Forum: Rez: Redaktion WerkstattGeschichte: Annotation, Lesestoff oder Beitrag zur Debatte? Nachdenken über Rezensieren als Nachdenken über Geschichtswissenschaft

Von
Rezensionsredaktion WerkstattGeschichte

Angesichts der von H-Soz-Kult aufgeworfenen fünf Problemlagen des Rezensierens könnte man von einer handfesten Krise des Rezensionswesens sprechen. Sinnvoller erscheint es allerdings, grundsätzlich darüber nachzudenken, wie Rezensieren als Teil wissenschaftlichen Arbeitens funktioniert – und funktionieren sollte: Wer rezensiert, wie, für wen und unter welchen Bedingungen? Und auch: Wer liest Rezensionen und warum? Darüber wird selten nachgedacht, nicht nur bei WerkstattGeschichte. Wir greifen daher die Einladung sehr dankbar auf, auch als Anstoß zur Weiterführung eines nie abgeschlossenen Diskussionsprozesses innerhalb unserer Zeitschrift.

Zunächst: Für die Historiographie, die mit und durch Sprache arbeitet, ist Rezensieren eine Art des Schreibens und Teil von Wissenschaft. Für unsere Diskussion bedeutet das zweierlei: Rezensionen sind, erstens, eine spezifische Form schriftlicher Äußerungen mit ihren eigenen impliziten wie expliziten Konventionen, die sich, zweitens, auf andere Texte bezieht. Historiographische Texte und ihre Rezensionen stehen also in einem argumentativen Sinnzusammenhang und bilden einen Prozess, in dem Geschichtswissenschaft erst entsteht.

Um ein verbreitetes Bild zu bemühen: Rezensionen erscheinen als kürzerer Text, der weitgehend deskriptiv wiedergibt, was andere bereits argumentativ vorgebracht haben: Thema, Frage, Forschungsstand, Quellen, Gliederung, Ergebnisse. Als eigene Argumentation der Rezensent:innen bleibt dann meist nur das, was etwas hilflos als „Würdigung“ bezeichnet wird. Träfe dies zu, wäre es gewiss die am wenigsten konstruktive Form des Rezensierens, bei der sich die Frage des abnehmenden Grenznutzens stellte.

Stattdessen halten wir es für sinnvoll, Rezensionen stärker als Teil der wissenschaftlichen Kommunikation wahrzunehmen. Dies bedeutet, auf bloße deskriptive Besprechungen zu verzichten und Argumentation, Stil und Struktur sowohl der Rezensionen als auch des rezensierten Buches gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Bis ein Text die Druckfassung erreicht hat, bedeutet ein solcher Ansatz auch redaktionelle Arbeit und Kommunikation mit den Rezensent:innen. Rezensionen wären dann eben nicht nur als Berichte über wissenschaftliche Ergebnisse, sondern ihrerseits stärker als Teil von Wissenschaft, als kollektiver Schreibprozess mit eigenständiger Qualität erkennbar.

Kurzum: Historiographie als textbasierte Wissenschaft und die Rezension als Mittel des Austauschs und der Kritik sollten sich nicht mit der Berichtsform bescheiden, sondern bei der Qualität des Arguments und der Argumentation als schriftlicher, ja literarischer Form ansetzen.

