"Die Geschichte der Deutschen" kommt gewissermaßen als "kleiner Bruder" der "Chronik des 20. Jahrhunderts", ebenfalls aus dem Hause Digital Publishing, auf den Markt. Während die große Version (mit 4 CD-ROMs) Weltgeschichte präsentieren will, beschränkt sich die kleinere ganz auf Deutschland, deckt aber immerhin die Zeit zwischen Reichsgründung und unmittelbarer Gegenwart ab.
Technische Voraussetzungen sind ein Microsoft Windows-Betriebssystem (3.x, 95, 98 oder NT 4.0), 8 MB Arbeitsspeicher, Windows-kompatible Soundkarte sowie eine Bildschirmauflösung von 600 x 800 Bildpunkten. Die Installation erfolgt von selbst, man muß die CD-ROM lediglich starten. Welche der beiden CD-ROMs man einlegt, ist egal, denn alle abrufbaren Daten sind auf beiden vorhanden; lediglich Filme und Tondokumente sind nur auf jeweils einer gespeichert. Die erste Scheibe umfaßt die Zeit von 1871 bis 1945, die zweite die Nachkriegszeit. Der Wechsel zwischen den beiden CD-ROMs kann jederzeit bequem erfolgen.
Nach dem Start gelangt man auf den übersichtlichen Eröffnungsbildschirm, auf dem sich mehrere Optionen bieten. Man kann sich zunächst an die Hand nehmen lassen und sich in zehn Dokumentationen, die jeweils etwa eine Viertelstunde lang sind, über bestimmte Themen informieren. Hier werden allgemeine Einführungen geboten zu folgenden thematischen Blöcken: "Das Reich unter Bismarck", "Die Wilhelminische Ära", "Der Erste Weltkrieg", "Die Weimarer Republik", "Ein Volk im Gleichschritt", "Der Zweite Weltkrieg", "Zwei deutsche Staaten", "Jahre des Wandels", "Wiedervereinigung" sowie "Das vereinte Deutschland".
Vom Startbildschirm bzw. über das Menü gelangt man auch in die Rubrik "Heute vor...", in welcher Informationen über Ereignisse gegeben werden, die ungefähr 50 oder 75 Jahre zurückliegen. Klickt man auf den Eintrag "Biographie/Glossar", erreicht man eine alphabetisch geordnete Liste von Namen und Stichworten, zu denen ausführlichere Informationen abgerufen werden können. Die Bandbreite der Biographien reicht von Sultan Abdul Hamid II. bis Klaus Zwickel. Die Stichworte zu erschließen, ist etwas mühselig, weil bei etlichen die alphabetische Ordnung nach dem Artikel und nicht nach dem Substantiv erfolgt, so daß man lange Auflistungen durchforsten muß, die mit "Der" oder "Die" beginnen. Des weiteren kann man über die Option "Archiv" auf eine Übersicht der Film-, Ton- und Textdokumente zugreifen und diese direkt aufrufen. Eine Suchmaschine erlaubt Abfragen nach Personen oder Stichworten. Zu diesen Hintergrundinformationen gelangt man auch, wenn man den vielen Querverweisen und Verknüpfungen zwischen einzelnen Stichworten oder Personen folgt, die in den Texten angeboten werden und per Mausklick abgerufen werden können. Dabei erscheint, wenn man mit der Maus auf entsprechend markierte Begriffe fährt, in der Regel eine ganze Liste von Querverweisen unterschiedlicher Qualität, die durch farbliche Markierungen auseinanderhalten kann: Entweder wird eine weitere Titelseite angeboten, oder die Hinweise führen zu Einträgen aus dem biographischen oder Stichwortarchiv. Fraglich ist, ob die vielen Querverweise wirklich sinnvoll sind, oder ob sie nicht eher verwirren, zumal das Hin- und Herblättern zwischen den aufgerufenen Ebenen eher unpraktisch gestaltet ist und man gelegentlich nur schwer zur ursprünglich gewählten Seite zurückfindet. Da die technische Aufmachung der "Geschichte der Deutschen" im wesentlichen derjenigen der "Chronik des 20. Jahrhunderts" entspricht, sind hier auch dieselben Mängel vorhanden (vgl. auch die Besprechung der 6 CD-ROMs von "Retrospect 1999. Die umfassende Chronik des 20. Jahrhunderts..." von Guido Müller für H-Soz-u-Kult, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/digital/cdrom/multimed/mugu0599.htm).
