H. Sveistrup u.a.: Bibliothek der Frauenfrage in Deutschland

Titel
Bibliothek der Frauenfrage in Deutschland nach Sveistrup /von Zahn-Harnack.


Herausgeber
Sveistrup, Hans; von Zahn-Harnack, Agnes
Erschienen
Anzahl Seiten
Diazo negativ
Preis
€ 58.905,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marion Röwekamp, Center for European Studies at Harvard University, Cambridge, MA

Es gibt Rezensionen von Büchern oder Sammlungen, die man gerade entdeckt hat. Es gibt aber selten auch den Fall, dass eine Rezension bereits eine eigene Geschichte hat. Die Rezension der vom Harald Fischer Verlag herausgegebenen Edition „Die Bibliothek der Frauenfrage“ und der „Historischen Quellen zur Frauenbewegung und Geschlechterproblematik“ gehört zu letzteren. 2006 fand ich in den Unterlagen des Helene Lange Archivs der deutschen Frauenbewegung im Landesarchiv Berlin einen Hinweis, dass der Deutsche Akademikerinnenbund (DAB) mit Hilfe des Bundes deutscher Frauenvereine (BDF) und der Preußischen Staatsbibliothek eine Sammlung der wichtigen Werke der deutschen Frauenbewegung erstellen wollte. Gleichzeitig sollte auch eine Bibliographie der Frauenbewegung und Frauenfrage entstehen, die das entsprechende Schrifttum vom späten 18. bis zu den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts umfassen sollte. Hintergrund war, dass mit der Entstehung der Frauenbewegungen im 19. Jahrhundert auch die ersten Frauenbibliotheken entstanden waren. Die meisten dieser Bibliotheken wurden allerdings nicht überliefert. Eine Ausnahme bildet jedoch die „Bibliothek der Frauenfrage“, deren Anfänge mit finanzieller Unterstützung der Notgemeinschaft deutscher Wissenschaften unter dem Titel „Frauenfrage und Frauenbewegung in Deutschland“ im Jahr 1929 von Vertreterinnen von Frauenorganisationen und dem Vorsitzenden der Notgemeinschaft, Dr. Schmitt-Ott, in der Staatsbibliothek als Zettelkatalog in Gebrauch genommen worden war.1 Die umfassendere Arbeit an der Bibliographie wurden von Agnes von Zahn-Harnack, der ersten Vorsitzenden des DAB, gemeinsam mit einigen Bibliothekarinnen und dem von der Staatsbibliothek abgestellten Bibliotheksrat Hans Sveistrup betreut, und war zum Zeitpunkt der Freigabe zur Nutzung noch nicht ganz fertig gestellt. Die Drucklegung der Bibliographie scheiterte schließlich 1933 um ein Haar an den neuen politischen Verhältnissen. Dennoch erschien 1934 das erste gedruckte Exemplar, ein Werk, das erstmals einen umfassenden Überblick über die deutsche Literatur zur Frauenfrage und Frauenbewegung zwischen 1790 und 1930 bot.2

Meine Anfrage nach dem Verbleib dieser Sammlung bei der Staatsbibliothek in Berlin blieb für eineinhalb Jahre unbeantwortet und wurde schließlich abschlägig beschieden: man wisse leider nicht, was aus dieser Sammlung geworden sei. Die gleiche Antwort erhielt ich von verschiedenen Archiven und Institutionen der Frauenbewegung. Die Bibliothek wurde offenbar nach 1929 als zusammenhängende, selbständige Sammlung aufgelöst und vergessen. In der Staatsbibliothek existiert möglicherweise allerdings ein durch Kriegsverluste stark dezimierter Rest dieser Sammlung unter der Signaturengruppe „No“, die heute keine selbständige Sammlung mehr darstellt.

