Elektronisches Sachwörterbuch zur deutschen Literatur: CD-ROM

Titel
Elektronisches Sachwörterbuch zur deutschen Literatur.


Autor(en)
Meid, Volker
Erschienen
Anzahl Seiten
1 CD-ROM
Preis
DM 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ernst Grabovszki, z. Zt. Institut fuer Vergleichende Literaturwissenschaft, Univ. Wien

Volker Meids "Elektronisches Sachwörterbuch zur deutschen Literatur" richtet sich an Schüler der Oberstufe, Literaturwissenschaftler und Literaturinteressierte. Es enthält rund 1.000 Stichwörter zur Geschichte, den Institutionen und den wissenschaftlichen Disziplinen, Methoden, Gattungen, Epochen, Strömungen und Traditionen der deutschen Literaturgeschichte.

Zur Nutzung der CD-ROM sind ein PC ab 486 MHz, MS Windows 95, 98 oder NT 4.0, 16MB RAM, 4-fach CD-Laufwerk, 800x600 Grafikkarte und High Colour (16-Bit) Bildschirm notwendig (für Apple-User: Apple Power Macintosh, 6,5 MB RAM, 4-fach CD-Laufwerk). Die Installation geht problemlos vonstatten, für die Benützung des Lexikons ist die CD jeweils ins Laufwerk zu legen.

Der günstige Preis des Wörterbuchs (DM 39,90) erklärt sich wohl auch dadurch, dass es auf Basis von Acrobat Reader 4.0 funktioniert, der mit der CD ausgeliefert wird. Die Vor- und Nachteile der Navigation sind demnach die Vor- und Nachteile von Acrobat Reader, die die Benutzung der CD aber nicht beeinträchtigen. Das gesuchte Stichwort kann rasch aufgefunden werden - mehr möchte man von einem Lexikon auch gar nicht verlangen. Wer also keine hohen Ansprüche an die grafische Benutzeroberfläche stellt, wird mit dem vorliegenden Lexikon gut zurechtkommen. Die Effizienz dieses Arbeitsmittels wird zudem durch Hyperlinks zu anderen Einträgen erhöht.

Die Texte zu den einzelnen Stichwörtern können auch - das verrät zumindest das Inlay zur CD - exportiert werden. Diese Funktion blieb mir allerdings verborgen. Wer die Beiträge in einem anderen Programm nutzen möchte, kann bestenfalls über die Druck-Funktion eine Print-Datei erstellen und diese dann etwa mit Corel Draw weiterbearbeiten - was aber zugegebenermaßen nicht der Sinn einer "komfortablen Exportfunktion" sein kann.

Wenn also der "Service" rund um das Sachwörterbuch hie und da zu wünschen Übrig lässt, enttäuscht es inhaltlich nicht. Dem Autor ist es gelungen, die mitunter tiefschürfenden Veränderungen und Entwicklungen innerhalb der Literaturwissenschaft in den letzten Jahrzehnten mit zu berücksichtigen und darüber hinaus einen notwendigen Blick über die geographischen Grenzen der deutschsprachigen Literatur hinaus zu machen: Somit finden sich auch Einträge zu "Petrarkismus" oder zur "Antikerezeption", die die übernationale Entwicklung der deutschen Literatur deutlich werden lassen.

Als Beispiel sei hier das Stichwort "Sozialgeschichtliche Methode" ausschnittweise angeführt: "Literaturwissenschaftliches Verfahren, das die sozialen und institutionellen Bedingungen des Schreibens, der Produktion wie der Rezeption, in ihrem geschichtlichen Wandel zu ihrem Gegenstand macht. [...] Seit der Abkehr von dem marxistischem Modell und der einseitigen Widerspiegelungstheorie (Sozialistischer Realismus) geht die Sozialgeschichte von einem komplexen Wechselverhältnis von Literatur und Gesellschaft aus, wobei es insbesondere auch darum geht, wie sich Literatur zu anderen Formen kommunikativen Handelns verhält. Damit beschäftigen sich u. a. die von der Systemtheorie Talcott Parsons und Niklas Luhmanns ausgehenden Modelle, die zu erklären versuchen, wie sich das ‚System' Literatur gegenüber anderen ‚Systemen' herausbildet und eigene Institutionen, Regeln, Formen entwickelt. Eine andere Form sozialgeschichtlicher Methodik stellt die Mentalitätsgeschichte dar, die die Bilder und Vorstellungen untersucht, die sich eine Gesellschaft von der Wirklichkeit macht und die in der Literatur bewahrt werden."