Geschichtswissenschaft als kollektives Unternehmen

Wissenschaft ist eine kommunikative Arbeit. Das Bild vom (geschichts-)wissenschaftlichen Arbeiten als einem einsamen Prozess, in dem der Wissenschaftler (und hier ist bewusst das Maskulinum gewählt) in seiner Kammer sitzt, Quellen auswertet, Erkenntnis gewinnt und Bücher verfasst, wird schon lange herausgefordert, wenn auch nicht gänzlich überwunden. Frauen- und Geschlechterforscher:innen weisen seit Jahrzehnten darauf hin, welche relevante Rolle etwa Frauen als Wissenschaftlerinnen und andere Personen außerhalb der Institution Universität im Forschungsprozess einnahmen: Als Bibliothekar:innen, Archivar:innen, Lektor:innen, Übersetzer:innen, Ideengeber:innen, Gesprächspartner:innen (und die Liste ließe sich fortsetzen). Heute sind zudem große Teile der Forschung in unserem Fach auf die Infrastruktur angewiesen, die durch Sekretariate, studentische Hilfskräfte, IT-Support etc. gestellt wird. Dass der Forschungsprozess auch heute noch gelegentlich allein als Wirkungsfeld des denkenden, arbeitenden Genies gedacht wird, irritiert. Zugleich sind diese Zuschreibungen Teil eines Wissenschaftssystems, das fast nur individualisierte (und zählbare) Leistungen kennt und honoriert: Publikationen, Zitationen, eingeworbene Drittmittel – all diese Marker wissenschaftlicher Reputation werden trotz der dahinterstehenden Arbeit vieler Personen in der Regel Einzelnen zugeschrieben. Diese sozial, kulturell und ökonomisch mächtigen Strukturen halten sich in den Kultur- und Geisteswissenschaften auch im 21. Jahrhundert hartnäckig.

Statt also den kollektiven Prozess von Wissenschaft in deren hierarchischer Struktur sichtbar zu machen, lesen wir weiterhin auktoriale Zuschreibungen und Markierungen, die die Hierarchien zugleich festigen und zum Verschwinden bringen. Widmungen und Vorworte verdecken dabei mehr als sie offenlegen. Hinweise in Rezensionen, dass es sich um eine Qualifikationsarbeit handele oder dass ein Buch in einem spezifischen (institutionellen) Kontext entstanden sei, sind aber nur sinnvoll, wenn daraus ein Argument entsteht.

Die strukturellen Hierarchien hinsichtlich Geschlecht, Alter, Qualifikationsgrad, Herkunft und zugeschriebener Reputation sind der Rezensionsredaktion von WerkstattGeschichte präsent und werden, teils recht kontrovers, diskutiert: Sollen, können und dürfen etwa junge Doktorand:innen „reife Forschungswerke“ rezensieren? Die Techniken des Peer Review stellen nur einen scheinbaren Ausweg dar, weil die Blindheit gegenüber vorgelagerten Hierarchien dadurch nur verlagert und Unvoreingenommenheit nur im Verfahren suggeriert wird. Eher scheint uns die Frage schon falsch gestellt, denn sie birgt die Hierarchie bereits in sich selbst: jung vs. alt, unerfahren vs. reif, etc. Man muss es sich (sozial, ökonomisch, kulturell) leisten können, deutlich zu kritisieren. Können und sollen wir dies als Redaktion berücksichtigen, ja rationalisieren, oder ansprechen? Das ist bei uns ein laufender Diskussions- und Abwägungsprozess.

Generell gilt: Rezensionen sind Teil eines größeren kooperativen Prozesses von der Buchauswahl bis hin zur Redaktionsarbeit, an dessen Ende die fertige und publizierte Rezension steht. In der Praxis der Rezensionsredaktion von WerkstattGeschichte bedeutet das: Wir treffen uns drei Mal jährlich, diskutieren gemeinsam, welche Bücher wir rezensieren lassen wollen, und überlegen, wen wir dafür als Rezensent:in anfragen könnten. Die eingegangenen Rezensionen durchlaufen ein mehrstufiges Lektorat, in das in der Regel drei Redaktionsmitglieder eingebunden sind und in dessen Verlauf der Text zwischen Redaktion und Autor:innen mehrfach ausgetauscht wird – ein solcher Lektoratsprozess ist freilich nur bei der Betreuung einer überschaubaren Anzahl von Rezensionen in dieser Intensität möglich. Der lektorierte Text schließlich wird beim Verlag weiterbearbeitet, bis er publiziert wird. Kurzum: Wir wollen an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass Rezensionen wie alle anderen wissenschaftlichen Texte Kollektivarbeit sind, bei der es mit dem Abdrucken allein nicht getan ist. Zugleich entstehen Rezensionen in hierarchischen Strukturen. Wir sehen es als Aufgabe einer Rezensionsredaktion an, diese Strukturen herauszufordern.

