Nachdem die erste Welle der Begeisterung fuer Multimedia im Bildungssektor zur Mitte der 90er Jahre angesichts enttaeuschender Verkaufszahlen einer gewissen Ernuechterung gewichen war, fuehrten die sinkenden Hardware-Preise und die marktdeckende Einfuehrung sog. Multimedia-PCs in den letzten Jahren zu einem neuerlichen Aufschwung dieses Marktsegments. Im Unterschied zur ersten Phase jedoch, als nicht wenige aufgeschreckt (bzw. begeistert) gar die baldige Abschaffung der Schule und des Lehrers "aus Fleisch und Blut" befuerchteten (bzw. voraussagten), verfolgt man in der Branche nunmehr bescheidenere Ansaetze: Unter dem Kunst- und Sammelschlagwort "Edutainement" erscheinen in juengster Zeit immer wieder elektronische Publikationen aus den verschiedensten Fachgebieten, die durch die Verwendung des noch immer neuen Mediums eine ergaenzende, abwechslungsreiche Praesentation auch "klassischer" Themen bieten wollen.
Das hier vorzustellende, preisgekroente (Euro-Comenius-Medaille der Europaeischen Kommission) Werk Joerg Schaefers ist diesem neuen Trend eindeutig zuzuordnen. Kernelement der CD stellt eine multimediale Praesentation der - aus Sicht des Autors - wichtigsten Etappen deutscher Nachkriegsgeschichte vom Wiederaufbau bis zur Wiedervereinigung dar. Zusaetzlich bietet die CD eine sog. "Chronik", eine Art Zeitstrahl, auf dem Ereignisse durch Schlagworte und mehr oder weniger aussagekraeftige Symbole im Zeitablauf verortet sind, sowie eine "Datenbank", hinter der sich eine recht einfache Suchmaske (Stichwoerter und Volltext) fuer die auf der CD befindlichen Texte verbirgt.
Dabei lassen bereits die in der Bedieneroberflaeche gewaehlten Bezeichnungen die Schwierigkeiten bei der Implementierung historischen Stoffes in dem Medium erahnen: Sind die Bezeichnungen "Chronik" und "Datenbank" noch einigermassen selbsterklaerend, waehlten die Autoren fuer das Kernstueck der CD, die multimediale Praesentation, die wenig aussagekraeftige Bezeichnung "autorun"; im Zusammenhang mit PCs bzw. dem marktbeherrschenden Betriebssystem verbindet man mit diesem Begriff eigentlich eher eine Methode zur Laufwerkssteuerung. Hier wird statt dessen mit dieser Funktion jedoch eine Art Dokumentarfilm mit Standbildern, kurzen zeitgenoessischen Film-, Ton- und Textdokumenten gestartet, eine Funktion, die keine weiteren Benutzereingaben benoetigt (daher wohl die Bezeichnung), sondern dem Interessenten die Rolle des Konsumenten anbietet; die Website des Olzog-Verlags verwendet dementsprechend hierfuer den eindeutigeren Begriff "Bildschirmfilm".
Auf dieser Zeitreise fuehrt der Autor seinen Kunden ueber selten unorthodox gewaehlte Etappen durch die Geschichte v.a. der Bundesrepublik (z.B. "Staatsgruendung", "Kriegsgefangene", "Westintegration", "Wiederaufruestung", "Mauerbau", "grosse Koalition" und "APO", "Ostpolitik", "die Wende" und schliesslich "Fall der Mauer"). Ergaenzt wird dieser von politischer Geschichte und Wirtschaftsgeschichte gepraegte Durchgang durch die Zeitgeschichte an den passenden Stellen durch einen mehr oder weniger deutlichen Blick auf die DDR (z.B. "doppelte Staatsgruendung", "Partei neuen Typs", "Kirche und Staat"), sowie durch Andeutungen auf anderen Gebieten historischen Interesses ("Rock'n'Roll und Schlager", "Konsum- und Wohlstandsgesellschaft", das "Dokumentartheater" oder die "RAF").
