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Titel
Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts


Autor(en)
Hanisch, Ernst
Erschienen
Anzahl Seiten
459 S., 60 s/w Abb.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Kühberger, Interdisziplinäres Zentrum für Frauen und Geschlechterforschung und Historisches Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Aus geschlechterhistorischer Sicht versucht Ernst Hanisch nicht die „Natur“ zu negieren. Seine Thesen, die einst auf einer Tagung zum Tabubruch führten und ihn dort zum Ignoranten der Geschlechterforschung stempelten, liegen nun in einer Ausführlichkeit vor, die nichts mehr von seiner provokativen Verkürzung erkennen lassen.1 Er bekennt sich zwar offen zu der biologischen Grundlage der Geschlechter, verstellt sich dadurch jedoch nicht den Blick für den historischen Wandel (Machtbeziehungen, Normensysteme etc.). – „Der männliche Körper trägt biologisch einen Penis, der sich, sozial, häufig als Phallus aufführt und die Rhetorik der großen Wörter liebt. Es gibt kein Wesen des Mannes, das von der Biologie ausgeht und sich unverändert durch die Geschichte durchsetzt. Auch der Körper wird durch Interpretationen und Diskurse überhaupt erst ‚verständlich’.“ (S. 10f.)

In der persönlich gehaltenen Einleitung verknüpft Hanisch die grundlegenden Denkachsen der historischen Männlichkeitsforschung mit seiner Mannwerdung, was den selbstreflexiven Historiker auszeichnet. In seiner Kapiteleinteilung unterscheidet er zwischen dem Krieger, dem Liebhaber, dem Vater sowie zwischen dem Berufsmenschen und dem Sportler, die als Rollenvorgaben des langen österreichischen Jahrhunderts analysiert werden. Im Kapitel zur „Männlichkeit des Krieges“ (1914-1918) führt Hanisch die typisch „österreichische“ Version des Soldaten vor. Durch die übernationale Bindung der Soldaten an Dynastie und Kaiser anstatt an eine Nation, interpretiert er die allgemeine Wehrpflicht (1868) als Teil der Staatsbildung. Die Ausführungen dringen tief in die Schichten der österreichischen Provinz ein, wo männliche Aggressivität den ländlichen Sex-Appeal ausmachten und die Ästhetik der Uniformen sowie die Militärmusik die eigentlichen Brutalität verschleierten. In der Kontrastierung zwischen der Standesehre der k u. k. Offiziere, der sexualisierten Nervosität und der alltäglichen Bewältigung der Männlichkeitsanforderungen durch die Mannschaft im Krieg begegnet man einer facettenreichen Geschichtsschreibung zwischen theoretischer Reflexion, Quellen und einer Sprache, die das Lesen auch zum literarischen Genuss werden lässt.

Der Pazifismus der Nachkriegsjahre wird schnell durch die Figur des Kriegers abgelöst. Schutzbund, Heimwehr, Jugendbewegungen propagandieren den Helden in einer autoritären Atmosphäre. Der „weiche, gefühlsvolle, ‚weibliche’ Österreicher“ wird durch den „harten, energievollen, ‚männlichen’ Deutschen“ (S. 52) ersetzt. Doch neben dem dominanten Männlichkeitskonzept des Soldenten spürt Hanisch auch den randständigen Idealen nach (Wehrdienstverweigerer, Deserteure, Widerständler, Invaliden etc.). Die Niederlage im Zweiten Weltkrieg verunsichert jedoch die kriegerische Männlichkeit. Die einstigen Helden waren nur noch „impotente Manderl“ (S. 99) und konnten nur schwerlich an die anthropologische Männlichkeitsrollen anschließen (Schwängern, Schützen, Schaffen). Der Österreicher hatte in der falschen Armee gedient, was im Sog des Staatsmythos (Österreich als erstes Opfer) eine Peinlichkeit war und irritierte. Erst durch den Wiederaufbau, als Helden der Arbeit, konnten sich die Männer als Patriarchaten neu positionieren. Die Neutralität und ein Anknüpfen an Berta von Suttner gettoisierten die Leitidee des Soldaten und den Militarismus. Der Krieger hatte als Männlichkeitsideal ausgedient.