Dem mag man zustimmen, das Verhältnis zwischen Mentalitätsgeschichte und Literatur(-wissenschaft) ist freilich differenzierter zu betrachten: Zum einen ist es aus der Sicht der Geschichtswissenschaft problematisch, literarische Texte aufgrund ihrer fiktionalen Brechung als Quellen für die Mentalitätsgeschichte heranzuziehen, zum anderen war die Literaturwissenschaft bisher noch nicht imstande, die Mentalitätsgeschichte in befriedigendem Ausmaß in ihr Programm aufzunehmen, was nicht zuletzt auf die Unschärfe des Begriffs ‚Mentalität' zurückzuführen ist. 1 Bekanntermaßen hatte auch die Germanistik in den letzten Jahrzehnten ihre Schwierigkeiten mit sozialhistorisch orientierter Literaturgeschichtsschreibung gehabt und vor allem ihre Bedenken gegen die Vermittlung zwischen sozialhistorischer Realität und literarischem Kunstwerk angemeldet. 2 Schließlich beweisen aber Zeitschriften wie das 'Internationale Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur' oder die Reihe 'Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur' (beide im Niemeyer Verlag), dass eine Interdisziplinarität zwischen Sozialgeschichte und Literaturwissenschaft sinnvoll und notwendig ist.

Bezeichnenderweise finden sich in diesem Lexikon, das sich auf einem Neuen Medium präsentiert, auch solche Einträge, die das Verhältnis von Literatur und Neuen Medien charakterisieren. Das Stichwort "Internet-Literatur" etwa umreißt die formalen und inhaltlichen Veränderungen, denen literarische Texte im Netz unterworfen sind. Wenn es die Absicht ist, die Literaturwissenschaft mitsamt den Veränderungen, mit denen sie in den letzten Jahrzehnten konfrontiert war, zu präsentieren, so ist eine solche Annäherung sinnvoll. Gerade durch das Internet etwa werden nicht nur die Autor- und Leserfunktion neu definiert, sondern auch die Distribution von Literatur geht neue Wege.

Alles in allem demonstriert diese CD-ROM, wofür die neuen Medien im wissenschaftlichen Alltag sinnvoll und effektiv eingesetzt werden können: als Referenzsysteme, die aufgrund ihrer internen Vernetzung den jeweiligen Printversionen um eine Nasenlänge voraus sind.

Das Sachwörterbuch bietet also Einstiegshilfen und eine erste Orientierung zum jeweils gesuchten Thema. Für eine intensivere Auseinandersetzung sind freilich andere Nachschlagewerke zu konsultieren. Das macht aber die Attraktivität dieser CD-ROM für Nachbardisziplinen in den Geisteswissenschaften aus: Wer sich rasch (und preisgünstig) über die wichtigsten Schwerpunkte der Literaturwissenschaft informieren möchte, hat hier durchaus eine interessante Quelle gefunden.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Frank-Michael Kuhlemann: Mentalitätsgeschichte. Theoretische und methodische Überlegungen am Beispiel der Religion im 19. und 20. Jahrhundert. In: Kulturgeschichte Heute. Hg. v. Wolfgang Hardtwig u. Hans-Ulrich Wehler. Göttingen: Vandenhöck & Ruprecht 1996, S. 182-211 (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 16); ein jüngerer Beitrag zum Verhältnis von Mentalitätsgeschichte und (Vergleichender) Literaturwissenschaft ist Yves Chevrel: Litterature comparee et histoire des mentalites. Concurrence ou collaboration? In: Comparative Literature Now. Theories and Practice / La litterature comparee à l'heure actuelle. Theories et realisations. Selected papers / Contributions choisies du Congres de l'Association Internationale de Litterature comparee, tenu à l'Universite d'Alberta en 1994. Hg. v. Steven Tötösy de Zepetnek, Milan V. Dimic, Irene Sywenky. Paris: Champion 1999, S. 51-63.
2 Die wesentlichsten Kritikpunkte sind zusammengefasst bei Heinz-Dieter Weber: Literaturgeschichte als Sozialgeschichte? In: Der Deutschunterricht 33 (1981), Heft 1, S. 56-78.

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