschichtsunterricht hängt, müssen populäre Geschichtsmagazine vor allem kommerziell erfolgreich und marktgängig sein. Nach einer Analyse eben dieses Marktes zeigte Jutta Schumann anhand der Magazine „Geo Epoche“, „Damals“, „P.M. History“ und „G-Geschichte“, dass – summa summarum – fünf Prozent der Heftthemen mit einem explizit „islamischen“ Thema (zum Beispiel Kreuzzüge, Anfänge des Islam/Mohammed, spanische Reconquista) aufwarten. Sie wies nach, dass bei einer Behandlung des Islam in diesen Magazinen überwiegend Titelbilder verwendet werden, die den Islam als eine aggressive Religion konnotieren, unter anderem, indem historische Bildinhalte mit aktuell-agressiven Bildelementen gepaart werden. Eine solche Tendenz, auch das zeigte Jutta Schumann, sei aber erst seit den Terroranschlägen des Jahres 2001 zu beobachten, geschichtliche Zusammenhänge auf diese Weise an neue, polarisierende Bedeutungszusammenhänge angebunden. SABINE SCHIFFER (Erlangen) schließlich arbeitete unter der Überschrift „Unheimliche Gäste“ heraus, dass Bedrohungsszenarien zum Thema Islam auch (und vielleicht zu allererst) in gedruckten Massenmedien vorzufinden sind. Aus medienwissenschaftlicher Sicht zeigte sie, dass sich mittlerweile ein scheinbar fest etablierter Bildcode bei der Darstellung des Islam konstituiert hat (etwa Moscheedarstellungen, von hinten fotografierte betende Männer). CHRISTOPH HAMANN (Ludwigsfelde) schließlich wob eine neue Perspektive in die Sektion ein. Er zeigte, auf welch unterschiedliche Weise Bild-Wissen über die Darstellung des Holocaust in den Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern in Nah-Ost zur Anwendung kommt – und wie auf diese Weise historisches Bildwissen zu einem global icon werden konnte. So präsentierte Christoph Hamann Bildmaterial vor allem aus dem Bereich der politischen Karikatur, mit dessen Hilfe er zeigte, wie die Transformation von historischem Bildwissen zur Genese politisch-nationaler Identitäten in Nahost beitragen konnte, und wie der Holocaust als „Gedächtnisreligion“ gerade visuell umgedeutet werden konnte. So bot die Sektion insgesamt einen vielschichtigen multiperspektivischen Zugang zu Aspekten von visueller Globalisierung im geschichtskulturellen Raum und überraschte mit inspirierenden Bildanalysen, die vor allem vor Augen führen, wie wichtig eine Integration der Methoden der Visual History in den Methodenkanon von Geschichtsdidaktik, Geschichtskultur und (wenn man hier begrifflich trenne möchte) Public History ist. Deutlich wurde aber auch – und damit schloss Michael Wobring die Diskussion der Sektion, dass wir eigentlich alle noch visuelle Analphabeten sind.

Was zeigt sich in der Zusammenschau? Glänzen (oder doch zumindest verheißungsvolle Perspektiven öffnen) konnte die Didaktik der Geschichte auf dem 48. Deutschen Historikertag nur dann, als sie selbstbewusst und ohne einen Reglementierungsdruck aus fachhistorischer Forschung und Geschichtslehrerzunft das Profil eines eigenen Faches zu schärfen versuchte, eines Faches, das sich derzeit mit der empirischen Erforschung historischen Lernens und mit der Repräsentation historischen Wissens in der Öffentlichkeit beschäftigt. Dem Motto des Historikertages „Über Grenzen“ konnte die Didaktik der Geschichte dabei durchaus gerecht werden. Geschichtsbewusstsein für die Nation hingegen bot sie nicht an. Die Bundeskanzlerin wird enttäuscht sein.