U. Voss u.a.: Erinnerungen an Che Guevara

Cover
Titel
Versuchen wir das Unmögliche. Erinnerungen an Che Guevara


Autor(en)
Voss, Ursula; Bruehl, Hein; Thieme, Thomas; Berkel, Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
Audio-CD, Booklet: 12 S.
Preis
€ 14,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kersten Schüßler, lizard Medienproduktion, Berlin

„Der vollkommenste Mensch unserer Zeit“, jubelte der Philosoph Jean-Paul Sartre. Ein eher unangenehmer Typ, meinte der Fotograf Alberto Korda. Ernesto Guevara de la Serna, genannt Che Guevara, wird auf der CD von Ursula Voss als Mann der Widersprüche portraitiert: „Asthmatiker und Zigarrenraucher, promovierter Arzt, Revolutionstheoretiker, Präsident der kubanischen Nationalbank, Guerilla-Kämpfer, Major der kubanischen Armee, Industrieminister“. Voss hat für ihr 55-minütiges Rundfunk-Feature im März 2004 den „Deutschen Hörbuchpreis“ erhalten. Die späte Anerkennung ist ein wenig erstaunlich, bedenkt man, dass das Feature aus dem Jahr 1997 stammt. Voss hat zahlreiche Interviews in Kuba geführt, Originaltöne deutscher Che-Bewunderer aus dem Archiv geholt und geht selbstkritisch mit der eigenen Che-Begeisterung jener heute schon so fernen 1960er-Jahre ins Gericht. „Versuchen wir das Unmögliche. Erinnerungen an Che Guevara“ bricht die Ikone Che aus ihrer ideologischen Umklammerung heraus, ohne das Bild des Revolutionärs allzu sehr zu beschädigen.

Wir hören Kinder im Revolutionsmuseum in Havanna, die vor Ches Wachsfigur vom „lebendigen Vorbild“ schwärmen, hören Rudi Dutschke raunen und Fidel trauern, vernehmen aber auch nüchterne Sätze des Che-Fotografen Korda über den schroffen „Commandante“ und frappierende Fakten über von ihm geführte Erschießungskommandos. Die CD entführt uns für knapp eine Stunde in die 1960er-Jahre, in die immer noch vom Sozialismus geprägte Welt Kubas und die Atmosphäre längst vergangener Studentenproteste der BRD. Und man wird gewahr, warum Hörbücher mehr und mehr Erfolg haben: weil sie Eindrücke exemplarisch verdichten, mit Originalstimmen Farbe in den Gegenstand bringen und somit wie ein Essay atmosphärisch verdichten, was ein Buch nur sachlich aufarbeiten kann. Das Hörbuch ist eine Ergänzung und – selbst wenn noch „Buch“ im Worte steckt – im Grunde ein ganz anderes Medium. So stört es auch nicht, dass im Cover nur wenige Seiten Begleittext stehen. Fakten mag der Interessierte sich im Internet oder in der Bibliothek besorgen.

Che Guevara wird am 14. Juni 1928 als Sprössling eines argentinischen Plantagenbesitzers in San Rosario geboren. Er studiert Medizin, macht 1952 und 1953 ausgedehnte Reisen durch nahezu alle lateinamerikanischen Länder und bis nach Florida. Schließlich lässt er sich als Arzt in Guatemala nieder: „Dies ist ein Land, in dem man sich die Lungen weiten und mit Demokratie füllen kann.“ Doch die Demokratie wird mit US-Hilfe gestürzt, Guevara flieht und trifft 1955 in Mexiko auf die Brüder Raúl und Fidel Castro. Bald nennt man ihn Commandante Che, nach der kumpelhaften argentinischen Anrede, die er ständig benutzt. In den ersten Dezembertagen 1956 landen 82 Rebellen mit der Jacht „Granma“ vor der Küste Kubas. Guevara, nach Fidels Worten ein „Verächter der Gefahr“, wird im Jahrzehnt bis zu seinem Tod das kritische alter ego des Maximo Lidér.

Immer wieder bricht Voss ihr Feature mit deutschen Stimmen und Eindrücken. Knapp ein Jahrzehnt nach der kubanischen Revolution wird Guevara für die westdeutschen Studenten zum lebendigen Mythos. Die Schriftsteller Peter Weiss und Adolf Muschg machen Guevara zur Identifikationsfigur; der DDR-Flüchtling Rudi Dutschke, der seinen Sohn Hosea Che nennt, räsoniert über Ches Weg. Schließlich kommt 1997 der spätere NPD-Anwalt und Ex-Linke Horst Mahler zu Wort und spricht von „zwar nicht materieller, aber psychischer Verelendung“ der Studenten, die im Protest gegen den Vietnamkrieg und die Diktaturen Lateinamerikas sich von der Passivität und Mitläuferei ihrer Eltern unter den Nazis abwandten. Voss selbst gesteht, wie sehr sie Ches militanter Humanismus zunächst überzeugt habe: „Als jedoch das erste Kaufhaus brannte, zogen wir uns rasch in die WGs der Wohnküchen zurück.“ Dort hing indes, wie überall auf der Welt, das Che-Poster, das „vielfach missbrauchte Bild“. Und da war Ches Geschichte schon zu Ende.

