H-Soz-Kult: Herzlichen Dank an Sie, Herr Weber, für Ihre Bereitschaft zu unserem Interview über die Fachinformationsdienste (FID). Bereits 2016 haben wir verschiedene Kolleginnen und Kollegen aus dem Fach sowie aus an FID beteiligten Bibliotheken zu den damals im Entstehen begriffenen FID-Strukturen befragt <https://www.hsozkult.de/debate/id/diskussionen-3829>. Wir möchten nun nach zwei Jahren ein erstes Resümee versuchen und Sie als Professor für Alte Geschichte an der Universität Augsburg wie auch als Beiratsmitglied des FID Altertumswissenschaften um eine Einschätzung bitten. Welche Entwicklungen des FID begrüßen Sie und welche schätzen Sie eher kritisch ein?
Gregor Weber: Erfreulich sind die vielen Initiativen, die unter propylaeum.de gestartet sind bzw. gebündelt wurden; sie zeigen das große Potential sowohl für Such- und Recherchemöglichkeiten als auch für das elektronische Publizieren auf und betreiben letztlich auch so etwas wie eine Bewusstseinsbildung. Hervorzuheben ist auch die Vielfalt der Projekte im FID, die von der bibliographischen Erschließung über die Digitalisierung von Beständen bis hin zu Texttools reicht und ebenso Erfordernisse auf verschiedenen Ebenen deutlich macht. Allerdings hat sich schon jetzt mit den Vorbereitungen für die zweite Förderphase gezeigt, dass für die Antragstellung ein nicht unerheblicher Aufwand zu betreiben ist – vieles von dem, was im FID gemacht wird bzw. geplant ist, gehört inzwischen unverzichtbar zu den Grundlagen in Forschung und Lehre, die auf Dauer zu stellen sind. Hier wird man mittelfristig umdenken und von anderen Zeiträumen ausgehen müssen, sonst gestaltet sich das alles viel zu mühsam und verbraucht Ressourcen, die für die eigentliche Arbeit dringend benötigt werden.
H-Soz-Kult: Welche Rolle spielt für Sie in Forschung und Lehre das digitale Publizieren? Hat sich vor dem Hintergrund Ihrer Beiratsmitgliedschaft Ihr Nutzungsverhalten in Bezug auf elektronische Ressourcen (Literatur und Fachdatenbanken) verändert?
Gregor Weber: Festzustellen ist, dass die elektronische Beschaffung von Literatur vieles erleichtert und die Verfügbarkeit zumindest erhöht, und auch beim Publizieren selbst wird immer mehr auch nach den digitalen Möglichkeiten geschaut. Ich selbst nutze die Angebote auch mehr, stelle aber auch fest, dass es immer schwieriger wird, in einem rasch sich entwickelnden Feld den Überblick zu behalten und zu erproben, was für die eigene Arbeit oder für Studierende wirklich hilfreich ist. Dies führt im Kollegenkreis aber auch schon dazu, dass man sich auf die Nutzung bereits bekannter Angebote beschränkt und aktuelle Entwicklungen nicht zur Kenntnis nimmt, so dass Hilfen einerseits zur Information, andererseits zur Praktikabilität vonnöten sind.
H-Soz-Kult: Eine der großen Befürchtungen im Vorfeld des Umstiegs von den SSG auf die FID war, dass die „umfassende Erwerbung von Literatur“ zum Erliegen kommen würde. Eine weitere, oft geäußerte Kritik an den FID bezieht sich auf die Einengung des Nutzerkreises auf ausschließlich die "Spitzenforschung". Wie stellt sich diese Situation aus Ihrer Sicht dar?
Gregor Weber: Zunächst kann ich für mein Fach, dessen Sondersammelgebiet bei der BSB in München verortet war, keine Einbußen feststellen – auch trägt die Arbeit an der ‚Gnomon Bibliographischen Datenbank‘ (GBD) dazu bei, dass etwa die Dateneinspielungen aus der ‚Joint Library‘ in London Desiderate in unseren Beständen offenlegen, die dann angeschafft werden können. Was den FID angeht, so werden ja weiterhin Bücher angeschafft und insbesondere das Angebot auf propylaeum.de ist so breit gefächert, dass Forschung auch in der Breite unterstützt wird. Dass es einzelne Tools gibt bzw. geben wird, die zum Beispiel aufgrund der erforderlichen Kenntnisse in antiken Sprachen nur einem begrenzten Nutzerkreis, das heißt insbesondere nicht allen Studierenden, zur Verfügung steht, ist keinesfalls negativ zu sehen. Zudem wird im Zugang zu den Angeboten des FID der Begriff ‚Spitzenforschung‘ ja durchaus breit ausgelegt, indem zumindest jede Person, die eine hauptberufliche Institutsaffiliation nachweisen kann, antragsberechtigt ist. Sehr viel schädlicher wäre es, wenn wesentliche Arbeitsmittel nur noch an wenigen gut ausgestatteten Exzellenzstandorten zur Verfügung stünden und konkurrenzfähige Forschung an anderen Standorten nicht mehr möglich wäre. Dies würde die hohe Qualität in der Fläche, die für den Hochschulstandort Deutschland charakteristisch ist, nachhaltig beschädigen. Die Angebote des FID sind insofern ein wichtiges Korrektiv zu den sonstigen Konzentrationsprozessen in der Forschungsförderung.
