Wohl jeder, der die CD-ROM der ersten Folge der elektronischen Vorabedition der eConst1 in die Hand nimmt, könnte annehmen, dass ihm hier nicht viel Neues geboten werde: Ediert wurden nur insgesamt 69 Urkunden aus der zweiten Regierungshälfte Karls IV., also von jenen, die an die Goldene Bulle von 1356 anschließen, nur die Urkunden aus den Archiven Berlin und Brandenburg. Das ist nur etwa ein Hundertstel des überlieferten Urkundenbestandes, der für die Jahre 1357-1378 auf etwa 6.350 hochgerechnet werden kann.1 Die Urkunden lassen sich über eine einfache Software, die man von elektronischen Werken der MGH gewohnt ist, nutzen.2 Ein Inhaltsverzeichnis mit einem kurzen Kopfregest führt schließlich zur einzelnen Urkunde, die leider nicht für die Weiternutzung in Textverarbeitungsprogrammen kopiert oder gar ausgedruckt werden kann. Ein Register wird erst der Gesamtedition beigefügt werden, jedoch findet man eine zweckmäßig gestaltete Suchroutine. Aufgrund der geschilderten Auswahlbeschränkung wird die erste Folge der eConst1 für sich genommen tatsächlich der historischen Forschung wohl kaum zu bahnbrechend neuen Erkenntnissen verhelfen.
Erst wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Veröffentlichung eine Neukonzeption der Arbeit an den constitutiones vorangeht, kann man die Bedeutung der eConst1 ganz ermessen. Bereits 1893 hatten die MGH mit der Herausgabe der Urkunden Karls IV. begonnen. Nach vor allem kriegsbedingten Verzögerungen lag 1992 zumindest die erste Regierungshälfte bis zur Goldenen Bulle 1356 ediert vor. In ihrer hundertjährigen Geschichte hatte die Edition der Urkunden Karls mannigfaltige Änderungen vor allem in der Zielsetzung erfahren. Während unter Pertz, Böhmer und Waitz vor allem Kaisergesetze und Denkmäler des öffentlichen Rechts ediert worden waren, war man zur Jahrhundertwende mit Zeumer, Schwalm und Salomon zu einer reichsgeschichtlichen Aktenpublikation übergegangen und strebte nach dem ersten Weltkrieg unter Kehr sogar ein Urkundenbuch und Regestenwerk mit Tendenz eines Diplomata-Ersatzes an.3 Nach weiteren Änderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und vor allem zur Einbindung der Möglichkeiten moderner EDV lag es nahe, nach der letzten Publikation von 1992 eine Grund legende Diskussion über Sinn und Zweck, die Inhalte und vor allem auch über die Relevanz - und damit verbunden die Finanzierung - einer neuerlichen Editionstätigkeit zu führen.4 Es ist vor allem der Tätigkeit von Eckhard Müller-Mertens zu verdanken, dass die Diskussion mit einem breit ausgewählten Fachpublikum geführt wurde: Durch eine Umfrage konnte man besonders auch die Wünsche der zukünftigen Benutzer erfahren und bei den weiteren Arbeiten berücksichtigen.
Die eConst1 entsprechen nun den 1997 durch Müller-Mertens formulierten Zielen einer zukünftigen Edition der abschließenden XII. Reihe der Constitutiones: Man strebe ein Urkundenbuch und Regestenwerk an, „welches vornehmlich im Zuge der Privilegienerteilung ausgesprochen rechtsetzende und tatsächlich gesetzgebende Akte sowie ungedruckte Urkunden in Volltexten erfasst“.5 Zeithorizont sei eine einzige Forschergeneration. Eine umfangreiche Sichtung der Urkunden in den Archiven solle vor allem bisher unedierte Urkunden erfassen helfen. Um den Umfang der zu edierenden Stücke zu vermindern, hat man sich auf das „Prinzip des komplementären Gebrauchs“, also eines Abdrucks nur der bisher nicht oder nur unzureichend veröffentlichten Urkunden, verständigt. Durch das 'Prinzip der konzeptionellen Neutralität' hat man alle in Frage kommenden Schriftstücke ediert, ohne die Wichtigkeit der Quelle vorab durch den mit der Herausgabe beschäftigten Forscher zu bewerten.
Die elektronische Vorabedition der XII. Reihe der Constitiones ist das erste Ergebnis, in dem die in den 90er-Jahren durch die MGH neu formulierten Ziele Anwendung finden. Man kann es als eine Fortführung der vor mehr als einem Jahrzehnt begonnenen strikten Zusammenarbeit mit der Forschungsöffentlichkeit betrachten, dass man die vorläufigen Ergebnisse schnell und vergleichsweise kostengünstig auf einer CD-ROM publizierte. Sie ist vor allem für jene gedacht, die einen schnellen Einblick in den aktuellen Stand der Editionstätigkeit der MGH gewinnen möchte. Da die Urkunden Karls IV. über Archive in ganz Europa verteilt sind, ist eine chronologische Gesamtpublikation nicht vor Abschluss der Sichtung sämtlicher Stücke, also erst in ferner Zukunft möglich. Die sukzessiv-kumulative Vorabedition ermöglicht es deshalb, durch eine Zusammenarbeit mit den Nutzern schließlich auch lenkend auf die weitere Arbeit Einfluss zu nehmen. Auf die in ferner Zukunft erscheinende Gesamtedition darf man daher zu Recht sehr gespannt sein.
Anmerkungen:
1 Müller-Mertens, Eckhard, Konzept für künftige Bände der Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (1357-1378), in: DA 50 (1994), S. 615-630, bes. S. 619f.
2 Die teilweise sehr störenden Einschränkungen, die dem Nutzer durch die MGH auferlegt werden, sind bereits bei anderer Gelegenheit ausführlich besprochen worden (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1883 und http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1838).
3 Müller-Mertens, Eckhard, Constitutiones et acta publica - Paradigmenwechsel und Gestaltungsfragen einer Monumentareihe, in: Lindner, M. u. a (Hgg.), Kaiser, Reich und Region. Studien und Texte aus der Arbeit an den Constitutiones des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte der Monumenta Germaniae Historica (=Berichte und Abhandlungen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Sonderband 2), Berlin 1997, S. 1-59.
4 Ders. (wie Anm. 3), S. 57ff.; Ders. (wie Anm. 1.).
5 Wie Anm. 3, S. 58.