"Propylaeen Weltgeschichte"

Titel
Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte von den Anfängen bis zur Nachkriegszeit


Herausgeber
Mann, Golo; Heuß, Alfred; Nitschke, August
Reihe
Digitale Bibliothek 14, Frankfurt am Main
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Björn Hoffmann Humboldt-Universität Berlin

Der Berliner Verlag DirectMedia hat mit dem 14. Band der Digitalen Bibliothek "Propyläen Weltgeschichte" sein vor allem durch den ersten Band der Reihe "Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka" 1 bekanntes Konzept zur Digitalisierung von literarischen und philosophischen Standardwerken nun auch auf den historischen Bereich ausgeweitet. Weitere Darstellungen, Materialien und Quellensammlungen zur jüngeren und älteren Geschichte sollen folgen und sind zum Teil auch schon erschienen, z.B. das "Lexikon der Antike" als 18. Band der Digitalen Bibliothek. Einen aktuellen Überblick über den Fortschritt der Bemühungen liefert die Homepage des Verlages: http://www.digitale-bibliothek.de.

Mit der Digitalisierung des ursprünglich von Golo Mann, Alfred Heuß und August Nitschke von 1960 bis 1965 herausgegebenen Werkes zur Weltgeschichte mit universalhistorischem Ansatz liegt mittlerweile schon die dritte Verwertung der in Printform 10 Bände und 2 Zusatzbände ("Summa historica" und "Bilder und Dokumente") umfassenden Textsubstanz vor, die zudem um eine "Universalgeschichte in Stichworten" bis 1985 erweitert wurde. Bekannt und wohl aufgrund des günstigen Preises auch sehr populär geworden ist das Werk aber vor allem durch einen Nachdruck von 1991 durch den Ullstein Verlag, in dessen Besitz der Propyläen Verlag sich befindet. Die CD-Rom-Version dieses Standardwerkes soll nun - nach Ansicht des DirectMedia Verlages - den "Mangel an gleichrangigen Nachfolgeunternehmungen" kompensieren und den Verbreitungsgrad der jetzt digital verfügbaren Bücher noch einmal erhöhen.

In der Tat hat es im deutschsprachigen Raum seit der auch von der spezifischen Situation des Kalten Krieges geprägten "Propyläen Weltgeschichte" und ihren zwei Vorgängern 2 kaum Nachfolger einer universalhistorisch angelegten Weltgeschichte gegeben. Zu nennen wären hier etwa das von Herbert Franke 1965 bis 1975 herausgegebene "Saeculum Geschichte" oder die in 36 Bänden angelegte "Fischer Weltgeschichte". Daß es zur Zeit kaum aktuelle Ansätze zu einem universalhistorischen Konzept gibt, dürfte indes seine Gründe darin haben, daß nicht nur die Spezialisierung der Forschungsbereiche so weit fortgeschritten ist, daß in einigen Teildisziplinen der Überblick verloren zu gehen droht, sondern auch vor allem darin, daß sich gegenüber der weitgehend politikgeschichtlich gehaltenen "Propyläen Weltgeschichte" das Paradigma der Methodik erheblich verschoben hat. Wer heute an die Konzeption einer 'Totalgeschichte' denken wollte, der müßte viel mehr als die "Propyläen Weltgeschichte" auch Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und die immer stärker hervortretende Kulturgeschichte berücksichtigen. Fragen der strukturellen Modernisierungsprozesse (soziale Ungleichheit etwa) müßten für die Neuzeit gleichsam transparent gemacht werden wie etwa die Frage antiker Sozialhierarchie in Bezug auf die Herrschafts-, Macht- und Privilegienverteilung, um nur den Horizont anzudeuten, vor dem ein solches Unternehmen stehen müßte. Solche Fragestellungen jedoch fehlen in der "Propyläen Weltgeschichte" noch gänzlich.

Daß gerade aber auch dieses Konzept der Universalgeschichte bereits den 'zeitgenössischen' Rezensenten des Werkes Probleme bereitet hat, spricht zumindest für ein in dieser Hinsicht bereits geschärftes Bewußtsein.3 Warum z.B. fehlen in dem Überblick zum 16. Jahrhundert die Darstellungen zur dynamischen Entwicklung der Preise, der sozialen Auswirkungen des ungeheuren Städtewachstums oder eine Analyse der Umwälzungen durch den Überseehandel, um nur einige Desiderate zu benennen? 4 Oder warum wurden ausgerechnet die Darstellungen zur antiken Römischen und Griechischen Geschichte auf zwei Bände verteilt 5, wo doch der universalhistorische Ansatz gerade die vielfältigen Wechselwirkungen dieser zwei Kulturen hätte aufzeigen sollen?