Im Kapitel über den Liebhaber sondiert Hanisch die Struktur dieser Männlichkeitsrolle nicht ohne selbst dabei Lust zu empfinden. Sprachlich verschmilzt der historiografische Text nahezu mit der „Poesie“ der Quellen und enttarnt den Donjuanismus des Historikers, begierig nach geistiger Erkenntnis und trunken vom Duft einer Epoche. Bis ins Detail jagt Hanisch Sinneszuckungen nach, ohne dabei Pornografisches auszusparen. Alma Malers Phantasien und erotische Spielereien mögen in der Quellendichte und Anschaulichkeit schockieren, jedoch gelingt es Hanisch dadurch, die historische Atmosphäre zu beleben. Das bürgerlich-künstlerische Milieu der jungen Wiener Intelligenz stellt in der Analyse jenen Bereich dar, wo man über Intimität, Privatheit und Erotik der österreichischen Krisenstimmung um die Jahrhundertwende entfliehen wollte. Daneben wird jedoch auch das ländlich-bäuerliche Milieu skizziert, in dem Hanisch die Männlichkeit über Volkslieder rekonstruiert und das Burschenideal mit Mut, Geld und Potenz destilliert. Gleichzeitig verweist er jedoch auch auf die katholische Kirche, die einen vergessenen Typus Mann produzierte – den Frommen, der seine Sexualität nur unter Schamhaftigkeit auszuleben weiß. In der Arbeiterschaft ortet Hanisch hingegen Unbefangenheit und eine tiefere Schamgrenze. In allen Schichten begegnet man jedoch Menschen mit ihren spezifischen Erfahrungen. Nach einer kurzen Darstellung der politischen und rechtlichen Entwicklung des österreichischen Scheidungswesens (1900-1950) geht Hanisch genauer auf Konfliktfelder der Partnerbeziehungen ein (Liebe/ Sexualität, Gewalt, Verwandtschaft, Geld, soziale/ politische Differenzen, Alkohol). Jeder Punkt wird ausführlich anhand von Scheidungsakten der Stadt Wien präsentiert, sich der Selektivität der gefilterten Streitfälle bewusst. Beide Geschlechter werden dabei als Opfer der Konflikte dargestellt.

Auf dem Weg hin zur sexuellen Revolution und den Auswirkungen im Heute verirrt sich Hanisch zusehends in einer österreichischen Sexualgeschichte des 20. Jahrhunderts, wodurch das Konzept des Liebhabers in den Hintergrund tritt: So wird die erste Wiener Kommune (1918) als Ort der sexuellen Orgie vorgestellt, das Kaffeehaus als Ort der Utopie kommunistischer Färbung und möchtegern Psychoanalytiker entpuppen sich als Studenten, die dauernd mit ihren Patientinnen schlafen möchten. Die Schuld an der moralischen Auflösung am Anfang des Jahrhunderts, dem kursierenden Rauschgift und den Geschlechtskrankheiten, ja sogar der weiblichen Emanzipation wird den Juden zugeschrieben, in denen sich die bürgerlichen Ängste personalisieren. Die Jugendbewegung bewegt zudem. Während die national rechten Gruppen (arische) Keuschheit postulieren, träumen sozialistische Mittelschüler von romantischer Liebe. In bürgerlichen Kreisen setzt nach dem Ersten Weltkrieg eine „Sachlichkeit der Liebe“ ein, die u.a. von den Männern verlangt, „perfekte Liebhaber“ zu sein (u.a. gleichzeitiger Orgasmus). Bauern- und Arbeiterinnen wollen hingegen nach wie vor erwerbstüchtige und lasterfreie Männer. Erst mit der totalitären Wende im „Ständestaat“ kehrt katholische Prüderie zurück, dringt aber nicht wie später die NS-Vorstellungen ins Private ein, wo unter Hitler die „rassische Volksgemeinschaft“ absolut gesetzt wird: Liebe, Sexualität und Ehe als kontrollierter Bereich. Erst in der Nachkriegszeit werden ältere Bilder vor allem durch amerikanische und russische Besatzungssoldaten relativiert - die Anziehungskraft der siegreichen Männer als ambivalentes Treiben zwischen Zuneigung und Vergewaltigung.