Über Aufmerksamkeitsökonomien und strukturelle Ungleichheiten

Werden die Auswahlkriterien für zu besprechende Bücher bei WerkstattGeschichte ausreichend reflektiert? Oder herrscht ein eher „pragmatischer“ Umgang vor, was wiederum auf eine zweite Eigenschaft des Rezensionswesens verweisen würde, nämlich darauf, dass es durch ähnliche strukturelle Ungleichheiten geprägt ist, wie der sonstige Wissenschaftsbetrieb auch? Welche Bücher werden überhaupt wahrgenommen, wie werden angesichts der Publikationsmenge die Aufmerksamkeiten gesteuert?

Eine Zeitschrift wie WerkstattGeschichte kann und will nicht die gesamte Landschaft historischer Neuerscheinungen abbilden, sondern trifft stets eine Auswahl, die von verschiedenen Faktoren abhängig ist: der Verortung unserer Zeitschrift in der historiographischen Tradition der Geschichtswerkstätten mit den Ansätzen der Alltagsgeschichte und einer Geschichte „von unten“, der Frage nach als innovativ erachteten Forschungsansätzen und -themen, ebenso aber den persönlichen (Forschungs-)Interessen der Redaktionsmitglieder. Die Auswahlkriterien resultieren aus der Beobachtung des Fachs und spiegeln zugleich Positionierung und Neigung der Redaktion. Durch solch redaktionelle Prämissen, gleich ob thematischer, epochaler oder methodischer Art, werden freilich strukturelle Ungleichheiten nicht per se produziert. Inwiefern jedoch mit bestimmten Redaktionspolitiken Ungleichheiten a priori angelegt sind, sollte dennoch stets reflektiert werden.

Allerdings ist das Gros der Auswahlentscheidungen vorgelagert und dies möchten wir hier unter dem Gesichtspunkt der Aufmerksamkeitsökonomien thematisieren. Olaf Blaschke hat aussagekräftige Zahlen dazu vorgelegt, aus welchen Verlagen Bücher bei der Historischen Zeitschrift und in H-Soz-Kult besprochen werden: Die meisten Rezensionen speisen sich aus wenigen als anerkannt geltenden Häusern. Ohne Statistiken zu bemühen, dürfte ein ähnlicher Eindruck für die meisten Rezensionsorgane zutreffen, auch für WerkstattGeschichte. Mithin wird eben die vielbeschworene Torwächterfunktion längst nicht nur von der wissenschaftlichen Gemeinschaft und ihren Kriterien bestimmt, sondern auch von Verlagen vorstrukturiert und offenbar unsererseits nachgebildet. Gewiss etwas zugespitzt wird man sagen dürfen, dass ökonomische und soziale Bedingungen grundlegend darüber mitbestimmen, was als Wissenschaft anerkannt und diskutiert wird. Verkürzt: wer die einigen Tausend Euro Druckkostenzuschuss nicht aufbringen kann und/oder nicht in wirksamen Netzwerken verankert ist, landet bei kleineren, weniger angesehenen Verlagen, die kaum rezensiert werden, oder versandet gar auf Uni-Servern.