Der Harald Fischer Verlag hat sich seit Mitte der 1990er-Jahre der Aufgabe gestellt, mehr historische Projekte in das Verlagsprogramm aufzunehmen. Eine der Geschäftsführer des Verlags griff das Thema Frauen- und Geschlechterproblematik in der Idee auf, die gesamte Bibliographie von Agnes Zahn-Harnack zu verfilmen. Die oben erwähnte Signaturengruppe „No“ mag oder mag nicht das Herzstück der originalen Sammlung sein, heute existiert die Bibliothek der Frauenfrage durch die Editionsleistung des Verlags wieder auf Mikrofiches als geschlossene Sammlung! Zurzeit besteht sie aus 6500 Büchern, die im Hauptteil und zwei Supplementen der Sammlung überliefert werden. Sie umfasst im Hauptteil 12 Lieferungen. Jede Lieferung enthält 500 Titel mit ca. 75.000 Seiten. Seit Abschluss des Hauptteils im Jahr 2005 erscheinen in loser Folge Supplemente mit jeweils 250 Titeln, inzwischen ist das zweite Supplement verfügbar. Die Bibliothek der Frauenfrage besteht vor allem aus Monographien und Kleinschrifttum. Sie ist unterteilt in verschiedene Untergruppen angefangen bei Bibliographien über Werke zur Physiologie und Psychologie der Frau, der Frau im Geistesleben, der Frau in der Kulturgeschichte, der Frau im Recht bis zur Frau im Beruf und Erwerbsleben. In jeder Untergruppe gibt es die bedeutenden Werke der großen Führungspersönlichkeiten der deutschen Frauenbewegung wie Helene Lange, Gertrud Bäumer und Alice Salomon, aber auch wissenschaftliche Werke wie Marianne Webers 1907 erschiene Untersuchung „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“. Gleichzeitig finden sich aber auch weitgehend unbekannte Dissertationen, die nicht gedruckt worden waren wie die Königsberger Dissertation von Emil Schwartz über „Das Namenrecht der Ehefrau: unter besonderer Berücksichtigung der Forderungen der modernen Frauenbewegung“ aus dem Jahr 1922. Bedingung für die Aufnahme eines Buches war, dass ein Bezug zu der Frauenfrage bestehen musste. So sind auch Werke, deren Autoren sich zur Frauenemanzipation nicht positiv äußerten, inbegriffen wie etwa Arthur Kirchhoffs Untersuchung von 1897 über „Die akademische Frau: Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren, Frauenlehrer und Schriftsteller über die Befähigung der Frau zum wissenschaftlichen Studium und Berufe“.

Der Verlag hat sich in Anbetracht der Seltenheit und Zerfallsbedrohtheit vieler Quellen entschieden, über die ursprünglichen Vorgaben der Bibliographie Zahn-Harnacks hinauszugehen und zum einen Werke mit einzubeziehen, die aus der Zeit vor 1790 stammen, zum anderen die inhaltlichen Kriterien für die Aufnahme eines Werks in die Sammlung weniger streng zu gestalten. Dadurch wurde eine Reihe heute seltener Stücke Literatur zur Frauenfrage aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert wie Wilhelm Heinrich Dullaeus „Disputatio juridica de designatione patris a matre infantis facta, oder: Wie weit einer geschwängerten Persohn in Angebung des Vaters zum Kinde zu glauben/und wie weit solche gedachten Vater graviren könne“ aus dem Jahr 1696 oder Guillaume Manquest DeLaMottes „Vollkommener Tractat von Kranckheiten Schwangerer und Gebährender Weibs-Persohnen“ aus dem Jahr 1732 aufgenommen.

Wie wichtig eine solche Sammlung für die Forschung ist, wird jedem schnell bewusst, der sich jemals auf die Quellensuche zur historischen Frauenbewegung gemacht hat. Viele veröffentlichte Schriften sind nur noch in wenigen Ausgaben vorhanden, die für den Forschenden nur schwer zugänglich sind. Die Benutzungsmöglichkeiten sind wegen des schlechten Erhaltungszustands häufig stark eingeschränkt. Dies liegt wiederum daran, dass den meisten Staats- und Universitätsbibliotheken Material aus der Frauenbewegung nicht wichtig genug war, um es zu sammeln. So hat kaum einer der Versuche der Frauenbewegung, Frauenbibliotheken auf Dauer zu erhalten, Erfolg gezeigt. Was wiederum von den Bibliotheken aufgenommen wurde, hat oft die Zerstörungen oder die Auslagerung während des Zweiten Weltkriegs nicht überstanden. Ähnliches gilt leider auch für die Archive vieler Frauenvereine. Dem lückenhaften Material kann die Sammlung natürlich nicht abhelfen, aber sie hilft demjenigen, der schnell Zugriff auf eine beeindruckende Fülle von veröffentlichten Arbeiten zur Frauenfrage bis 1934 nehmen will. Außerdem hat sich der Verlag entschieden, fehlende Seiten durch die Verfilmung anderer Ausgaben zu vervollständigen, so dass alle verfilmten Publikationen vollständig vorliegen.