H-Soz-Kult: Sie selbst sind Mitherausgeber der Bibliographie „Gnomon bibliographische Datenbank“ (GBD). Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht Bibliographien angesichts digitaler Literaturangebote und Suchmaschinen heute bzw. wie muss die Bibliographie von morgen gestaltet sein?
Gregor Weber: Sicherlich bieten die bekannten Suchplattformen mit ihrer Volltextsuche großartige neue Möglichkeiten. Aus einer ganzen Reihe von Gründen werden Bibliographien dennoch auf absehbare Zeit ein wichtiges Arbeitsinstrument bleiben: Wir sind noch weit von einem Zustand entfernt, in dem im Internet ‚alles‘ zu finden ist. Die fachspezifisch relevanten Inhalte sind zudem in den allgemeinen Suchangeboten in einer Fülle fachfremder Treffer versteckt. Durch eine ausgefeilte Verschlagwortung, wie sie etwa die GBD bietet, ist ein zusätzliches Rechercheinstrument gegeben, das Suchmaschinen nicht bieten können. Die Mehrsprachigkeit dieses Thesaurus ermöglicht zudem eine in Ansätzen mehrsprachige Suche – ein Aspekt, der gerade in einem so internationalen Fachbereich wie den Altertumswissenschaften enorm wichtig ist. Für die Zukunft wird es darauf ankommen, dass in den bibliographischen Datenbanken neue visuelle Sucheinstiege über Karten und Tagclouds angeboten werden, die auf Normdatenverknüpfungen und Datamining basieren. Unverzichtbar ist heute eine Nachnutzbarkeit der Daten in gängigen Literaturverwaltungen. Ferner müssen die Daten mit möglichst vielen Anreicherungen ausgestattet sein – dies können Inhaltsverzeichnisse von Monographien und Informationen über die Verfügbarkeit in Bibliotheken sein, aber auch Abstracts und Volltexte, ebenso konkrete Verortungen auf Karten oder der Zugang zu behandelten Textstellen antiker Autoren bzw. Inschriften. Dies erfordert jedoch bei lizenzpflichtigen Angeboten ein ausgefeiltes Rechtemanagement. Ferner haben wir in Deutschland das Problem, dass es den für Angebote wie Google Books konstitutiven Begriff des ‚fair use‘ in unserem Rechtssystem nicht gibt. Eine Übernahme etwa von Klappentexten oder Aufsatzabstracts ist daher ohne ausdrückliche Zustimmung des Verlags nicht möglich, von einer Indexierung von Volltexten einmal ganz abgesehen. In einer idealen Welt könnten wir bibliographische Erschließung und Volltextsuche in einem fachspezifischen Datenpool verbinden. Für die weitere Entwicklung wird in diesem Punkt entscheidend sein, welche Bedeutung Open Access-Publikationen in den Altertumswissenschaften gewinnen.
H-Soz-Kult: Als Beiratsmitglied kommt Ihnen auch die Aufgabe zu, den Nutzerbedarf der "Fachcommunity" zu formulieren – Wie bringen Sie Ihre Expertise konkret ein? Sehen Sie spezifische Anforderungen an einen altertumswissenschaftlichen FID gegenüber anderen Fächern und anderen Online-Angeboten in den Geschichtswissenschaften, und welche Wünsche und Vorschläge knüpfen Sie an die Weiterentwicklung der FIDs?
Gregor Weber: Für die Expertise ist grundsätzlich der intensive Austausch mit FachkollegInnen wichtig, um deren Bedürfnisse und Interessen in die Beiratssitzungen einzubringen bzw. zur eigenen Antragstellung zu ermutigen. Der altertumswissenschaftliche FID unterscheidet sich insofern von anderen Fächerverbünden, als für Texte, Bilder und Objekte eine große zeitliche Streuung mit jeweils sehr unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen allein schon in den drei Grunddisziplinen Klassische Philologie, Klassische Archäologie und Alte Geschichte zu konstatieren ist, von Vor- und Frühgeschichte und den vorderasiatischen Archäologien einmal ganz zu schweigen. Es gibt aber gerade mit Blick auf Literaturdatenbanken eine hohe Schnittmenge mit den Anforderungen anderer Fachkulturen, etwa der Theologie oder der Geschichtswissenschaft, für die die Arbeit mit Texten, Bildern und Formen der Literaturerschließung im Zentrum der täglichen Arbeit steht bzw. die perspektivisch weiterentwickelt werden muss. Auch hier ist ein Austausch enorm wichtig, lassen sich doch Lösungen mitunter direkt übertragen, so dass kostspielige Doppelarbeit vermieden werden kann.