Auch müssen wir uns die Frage stellen, wie wir uns zu dem immer dichter werdenden wissenschaftlichen Publikationsmarkt verhalten, dessen Teil wir sind. Der Hinweis, sich doch nur auf die in den Geisteswissenschaften geschätzte Form der Monografie zu beschränken, greift zu kurz. Das ritualisierte Lamento über die angeblich unfruchtbaren Sammelbände erscheint uns ebenso irreführend, stellen sie doch argumentativ eine andere Form der wissenschaftlichen Äußerung dar. Gar nicht reflektiert werden Zeitschriften. Welches Kriterium ließe sich finden, sie bei Rezensionen nicht zu beachten? Und wenn Geschichtswissenschaft weiter gefasst und nicht nur an das engere Wissenschaftssystem gebunden gedacht wird: Warum sind Besprechungen von Ausstellungen weitgehend an Feuilletons von Tages- und Wochenzeitungen auslagert? Auch WerkstattGeschichte veröffentlicht in jedem Heft nur eine Expokritik, hingegen ca. zehn Buchrezensionen. Ähnliches gilt für die zahlreichen digitalen Angebote (von Blogs, Podcasts und Apps bis hin zu Computerspielen) – auch hier öffnet sich ein weites Feld, das neu zu strukturieren und kritisch zu reflektieren wäre. Zugleich gilt es Standards zu diskutieren, wie solche Rezensionen auszusehen hätten, die sich eben nicht am Maßstab linear organisierter Schriftlichkeit orientieren. Vielleicht kann in diesem Kontext die Public History mit ihren disziplinenübergreifenden Ansätzen und Zugängen künftig Impulse liefern und neue Rezensionsformate initiieren.

Daran schließt sich die Frage an, wie national Diskussionsstränge verlaufen. Auch bei WerkstattGeschichte stammt die Mehrheit der rezensierten Bücher aus Deutschland; bereits die Schweiz und Österreich sind unterrepräsentiert. Als international zählt schon, was auf Englisch erschienen ist. Andere Regionen und Sprachen sind weitgehend abgedrängt in die area studies mit ihren eigenen Publikationsformen. So stellt sich an diesem Punkt prinzipiell die Frage, inwiefern das Rezensionswesen über das Vergessen von nicht rezensierten Büchern hinausgeht und durch das Übergehen von Büchern aus dem globalen Süden die Produktion von Nicht-Wissen potenziert.1 Zu reflektieren wäre auch, ob das bisher übliche Rezensionswerkzeug in puncto Sprache(n), Register und Begrifflichkeiten auch Zugriffe auf Werke erlaubt, die nicht im akademischen europäischen oder anglo-amerikanischen Wissensraum entstanden sind. Gleiches gilt, notabene, auch für die Auswahl der Rezensent:innen. Wir müssen konstatieren, dass die Rezensionsredaktion von WerkstattGeschichte den eigenen (theoretischen) Ansprüchen von Internationalität, Perspektivität und Diversität hinterherhinkt. Was wir hier zeigen wollten, ist die Erfordernis einer Reflexion über Aufmerksamkeitsökonomien und strukturelle Ungleichheiten, wenn wir das Rezensionswesen als Teil des Wissenschaftssystems begreifen.

Wissenschaft mit Verfallsdatum?

Selten wird über die Zeitlichkeiten und Zeithorizonte des Rezensionswesens (und die Aktualität von Rezensionen) nachgedacht. Rezensionen sind meist Besprechungen von Neu-erscheinungen. Neu ist entsprechend der Maßstäbe der Fachkultur, was maximal seit drei Jahren auf dem Buchmarkt ist. Bücher, die es bis dahin nicht auf die Rezensionsseiten geschafft haben, verfallen. Aber ist dieses am linearen Zeitverlauf orientierte Neuheitskonzept überhaupt schlüssig? Man könnte durchaus darüber spekulieren, ob eine ebensolche Wissenschafts- und Rezensionspraxis nicht dazu führt, dass mit immer neuen Begriffen, Konzepten und Theoremen doch wieder nur ältere Diskussionsstände zugeordnet oder schlimmstenfalls wiederholt werden. Die Frage des abnehmenden Grenznutzens würde sich also auch an diesem Punkt stellen: nach der Logik des Tempos verfallen Rezensionen noch schneller als die besprochenen Bücher. Denn wer, so ließe sich fragen, liest schon fünf Jahre alte Rezensionen?