Der Aufbau Österreichs zeigt sich jedoch konservativ, wenngleich eine Normierung der Jugend zwischen konservativen Benimmkursen und Rock’n’Roll immer schwieriger zu gelingen scheint. Erst mit der 68er-Revolution setzt in Österreich die „Demokratisierung der Liebe“ ein. Eindrucksvollstes österreichisches Beispiel dieses Weges stellt der Wiener Aktionismus dar. In der Kunst löst sich für Hanisch jener Stau in einem Szenario mit „Scheißen und Brunzen“ und anderen Regelverletzungen, die aufgrund ihrer unverblümten Ausprägung den liberalen Rechtsstaat provozieren (u.a. Teach-In an der Wiener Universität mit Masturbation und Fäkalaktion). Die Homosexualität, die ebenfalls von der 68er Revolution profitierte, streift Hanisch nur oberflächlich. Spannend wäre hier vor allem das Stadt-Land-Gefälle gewesen, das der Historiker anspricht. Im Kapitel über die Väter zeigt Hanisch die Wandelbarkeit dieser Rolle auf. Erziehende Mütter, Feminismus, Sozialstaat und emanzipierte Kinder verändern die Rolle, die zwischen autoritären, liberalen und unehelichen Vätern sondiert wird. Wichtig dabei ist der Umgang von Nähe und Emotionalität der Männer gegenüber ihrer Familie. Die männliche Identität ist zudem durch die Erwerbstätigkeit geprägt. Die Zuschreibung instrumenteller Fähigkeiten an die „Männer“ verstärkte diesen Trend. Bauer, Bürger, Arbeiter und Angestellter bilden die Gruppen der historischen Analyse. Neben der Berufswelt sind in Hanischs Darstellung die Freizeitwelten (Sport, Jagd, Alpinismus und Fußball) eine wichtige Männerdomäne, die zur Selbstvergewisserung des Männlichen dienen.

Das wirklich Außergewöhnliche an diesem Buch ist nicht nur der wissenschaftliche Weg der Gesamterzählung des 20. Jahrhunderts als „andere Geschichte“ 2, sondern auch die von Hanisch aufgezeigte Möglichkeit, eine Österreichische Geschichte auch auf österreichisch zu schreiben. Dies meint nicht eine einseitige Darstellung aus der Sicht eines Österreichers, sondern die deutsche Sprache so einzusetzen, dass neben dialektalen Zitaten, auch typisch österreichisches Vokabular einfließt („fesche Attacke“, „Sprungtaxen“, „die schnelle Kathi“, „steirischer Sterzverstand“ etc.) , was vor allem in seiner euphemistischen Verwendung im Bereich der Sexualität den ethnografischen Blick verdichten lässt. Hanischs Talent Literatur als historische Quelle heranzuziehen, macht dieses Buch zudem zu einem wichtigen Beitrag für die gesamte Kulturwissenschaft.

Anmerkungen:
1 Hanisch, Ernst, Männlichkeiten, Eine Erzählung und eine Provokation, in: Lechner, Manfred (Hg.), Zeitgeschichte.at, 4. österreichischer Zeitgeschichtetag 1999 (CD), Innsbruck 1999.
2 Das hier besprochene Buch stellt einer Ergänzung dar zu: Hanisch, Ernst, Der Lange Schatten des Staates, Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994.

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