Die Such- und Verknüpfungsfunktionen ermoeglichen den systematischen Zugriff auf bestimmte Themenbereiche, wobei der Nutzwert dieser Anwendung noch dadurch erhöht wird, daß man die aufgerufenen Informationen kopieren und drucken kann. In dieser Hinsicht wird man die CD-ROMs auch als Nachschlagewerk nutzen können.
Doch ein bloßes Nachschlagewerk wollen die Multimediaproduktionen ja nicht sein, und so wird auch hier eifrig die Flagge des Edutainment geschwenkt. Reichhaltige Illustrationen, viel zeitgenössisches Filmmaterial und zahlreiche Tondokumente sollen der Darstellung Authentizität verleihen und ihren Unterhaltungswert steigern. Bunt ist das Ganze schon, Neues freilich wird nicht geboten, bestenfalls für den Laien ohne nennenswerte Vorkenntnisse. Vielleicht läßt sich diese CD-ROM auch für den Geschichtsunterricht in den Schulen gewinnbringend einsetzen; im Rahmen universitärer Veranstaltungen hielte ich sie für trivial.
Zwar ist die technische Seite dieses Produkts durchaus ansprechend und weitgehend benutzerfreundlich gestaltet; in inhaltlicher Hinsicht ist es eher ärgerlich. Denn geboten wird nicht, wie angekündigt, eine "Geschichte der Deutschen", sondern eine Geschichte der deutschen Politik.
Man kann bereits an den Überschriften der Dokumentationen erkennen, daß sich die Macher dieser CD-ROM vorwiegend an den politischen Zäsuren in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts orientiert haben, Kontinuitäten über die politischen Brüche hinweg bekommen sie nicht in den Blick. Diese Dokumentationen entsprechen in ihren Standards dem Durchschnitt der mittlerweile üblichen Fernsehproduktionen zu historischen Themen; besondere Originalität kann man ihnen nicht zusprechen, weder im Zuschnitt der thematischen Bereiche, in die sie einführen, noch in der Auswahl und Präsentation des Quellenmaterials.
Insbesondere die Darstellung der Zeit bis 1945 kommt über eine hochkonventionelle Politikgeschichte nicht hinaus; hier werden etwa Bismarcks Bündnissystem, Brünings Notverordnungspolitik oder die Stationen der "Gleichschaltung" präsentiert. Bücher, in denen diese Themen so altmodisch wie hier dargestellt werden - nicht immer bewegt sich das Dargebotene auf dem neuesten Forschungsstand -, würde man nicht mehr zur Hand nehmen wollen; hier läßt man sich vielleicht noch eine Zeitlang von den Bildern, Filmen oder Tondokumenten fesseln, doch es wird bald deutlich, daß auch sie nicht über die Schwächen der Konzeption hinwegtäuschen können. Zu einer "Geschichte der Deutschen" dürfte wohl mehr gehören als die "große Politik". Wo also bleiben Themen wie Kultur, Arbeit, Freizeit, Familie, Kindheit und Jugend, Frauen und Männer, und dergleichen mehr? Hier werden sie fast vollständig ignoriert. Es kommt nicht von ungefähr, daß man im biographischen Teil zwar auf solch obskure Gestalten wie Robert Greim stößt, der für ganz kurze Zeit Nachfolger Görings war, daß aber Namen wie Enzensberger, Beuys, Fassbinder oder Schlöndorff fehlen. Für die Zeit nach 1945 ist der Horizont sogar noch etwas weiter; über Kultur, Gesellschaft oder Alltag im Kaiserreich oder in der Weimarer Republik ist fast überhaupt nichts zu erfahren. Hier hat man verstaubten Inhalten eine neue bunte Verpackung gegeben, die gewiß ganz reizvoll daherkommt, doch deren "Erkenntnismehrwert" im Grunde gleich Null ist.