Zusaetzlich bietet die CD zur Vertiefung dieser kanpp einstuendigen Praesentation "des Wesentlichen" zwei Moeglichkeiten: Der interessierte Kunde kann entweder von den die Praesentation begleitenden Texten oder aber auch aus der "Chronik" heraus durch Anklicken gruen unterlegter Stellen ergaenzende Informationen zu den jeweiligen Begriffen am Bildschirm erscheinen lassen. Durch dieses Hyperlink-System bietet die CD Zugriff auf eine Vielzahl von lexikonartigen Einzelinformationen ueber Personen oder Ereignisse, die teilweise multimedial aufgearbeitet sind und groesstenteils ihrerseits wieder mit anderen Eintraegen "verlinkt" sind, selten jedoch mehr als 40 Zeilen Text umfassen. Rueckverweise in die "Chronik" oder die Praesentation unterbleiben aber, so dass Schleifen in der Benutzerfuehrung wenigstens an dieser Stelle ausgeschlossen sind.
Schliesslich steht dem Interessenten zur Befriedigung seines Wissensdurstes noch der Zugang durch die sog. "Datenbank" offen: Ueber eine sehr einfach organisierte Suchmaske kann man hier durch Auswahl aus vorgegebenen Stichwoertern die jeweils passende Einzelinformation direkt ansteuern.Weiterhin wird auch eine Volltextsuche angeboten, die zwar Trunkierung, nicht jedoch logischen Operatoren beherrscht. Nicht zuletzt aus diesem Grund empfiehlt sich beim Einsatz der "Datenbank" ein genauerer Blick auf die vorgefertigten Stichwortlisten: Diese sind recht ausfuehrlich gehalten und bieten zudem den direkten Zugriff auf die in der CD enthaltenen ca. 100 Biographien und Textquellen, leider jedoch nicht auf die Film- und Tonquellen.
Trotz - oder vielleicht gerade wegen - der erfreulich sachlichen, an keiner Stelle reisserischen oder verspielten Informationsvermittlung wirft die CD einige Fragen auf. Sicherlich ist es dem Autor gelungen, ganz im Sinne des Konzeptes von "Edutainement" Wissensvermittlung interessant und unterhaltsam zu gestalten - in strenger Abgrenzung zu jenem Popanz des langweiligen, weil schwer lesbaren und "trockenen" Geschichtsbuches. Doch hierbei wurden (mussten?) inhaltliche Abstriche vorgenommen: Die Darbietung des Stoffes kann kaum als an aktuellen Forschungsdebatten ausgerichtet bezeichnet werden, Ausfuehrungen zu aktuellen oder auch schon etwas aelteren Kontroversen in der Deutung der Geschichte werden gaenzlich ausgespart (mit Ausnahme des Historikerstreites), und Hilfestellungen zur weiterfuehrenden Beschaeftigung mit einzelnen Themen werden nicht geboten.
Zudem ist nach dem Nutzwert fuer den Anwender zu fragen. CDs koennen als Medium der Wissensvermittlung grundsaetzlich drei Funktionen erfuellen: Sie koennen in Lehrsituationen als Ergaenzung bzw. Ersatz klassischer Unterrichtsmedien zur Unterrichtsgestaltung eingesetzt werden, sie koennen fuer Lehrende und Lernende gleichermassen die Funktion eines Nachschlagewerks oder einer Gedaechtnisstuetze (Wissensdatenbank) erfuellen oder sie koennen drittens dem selbstgesteuerten Lernen (z.B. vor Pruefungen) bzw. zur Unterrichtsvor- und -nachbereitung dienen. So eindeutig, wie das Werk Schaefers dem Marktsegment des Edutainements zuzuordnen ist, so unklar bleibt jedoch, welche der genannten Funktionen seine CD wirklich erfuellt: Zum Einsatz im Unterricht fehlen der CD wichtige technische Funktionen: Die Software ist zwar (auf einem modernen PC) leicht zu installieren und laeuft stabil, bietet aber keine Netzwerkunterstuetzung oder Gruppenfunktionen; die Art der Darstellung ist an keiner Stelle lern- oder aufgabenorientiert und bietet auch ansonsten keinerlei didaktische Hilfsmittel. Wer sich also nicht gerade die Muehe macht, einen ganzen Klassensatz der mit 49,- DM nicht auffallend billigen CD zu kaufen, diesen fuer jeden Schueler einzeln auf einem eigenen PC zu installieren und dann selbst auf exakt die hier gebotenen Informationen zugeschnittene Aufgaben zu entwerfen, wird von einem Einsatz im Unterricht absehen muessen.