Steht hier also nicht die strukturelle, kollektive wissenschaftliche Vergesslichkeit im Vordergrund, sondern eine kulturelle, habituelle und epistemologische Präferenz des Neuen, bei der nur Aktuelles valabel ist und alles andere historisiert, kanonisiert und damit eingefroren oder einfach vergessen wird? Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Rezensionen nicht selten auf (vergangene) Forschungsdebatten hindeuten. Teils von den Rezensent:innen direkt angesprochen, teils durch die Diskrepanzen beim Vergleich mehrerer Rezensionen zum gleichen Werk zutage tretend, werden diese Debatten in Rezensionen thematisiert oder gar „ausgefochten“, inter- und innerdisziplinäre Diskussionen auf diese Weise also sichtbar gemacht. Das Verfallsdatum von Rezensionen lässt sich in diesem Kontext schwer bemessen und scheint weniger an Neuheitskonzepten denn eher an Wissenschaftspraktiken orientiert zu sein.

Rezensionen erscheinen in wissenschaftlichen Zeitschriften mit erheblicher zeitlicher Verzögerung, selbst in reinen Online-Medien. Dies mag, neben Redaktionsaufwand und Herstellungsfristen, mit Arbeitsbelastungen und Prioritätensetzungen auf Seiten der Rezensent:innen zu tun haben. Dennoch lässt sich im digitalen Zeitalter nicht verleugnen, dass Informationen über Neuerscheinungen zunehmend schneller und detaillierter verfügbar sind, angefangen von Verlagsvorschauen bis hin zur bibliothekarischen Katalogisierung, die immer häufiger digital reproduzierte Inhaltsverzeichnisse oder auch Volltexte umfasst. Bei aller Digitalität stellt sich die Frage nach dem Nutzen der Rezensionsinstitutionen per se: Können beispielsweise Blogs und Podcasts als „indirekte“ Rezensionsorgane mit ihren teils pointierten, teils konzisen Formaten traditionelle analoge und digitale Rezensionsorgane in der Zukunft vielleicht herausfordern und an ihrer dominanten Stellung rütteln? Zugespitzt: Brauchen wir unter den angesprochenen Bedingungen wissenschaftlicher Kommunikation überhaupt noch Rezensionen und Rezensionsorgane?

Kritik der reinen Lesensfreude

Die Qualität von Rezensionen kann nicht auf der Berichterstattung über möglichst viele Inhalte beruhen, sondern muss einen qualitativen Mehrwert erzeugen, der die Besprechung zu einer unverzichtbar eigenständigen Kommentierung macht. Es ist unabdingbar, dass Sprache, Form, Inhalt und Kontextualisierung, wie bei der zu besprechenden Publikation auch, eine eigenständige Qualität zeigen. Im Rahmen einer Debatte über die Zukunft der Rezension halten wir dies für den Kern der Argumente pro recensio.

An dieser Stelle möchten wir daher einige Fragen in loser Folge aufwerfen.

Kann es nicht ein produktives Vorgehen sein, Rezensionen bewusst mit einer Außenperspektive zu verbinden, um so die Schlüssigkeit einer Argumentation und den Erkenntnisgewinn eines Buches mit Abstand zu beurteilen? Warum sollte eine Arbeit zum Historismus nicht von Mediävist:innen besprochen werden können? Warum eine historiographische Arbeit nicht von Ethnolog:innen? Intersektionalität, Interdisziplinarität und eine Perspektive über die Epochen hinweg würden Distanz und durch den „fremden Blick“ zusätzlichen Erkenntnisgewinn schaffen, etwa hinsichtlich der Methodenkritik oder der Transferfähigkeit geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse (vgl. den Vorschlag von T. Luks in diesem Forum).