Der Commandante und Familienvater ordnet zu Beginn der 1960er-Jahre die Erschießung von mindestens 1.500 „konterrevolutionären“ Kubanern teils selbst an, reist als Botschafter Guevara durch die Welt, unterzeichnet als Chef der Nationalbank Geldscheine, will als Industrieminister das Volkseinkommen verdoppeln, die Arbeitslosigkeit lindern und den Lebensstandard heben. Doch er scheitert in fast jeder Hinsicht. Kuba steuert auf eine Zuckerrohr-Monokultur zu, das Lebensniveau sinkt, die Arbeitslosen werden eher mehr. Guevara entzieht sich der wachsenden Kritik, indem er die Planwirtschaft verantwortlich macht. Ob seine eigenen Vorstellungen praktikabler sind, scheint fraglich. Als erklärter Gegner von materiellen Anreizen fordert er freiwillige Arbeitseinsätze und Einkommensverzichte. Che erträumt – wohl sich selbst als Vorbild sehend – für das Jahr 2000 den freien, völlig selbstkontrollierten Menschen.

Voss fragt sich vor Ort in Kuba, ob sie einer Selbsttäuschung erlegen war, ob Che ein „Verführer meiner Generation“ war. Sie trifft im November 1996 den Fotografen Korda, der das berühmteste Che-Foto als Gelegenheits-Schnappschuss machte. Che war nur 20 Sekunden zu sehen, das Foto blieb bis 1967 im Archiv, zur Trauerrede von Fidel auf Che prangte es über 13 Stockwerke. Korda wurde von Che erstmals angesprochen, als er ihn beim Golfspielen mit Castro fotografierte: „Hör mal, Fotograf, Ich hoffe Du hast genügend Bilder, hör endlich auf da mit dem Knipsen, Du kommst mir vor wie ein Yankee-Fotograf, weißt Du nicht, dass Dein Film Devisen kostet?!“ Später ließ Che ihn eine Woche Zuckerrohr schneiden, damit Korda wusste, was er fotografierte. Che war, so erzählen Soundbites, „herrisch, beißend ironisch, bisweilen arrogant dickköpfig [...]. Er liebte Bücher, die bildende Kunst, weniger die Musik! Tanzen konnte er gar nicht, Reisen war seine große Leidenschaft“.

1964/65 reist der von Kuba frustrierte Guevara durch Afrika, hält flammende Reden gegen den Westen, aber auch gegen die UdSSR wegen ihrer „rigiden Zahlungs- und Kreditverträge mit den unterentwickelten sozialistischen Bruderländern“. Das bringt ihn in Bedrängnis. Angeblich streitet er sich 24 Stunden lang mit Fidel Castro, bevor er alle Ämter aufgibt. Er reist im März 1965 mit 130 Begleitern in den unruhigen Kongo und wird anschließend von Castro direkt nach Bolivien weiter geschickt.

Erst am 3. Oktober 1965 verliest Castro Ches Abschiedsbrief, den dieser schon im März geschrieben hatte. Es ist eine Selbstüberhöhung, für heutige Ohren wenig erträglich: „[A]ndere Völker der Welt verlangen nach meinen bescheidenen Bemühungen [...]. Ich trauere nicht, dass ich meine Frau und meine Kinder ohne materielle Güter zurücklasse [...].“ Die Bewunderung der westeuropäischen Studenten für Che ist da noch ungebrochen. Das Engagement für seinen Versuch, den humanen Sozialismus allein weiter durch Lateinamerika und die Dritte Welt zu tragen, wird von den Radikalen bewundert, andere reagieren mit Ratlosigkeit. „Warum bist Du diesen Weg gegangen [...]?“, fragt Dutschke, „warum nicht nach Mexiko, um zu schreiben für die nächsten Generationen, um sie vorzubereiten für den revolutionären Kampf [...]?“

Hatte Guevara da selbst noch an seine Mission geglaubt? Eine von Voss interviewte Mitkämpferin beschreibt den Commandante tatsächlich als von der Gewissheit durchdrungen, die Revolution durch ganz Lateinamerika zu tragen. Stolz und selbstsicher habe Guevara keinerlei Widerspruch geduldet, zeigt sich als streng gegen seine eigenen Leute und mild im Umgang mit Gefangenen. Erfolg hat er damit nicht: Die Bolivianer verharren in stumpfem Desinteresse, und nur ein einziger Bauer schließt sich der Gruppe an. Als Che verhaftet wird, tröstet er mehr sich als seine Bewacher: „Keine Sorge Capitán, es ist vorbei.“ Seine Mission ist am Ende. Am 9. Oktober 1967 wird Che hingerichtet; der aufgebahrte Leichnam wirkt auf die Anwesenden wie ein toter Christus. 1995 wird die Leiche nach Kuba gebracht und dort zwei Jahre später beigesetzt. „In mein Grab nehme ich nur den Kummer über ein unvollendetes Leben“, heißt es pathetisch in einem Abschiedsbrief. An seine Kinder schreibt er: „Seid immer sensibel, bis ins Tiefste jede Ungerechtigkeit zu empfinden, die auf der Welt irgendjemandem angetan wird. Das ist die schönste Eigenschaft eines Revolutionärs. Hasta siempre! [Lebt wohl!]“

Auf der Trauerfeier für Guevara spricht Castro vor dem haushohen Che-Foto von Korda. Wie der Papst auf dem Petrus-Grab und die Sowjet-Führer auf dem Lenin-Mausoleum legitimiert von da an das Bild des toten Messias die kubanische Diktatur. Voss portraitiert ihn auf ihrer schönen CD mit milder Gerechtigkeit. Dass der lebendige Che, dieser „Jesus Christus mit der Knarre“, eine missionarische Spaßbremse war, desavouiert nicht die in ihm verkörperten Hoffnungen der Zeitgenossen.

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