Die Bibliothek ist ein kleiner, aber sehr bedeutsamer Teil der Reihe „Historische Quellen zur Frauenbewegung und Geschlechterproblematik“, die von dem Verlag 1991 begonnen wurde. In dieser sind neben der Bibliothek der Frauenfrage vor allem wichtige Zeitungen wie „Die Frau“ oder das Organ des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins zu finden. Allerdings gibt es auch nicht so leicht zugängliche Blätter wie „Die Neue Generation“ oder das Blatt des Katholischen Deutschen Frauenbundes „Die christliche Frau“. Gleichzeitig fehlen allerdings bisher noch einige wichtige und für die Forschung schwer zugängliche Blätter wie zum Beispiel die Zeitung des Jüdischen Frauenbundes oder das Centralblatt und das Nachrichtenblatt des BDF. Der Zugang zu den Titeln in der Reihe ist leicht. Das gilt leider nicht für den in mehreren Bänden angelegten Katalog der „Bibliothek der Frauenfrage“. Zurzeit gibt es für nur für diese Sammlung einen Katalog mit 12 Lieferungen und 2 Supplementen, der mit seinem Stichwortverzeichnis nur umständlich zu nutzen ist und einen gezielten Zugriff auf die Werke kaum gestattet. Es wäre wünschenswert, einen (Ergänzungs)band mit der vollständigen Liste der zur Verfügung stehenden Werke zu haben. Besser zu navigieren ist die CD-Rom Ausgabe der Kataloge.3

Die Sammlung ist dennoch von unschätzbarem Wert für alle Forscher, die sich im weitesten Sinne mit der Geschichte von Frauen beschäftigen - oder einschränkend: sie könnte und sollte es sein. So brillant die Idee ist, Werke zur Frauenfrage zu digitalisieren und auf diese Art nicht nur zu bewahren, sondern auch der Wissenschaft zugänglich zu machen, so sehr arbeiten die Umstände diesem Vorhaben bisher jedoch entgegen. Hier sind zum einen die enormen Kosten des Werks zu nennen, die offenbar viele Bibliotheken zögern lässt, die Sammlung anzuschaffen. Eine Suche im Karlsruher Virtuellen Katalog zeigt, dass nur wenige deutsche Bibliotheken neben der Deutschen Nationalbibliothek und der Staatsbibliothek in Berlin die Sammlung besitzen. Zum anderen: Der Verlag hat mit der Entscheidung für eine Veröffentlichung auf Mikrofiches den Zugang sehr erschwert. Wer gelegentlich oder gar regelmäßig an Mikrofichegeräten arbeitet, weiß, wie ermüdend dies für die Augen ist. Darüber hinaus bietet kaum eine Bibliothek Mikrofichegeräte mit angeschlossenem Drucker oder gar Scanner an. Warum diese Form von Technik in Deutschland bisher kaum zur Verfügung steht, obwohl sie von einer Institution wie dem Bundesarchiv oder den Staatsbibliotheken sicher zu finanzieren wäre, liegt wohl an dem fehlenden politischen Willen zur Finanzierung. Der wirtschaftliche Schaden, der durch den unnötig hohen Zeitaufwand beim Forschen entsteht, wird bei der Kostennutzenrechnung für die deutsche Wissenschaft offenbar nicht in Betracht gezogen. So klein solche Verlegenheiten aus der großen und forschungsfernen Perspektive der Wissenschaftspolitik erscheinen mögen, sie schlagen faktisch für den einzelnen Forscher mit einem Mehraufwand von Wochen zu Buche. Die hohen Kosten der Sammlung bzw. schwierigen Zugangsbedingungen sind mit Sicherheit wohl der wichtigste Grund dafür, dass diese großartigen Sammlungen bisher weitestgehend unbekannt und damit unbenutzt geblieben sind.

