Cover
Titel
Hypnerotomachia Polyphili (Venedig 1499).


Autor(en)
Colonna, Francesco
Reihe
The Lessing J. Rosenwald Collection, Library of Congress.
Erschienen
Oakland, CA 2004: Octavo
Anzahl Seiten
1 CD-ROM
Preis
$30.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nikolaus Thurn, Seminar für Klassische Philologie, Freie Universität Berlin

Die Hypnerotomachia Poliphili, 1499 bei Aldo Manuzio erstmals gedruckt, ist in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswertes Werk: Geschrieben in einem so mit Latinismen (und Gräzismen) durchmischten Italienisch, dass dieses heute nur noch von Spezialisten flüssig lesbar wäre (so bedeutet der Titel in etwa: Traum-Liebes-Kampf), verharrt sie in ihrer Erzählung so lange bei minutiösen Beschreibungen des Hintergrundes (Gebäudefassaden, Innenarchitektur, Bilder, Statuen, Grabsteine, Inschriften, Vasen, Münzen, Gebrauchsgegenstände, Kleider etc.), dass sich das Interesse für den Handlungsverlauf selbst völlig verliert. Im ersten Teil sucht der Held Poliphilo in einem wundersamen Fantasieland nach seiner Geliebten Polia; im zweiten Teil erzählt diese von den Gründen ihrer Trennung; am Ende küssen sie sich und Poliphilo erwacht aus seinem Traum.

Ohne erklärende Illustrationen wäre ein solches Buch undenkbar; und Illustrationen - offensichtlich inspiriert vom Autorenmanuskript und neu interpretiert möglicherweise von dem Venezianer Benedetto Bordone - liefert auch die Aldine in verschwenderischer Fülle. So ist es ein großer Verdienst des Verlages Octavo, in seine Reihe der digitalisierten Prachtexemplare aus dem 15.-19. Jahrhundert die Editio Princeps der Hypnerotomachia aufzunehmen. Die CD-ROM präsentiert sich als zusammenhängende PDF-Datei. Ihr Inhalt gliedert sich folgendermaßen:

Einleitung (S. 3-28): „Commentary“ (Nicolas Barker): ein Abriss über die Rolle des Manutius für den Buchdruck; die Frage des Verfassers, der Illustrationen, der Sprache; ein kurzer Überblick über Inhalt der Erzählung und ihre Rezeption. „The Architecture in Poliphilo's Dream“ (Ian White): Zeitgenössische Einflüsse (z.B. Battista Alberti) auf den Verfasser und dessen Konzept; Einflüsse des Werkes auf die bildende Kunst. „Binding and Collation; Provenance“: Buchbeschreibung und Provenienz. Diese einleitenden Bemerkungen sind aufschlussreich und informativ für den Bibliophilen; sie können auch den Kunsthistoriker befriedigen; für den Philologen hingegen reicht der knappe Abriss der Spracheigenarten bei weitem nicht aus; und selbst der Kunsthistoriker wäre über weiterführende Informationen hinsichtlich der vom Autor erfundenen Hieroglyphen (die unter anderem auf den so genannten "Horapollo" zurückgreifen) dankbar gewesen.

Text (S. 29-266): Da die Buchseiten leicht gewellt sind und so auch digitalisiert wurden, ist eine durchgehende Lektüre nicht ohne weiteres möglich. Die einzelne Seite lässt sich aber ohne Qualitätsverlust hoch auflösen und im Detail betrachten. Während die fotografische Wiedergabe höchst akkurat ist, vermisst man jedoch bei diesem Werk besonders eine Transkription (anhand derer man nach Stichwörtern suchen könnte) und eine Übersetzung (die zum Verständnis des Werkes unbedingt vonnöten ist); auch ein wirklicher Textkommentar zu ausgesuchten Stellen, der durch Anklicken zur Verfügung stünde, hätte sich integrieren lassen können.

Den Abschluss (S. 271-278) bilden Informationen zur Library of Congress, zur Editionsreihe, zur Edition selbst sowie ein "Visual Guide" zur Verwendungsweise der Octavo-Editionen (er zeigt, was grundsätzlich an Möglichkeiten in der Digitalisierung alter Drucke liegt; nur kamen sie hier kaum zur Anwendung). Die Digitalisierung der Hypnerotomachia hat offensichtlich vor allem den Buchliebhaber bedienen wollen, der alle Feinheiten einer opulenten Aldine zu Gesicht bekommen möchte; einen potentiellen Leser hat sie dabei aus dem Blick verloren.

Kommentare

Von Graf, Klaus23.12.2004

Zur Rezension der Octavo-CD-ROM der "Hypnerotomachia Poliphili" von Nikolaus Thurn
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-199
erlaube ich mir die folgende Anmerkung.

Im Vergleich zu unbezahlbaren klassischen Faksimileausgaben sind CD-ROMs mit Digitalisaten eine höchst kostengünstige Möglichkeit, wissenschaftlich hochwertiges Arbeitsmaterial sich zu verschaffen. Bei der Beurteilung solcher Verlagsprodukte sollte man aber auch immer im Auge haben, was im frei zugänglichen Internet gleichsam "Open Access" bereits zur Verfügung steht - womöglich in besserer Qualität als auf den käuflichen Datenträger. Im vorliegenden Fall hat man die Qual der Wahl, denn meines Wissens liegt die enigmatische Inkunabel von 1499 in vier Exemplaren digitalisiert vor:

In Jerusalem (im DjVu-Format)
http://www.jnul.huji.ac.il/dl/books/html/bk_all.htm

In Sevilla
http://www.fondoantiguo.us.es/obras/050/index.html

In den USA: CMU (Posner Collection)
http://posner.library.cmu.edu/Posner/books/book.cgi?call=853_C71HY

In Delft (NL) bzw. auf der Seite der MIT Press:
http://mitpress.mit.edu/e-books/HP/index.htm
= http://www.bk.tudelft.nl/dks/publications/hp/index.htm

Es können also intensive Studien an mehreren frei zugänglichen Digitalisaten betrieben werden (wobei die besprochene CD-ROM durch das wissenschaftliche Begleitmaterial einen gewissen Mehrwert aufweist). Leider gibt es kein Gesamtverzeichnis solcher Digitalisate, weshalb viele Lehrende schlicht und einfach in Unkenntnis vorhandener Digitalisierungsangebote auf die Nutzung digitalisierter alter Drucke etwa im akademischen Unterricht verzichten. Die "Hypnerotomachia Poliphili" ist kein Einzelfall. Wer soll etwa auf die Idee kommen, dass es die Schedelsche Weltchronik auf Latein in

Olmuetz
http://dig.vkol.cz/dig/iii47715/popis.htm

Andalusien
http://www.juntadeandalucia.es/cultura/bibliotecavirtualandalucia/secciones/secciones.cmd?id=94

und Sao Paolo (Brasilien)
http://www.obrasraras.usp.br/

gibt? Google hilft da ganz und gar nicht weiter. Dana Suttons neulateinische Bibliographie http://www.philological.bham.ac.uk/bibliography/ch.html
(in der übrigens alle vier digitalisierten Exemplare der Colonna-Inkunabel verzeichnet sind) ist viel zu wenig bekannt.

Dr. Klaus Graf


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