Einem Einsatz der CD als Wissensdatenbank jedoch widerspricht die fuer eine weitergehende Beschaeftigung mit der Geschichte der Bundesrepublik zu geringe Zahl der Eintraege sowie die teilweise recht knappe Abhandlung der angebotenen Themen. Zu diesem Zweck waere dem PC-Nutzer sicherlich mit einer aus der Vielzahl der mittlerweile erschienenen Lexikon-CDs besser gedient - vor allem, wenn auch der internationale Kontext deutscher Geschichte beruecksichtigt werden soll.
Schliesslich kann auch der Nutzwert der CD fuer das selbstgesteuerte Lernen hinterfragt werden: Zwar ist es mit Hilfe der CD durchaus moeglich, sich - sogar ausgehend von einer der mitgelieferten Textquellen - ein groben Ueberblick ueber den jeweiligen Zeitraum zu verschaffen, die starke Ausrichtung der CD auf die Praesentation eines umfassenden Ueberblicks ueber den gesamten Berichtszeitraum verhindert aber geradezu eine wirklich gewinnbringende Auseinandersetzung mit Einzelthemen. Dies haengt sicherlich z.T. auch damit zusammen, dass das verwendete Hyperlink-System bei genauerem Hinsehen eine ueberraschend enge Fuehrung des "Lesers" darstellt: Obwohl die meisten Einzeleintraege eine ganze Reihe von Querverweisen bieten, fuehrt die Suche den "Leser" doch sehr haeufig auf den Weg zu mehr oder weniger allgemeinen Informationen, der dann bereits nach ein oder zwei Mausklicks bei der Beschreibung von Verfassungsorganen, anderen Institutionen oder der Biographie einer beruehmten Persoenlichkeit endet. Bedauerlich ist zudem, dass das vom Autor mitgelieferte Literaturverzeichnis - uebrigens gut versteckt in der Suchmaske der Datenbank - selber nicht Ziel von Hyperlinks aus dem eigentlichen "Text" ist, sondern als Ganzes unverbunden beigefuegt wurde. Schliesslich ist ausgerechnet dieser Teil dann als einer der wenigen Textabschnitte auch nicht direkt in eine Textdatei exportierbar; allerdings duerfte die zitierte Literatur in den meisten Schul- und Stadtbibliotheken ohnehin nicht verfuegbar sein.
Trotzdem ist zu betonen, dass die Moeglichkeit, grosse Materialmengen kostenguenstig zu publizieren, das Konzept der "Hyperlinks" als Ergaenzung bzw. Ersatz der ungeliebten Fussnote sowie die Moeglichkeit der Volltextrecherche das neue Medium als gerade fuer die Vermittlung der Komplexitaet historischer Zusammenhaenge besonders gut geeignet auszeichnen. Insofern hat der Olzog-Verlag mit der CD von Joerg Schaefer einen begruessenswerten Schritt in die richtige Richtung unternommen, der weit ueber die bisher vorgelegten, vor allem an Computerspielen ausgerichteten Geschichts-CDs hinausfuehrt. Nur scheint die konzeptionelle Debatte ueber diese neuen Moeglichkeiten sowohl bei den Verlagen als auch im Fach selber zum gegenwaertigen Zeitpunkt noch laengst nicht am Ende zu sein.
Ein Aspekt, den zu diskutieren lohnenswert sein koennte, besteht darin, dass das Medium, wenn es seine Moeglichkeiten voll ausschoepfen soll, sowohl von den Autoren als auch von den Verlagen den Mut zu einer staerkeren "Didaktisierung" des Stoffes fordert. So waere es denkbar und auch zu leisten, bei den jeweiligen Einzelthemen unterschiedliche Interpretationen der Forschung gegenueberzustellen, zentrale Quellen quellenkritisch aufzuarbeiten und mit Literaturhinweisen zu versehen oder durch eine staerkere Thesenorientierung sowie eine bessere Ausschoepfung von Netzwerk-oder Gruppenfunktionen deutlicher zur kritischen Auseinandersetzung mit Vergangenheit anzuleiten. Angesichts der immer besser werdenden Ausstattung von Bildungseinrichtungen mit PCs eroeffnet sich mittelfristig hierfuer sicherlich ebenfalls ein grosser Absatzmarkt.