Es ist zu verstehen, dass der Harald Fischer Verlag seine hohen Kosten für die Digitalisierung erwirtschaften muss und dass eine frei zugängliche Sammlung, die sie für die Forschung erst wirklich nutzbar machen würde, über die Aufgabe eines Verlags hinausgeht. Diese Editionsaufgabe würde man wohl eher bei den Bibliotheken und Universitätsbibliotheken vermuten, die als öffentlich finanzierte Institutionen die Mittel, das Personal sowie die Initiative haben sollten, ein Open Access Portal zu erstellen. Dass dies nicht geschehen ist, hat sicher viele Gründe. Sie reichen von unzureichenden Mitteln für Bibliotheken und geisteswissenschaftliche Forschung über knappe Personalmitteln und daraus folgender mangelnder Initiative bis zu der Tatsache, dass in Deutschland gender studies als Forschungsansatz in der Wissenschaft schon wieder als überholt erklärt wurden, bevor sie überhaupt richtig angekommen waren.

Was ist zu tun? Die ideale Lösung wäre, die Sammlung nun doch noch in einer Online-Ausgabe der Forschung zur kostenlosen Verfügung zu stellen. Denkbar wäre, dass Staats- oder Universitätsbibliotheken, Archive oder andere öffentliche Institutionen sich zusammenschließen, um gemeinsam mit dem Verlag eine Förderung zu finden, die diese wirklich wichtige Sammlung der breiteren Öffentlichkeit ohne Kosten zugänglich machen würde. Eine zusätzliche Möglichkeit wäre, zumindest für Deutschland, dass die DFG dem Verlag die Abnahme einer Nationallizenz zusichern würde. Für diesen würde sich dann möglicherweise die Erstellung einer Online-Version der „Historischen Quellen zur Frauenbewegung und Geschlechterproblematik“ lohnen. Wie auch immer, ein zumindest über die amerikanischen Universitäten zugängliches (Limited) Open Access Portal wie es beispielsweise „The Gerritsen collection: women's history online, 1543-1945” in Ann Arbor besitzt, wäre der Sammlung „Historische Quellen zur Frauenbewegung und Geschlechterproblematik“ und der Forschung zu wünschen, denn diese Sammlung ist ein Schatz, den es zu heben gilt! Wenn es dabei gelingen würde, die Sammlung noch stärker zu erweitern und zu vervollständigen und gleichzeitig das Navigieren innerhalb der Sammlung zu verbessern, wäre der Forschung ein unschätzbarer Dienst erwiesen. Hatte die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaften Ende der 1920er-Jahre in den Kinderschuhen der Gleichberechtigung der Frauen die Voraussicht, den Anfang der Bibliothek der Frauenfrage zu fördern, wäre es schade, wenn sich heute keine Nachfolgeorganisation finden ließe, um das Projekt in einem Zeitalter der rechtlich zumindest fast vollständigen Gleichberechtigung zu einem zeitgemäßen Ende und Nutzen zu bringen.

Anmerkungen:
1 LA Berlin, B Rep 235-05, Deutscher Akademikerinnenbund, Fiche 3629.
2 Hans Sveistrup / Agnes von Zahn-Harnack (Hrsg.), Die Frauenfrage in Deutschland: Strömungen und Gegenströmungen 1790 - 1930 Sachlich geordnete und erläuterte Quellenkunde, Burg bei Magdeburg 1934. Das Institut „Frau und Gesellschaft“ gab diesen Band 1980 neu heraus und ergänzte diesen bis 1991 um 5 Bände: Ilse Delvendahl (Bearb.), Die Frauenfrage in Deutschland / Institut Frau und Gesellschaft (IFG), München 1934-1991.
Ersch.-verlauf: 1.1790/1930(1934) - 9.1978(1980); 10.1931/80(1982); N.F. 1.1981(1983); 2.1982/83(1985); 3.1984(1987) - 5.1986(1991); damit Ersch. eingest.
3 Um einen Überblick über alle Titeldaten der Bibliothek der Frauenfrage zu erhalten, kann man zurzeit im Internet auf der Verlagsseite des Fischer-Verlags auf die Suche gehen: <http://www.haraldfischerverlag.de/hfv/db_kataloge_dt.php> (13.04.2010). Wenn man beim Titel ein Leerzeichen eingibt, erhält man 6500 Treffer und damit die komplette Titelliste mit Autoren.

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