Aber vielleicht liegt ja gerade der Wert der nunmehr vorliegenden CD-Rom-Version auch darin, daß nun alle Bände der "Propyläen Weltgeschichte" sozusagen unter einer Oberfläche "vereinigt" sind und sich durch die sehr leistungsstarken Recherchefunktionen des Programmes als Ganzes durchsuchen lassen. Die CD-Rom-Version etabliert dadurch die "Propyläen Weltgeschichte" zu einem leicht und schnell benutzbaren Handbuch der Weltgeschichte, das Lesen längerer Textpassagen dagegen wird der Benutzer auch weiterhin lieber nicht am Bildschirm bewältigen wollen. 6

Überhaupt ist die Software der Digitalen Bibliothek sehr solide gestaltet und läuft auch noch auf betagteren Rechnern in akzeptabler Geschwindigkeit (PC ab 486, 8MB RAM, leider keine MAC-Version verfügbar). Zu den bereits in der Rezension von Fotis Jannidis (1) sehr ausführlich beschriebenen Suchfunktionen sei noch anmerkend hinzugefügt, daß eine Suchanfrage auch über alle bisher erschienenen 18 Bände der Digitalen Bibliothek möglich ist, auch wenn nur ein Band - wie hier die "Propyläen Weltgeschichte" - vorliegt. Einen Zugriff auf den Volltext hat man freilich jedoch erst, wenn man die entsprechende CD-Rom besitzt oder - und diese Funktion ist ein besonders herausragendes Feature des Softwarekonzeptes - wenn man sich monateweise einzelne digitale Bestände gegen einen entsprechenden Betrag registrieren läßt. Auf diese kann man dann online und von zu Hause aus zugreifen.

So ausgereift das Softwarekonzept für einzelne Bände aus der Digitalen Bibliothek auch sein mag, um so schmerzlicher vermißt der Benutzer das Fehlen einer multi-tasking-fähigen Oberfläche, die auch mehrere Bände gleichzeitig verwalten kann. Bis jetzt muß der Benutzer nämlich jeden Titel aus der Digitalen Bibliothek einzeln aufrufen, um ihn im Volltext ansehen zu können; dem wird auch nicht durch den Besitz von 2 CD-Rom-Laufwerken oder durch das Anlegen von virtuellen CD-Rom-Laufwerken abgeholfen. Gerade das aber wird der Benutzer mehrerer Titel erwarten: daß man nämlich bestimmte Textpassagen der "Propyläen Weltgeschichte" (Band 14) mit Auszügen aus dem "Lexikon der Antike" (Band 18) etwa in einer Oberfläche vergleichen kann und nicht erst die einzelnen Bände immer wieder neu laden muß. In diesem Zusammenhang wäre es für den Benutzer auch wünschenswert, wenn die Texte gleich komplett auf die Festplatte gepackt werden könnten, denn es hat sich gezeigt, daß CD-Roms häufiger benutzt werden, wenn man sie nicht erst mühsam aus dem Archiv hervorholen muß. Der Plattenspeicher moderner Festplatten kommt mit diesen Datenmengen inzwischen spielend klar.

Ist also die Digitale Bibliothek das, was uns Lyotard in seinem Bericht über die Zukunft des Wissens 1979 versprach und was er als eine aufklärerische Utopie verstanden wissen wollte: die frei zugängliche Datenbank anstelle der beschränkt zugänglichen Enzyklopädie? 7 Eine Datenbank ist ja aus dem einstmals für die gebildete Öffentlichkeit geschriebenen Standardwerk zur Weltgeschichte geworden, frei zugänglich ist sie indes - auch aufgrund des proprietären Datenformats - noch immer nicht, und man wird es der DirectMedia Publishing GmbH auch kaum verdenken können. Schließlich ist der Preis von 99,- DM für den erbrachten Aufwand der Digitalisierung nicht zu hoch und im Vergleich zu dem Originalpreis der Erstauflage doch ein Schritt in Richtung dessen, was Lyotard im Sinn gehabt haben dürfte.

Und nicht zuletzt hat die CD-Rom-Version mit ihren vielfältigen Suchfunktionen den handbuchartigen Charakter des Werkes weiter befördert: als Nachschlagewerk für den oft allzu spezialisierten Fachwissenschaftler, als Überblicksdarstellung für den Lehrer oder als einführender Text für den Schüler im Geschichtsunterricht. Wer freilich längere Textpassagen aus dem Werk lesen möchte, wird auch nach wie vor auf die gleich teure Printausgabe der Bände zurückgreifen wollen.

Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu die ausführliche Rezension von Fotis Jannidis, die ebenfalls über H-Soz-u-Kultgelaufen ist: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/digital/cdrom/datenban/jafo0799.htm
2 Von 1929 bis 1933 erschien die in 10 Bänden von Walter Götz in Berlin herausgegebene "Propyläen Weltgeschichte" und als dessen Nachfolger die in deutlicher nationalsozialistischer Tendenz gehaltene und von Willy Andreas besorgte "Die neue Propyläen Weltgeschichte", von der allerdings in den Jahren 1940-43 lediglich 4 Bände erschienen.
3 Vgl. Franz-Josef Schmales Rezension über Band V (Islam), in: HZ 207(1968), S. 89-94, aber vor allem Karl Erich Born über Band VI (Weltkulturen), in: HZ 201 (1965), S. 398-400.
4 Vgl. H. G. Königsberger über Band VII, in: HZ 206 (1968), S. 401-405.
5 Vgl. H. E. Stier über Band III (Griechenland), in: HZ 203 (1966), S. 641-650.
6 Gleichwohl steht für den sehbehinderten Benutzer der Digitalen Bibliothek eine sog. Braille MS-DOS basierte Lesehilfe zur Verfügung, die das Lesen der Texte am Bildschirm erleichtern soll.
7 Vgl. Jean-Francois Lyotard, Das postmoderne Wissen: ein Bericht, Graz, Wien 1986.

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