Diesem Vorschlag steht die Spezialisierung einzelner Forschungsbereiche gegenüber. Erstens sinkt mit dem Grad an Spezialisierung die Zahl der an der Diskussion beteiligten Wissenschaftler:innen und damit die Möglichkeit, nicht bereits involvierte Rezensent:innen ausfindig zu machen, also in Fachzirkeln bereits bekannten Positionierungen zu entgehen. Zweitens sinkt mit einem steigenden Grad der Spezialisierung die Zahl informierter, ja interessierter Leser:innen. Es entsteht also ein Binnendiskurs, bei dem der Blick von außen schwieriger wird.

Wäre es hilfreich, wenn Rezensionen aus einem Korrespondent:innennetzwerk heraus entstehen, also die Entscheidung, was besprochen werden sollte, auf eine breitere Basis gestellt würde, ohne dass die Rezensionen notwendigerweise aus diesem Kreis heraus besprochen würden?

Soll allein nach der Repräsentativität der Forschungsfelder entschieden werden, oder nach ihrem innovativen Potential, oder nach der Qualität der Darstellung in Argumentation und Sprache? Und sollten die Rezensionsredaktionen überhaupt nach solchen Kriterien entscheiden? Oder sollten sie besser „den Markt“ abbilden und damit eine (vorgeblich) neutrale Position einnehmen?

Wissenschaftliche Arbeiten entstehen in einem Umfeld, das stark formalisierte Texte erwartet. Was davon kann annotiert, was kann rezensiert werden? Um es an dieser Stelle pointiert zu formulieren: Monographien, deren Ergebnisse bereits im Vorwort vorweggenommen werden, deren inhaltlicher Mittelteil immer wieder die Ausgangshypothese bestätigt und deren Schlusskapitel eine Wiederholung des zuvor Gelesenen formuliert, sind nicht nur mühsam zu lesen, sondern auch schwer zu rezensieren. Das Ganze ließe sich mit wenigen Zeilen beschreiben, was letztlich einer Annotation gleichkäme. Allerdings könnten und müssten Rezensionen daraus durchaus ein spannendes intellektuelles Vergnügen im Forschungskontext formulieren.

Wie dankbar jedoch wären Leser:innen für eine Monografie, die sie in Widersprüche, Unklarheiten, Irrtümer, Irrwege und Neuansätze mitnähme und wie aufregend könnte es sein, ein solches Buch zu rezensieren. Ähnliches gilt für Sammelbände: meist aus Konferenzbeiträgen entstanden, spiegeln sie Wissenschaft im Prozess der Disparität der Denkansätze und Belegstrukturen. Wie dankbar wären Leser:innen für Vorworte oder Einleitungen, die diese Disparität reflektieren, ja gar formulieren, was das explorierende Unternehmen Tagung-Sammelband erbracht hat – und welch dankbarer Beginn wäre das für eine Rezension.

Damit ist das Argument klar: Rezensionen sind keine Berichte, sondern eigenständige Beiträge zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung, Bausteine zu einer „history in the making“. Genau dies sollten sie aus den besprochenen Büchern (sowie aus Filmen, Ausstellungen, Webseiten, etc.) herausfiltern und die eigene Position dazu formulieren. So jedenfalls wünscht es sich die Rezensionsredaktion von WerkstattGeschichte.

Dieser Beitrag erschien als Teil des Diskussionsforums über Buchrezensionen in den Geschichtswissenschaften. https://www.hsozkult.de/debate/id/diskussionen-5234
Übersicht zum Forum "Buchrezensionen in den Geschichtswissenschaften"

Anmerkung:
1 Vgl. Ann Laura Stoler, Colonial Aphasia: Disabled History and Race in France, in: dies. (Hrsg.), Duress. Imperial Durabilities in Our Times, Durham 2016, S. 122–170. Das Übergehen und Verschweigen von Forschungsbänden aus dem globalen Süden als koloniale Aphasie.