Titel
Der Borromäusverein 1845-1920. Katholische Volksbildung und Bücherarbeit zwischen Anpassung und Bewahrung


Autor(en)
Hummel, Steffi
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 18
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
242 S.
Preis
€ 32,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Hirschfeld, Institut für Geschichte und Historische Landesforschung, Hochschule Vechta

Mit ihrer Studie über den Borromäusverein will Steffi Hummel einen Beitrag zur Katholizismusforschung im 19. und frühen 20. Jahrhundert leisten und dabei die von ihr fokussierte Institution „als Teilmoment der Veränderungsprozesse im deutschen Katholizismus im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung begriffen“ (S. 16) wissen. Vor dem Hintergrund dieser Intention fragt sie nach Zäsuren und Kontinuitäten in der Entwicklung des bereits in der Anfangsphase der Formierung eines katholischen Milieus in Deutschland gegründeten Borromäusvereins, dessen Anliegen die Verbreitung des „guten Buchs“ war, das heißt einer den Werten und Normen der katholischen Kirche entsprechenden Literatur.

In einem ersten Teil zeigt Hummel die historische Entwicklung des Vereins auf gesamtdeutscher Ebene und verortet diese sowohl als Teilgeschichte des katholischen Vereinswesens insgesamt als auch als Reaktion auf die Bemühungen des Staates sowie der Sozialdemokratie um eine Rezeption von Literatur durch breite Volksschichten. Das Augenmerk Hummels richtet sich folgerichtig zum einen auf die Volksbildung, zum anderen auf deren Inhalte, wobei sie den Bestsellern ihres Untersuchungszeitraums, sei es Gottfried Keller oder Theodor Storm, die vom Borromäusverein propagierten katholischen Schriftsteller, wie etwa Joseph von Eichendorff und Adalbert Stifter, gegenüberstellt.

Der zweite Teil der bereits im Jahre 2000 als Dissertation bei Herbert Gottwald in Jena eingereichten Arbeit ist der Situation des „guten Buchs“ im Eichsfeld gewidmet. Dieses Fallbeispiel einer ländlichen Region mit dichtem katholischen Milieu ermöglicht Hummel auf der Mikroebene detaillierte Einblicke in das Leseverhalten der Bevölkerung. Unter Analyse qualitativer und quantitativer Faktoren, indem sie also der Frage nachgeht, aus welchen sozialen Schichten die Leser/innen stammten und welche Bücher sie lasen, ja wie viele Katholiken in welchen Orten die örtlichen Borromäusvereine durch Mitgliedschaft respektive Ausleihe unterstützten, vermag sie ein „Stadt-Land-Gefälle in der Leseintensität“ (S. 175) zu konstatieren.

Wenn die beiden großen Kapitel der im Vergleich zum Umfang des Gros der gegenwärtig publizierten Dissertationen recht schmalen Monografie relativ unverbunden nebeneinander stehen, so symbolisiert dies auch deren unterschiedlichen Charakter.

Insbesondere die Fallstudie über das Eichsfeld, deren Ankündigung – zumindest im Untertitel – einer breiteren Wahrnehmung des Buches gewiss keinen Abbruch getan hätte, zumal es durch die Aufnahme in die Schriftenreihe der Historischen Kommission für Thüringen ohnehin in einem regionalen Kontext verortet wird, besticht durch ihre Quellennähe. Gerade die Dichte der Darstellung eröffnet hier eine ganze Reihe neuer Einsichten, welche die Katholizismusforschung bereichern können. Dagegen merkt man dem ersten, allgemeinen Abschnitt die von Hummel anfänglich auch offen konstatierte dürftige Quellenlage auf Schritt und Tritt an. Zwar sind gedruckte Quellen und aktuelle Literatur von ihr gründlich - auch über den Abschluss der Dissertation hinaus bis ins Erscheinungsjahr - rezipiert worden, jedoch hat der Rezensent nicht den Eindruck, dass ihm dezidiert neue Erkenntnisse offeriert werden.

So wichtig diese Studie über einen von der Katholizismusforschung wie von der allgemeinen Historiografie wenig beachteten Bereich des Vereinswesens angesichts des von Hummel zu Recht konstatierten Primats des politischen und sozialen Katholizismus auch ist, so wenig überraschend erscheint es, wenn die mittlerweile vielfach aufgearbeitete Entwicklung des katholischen (Vereins)-Milieus einmal mehr referiert und als Summe – und dies bereits in den Zwischenresümees – die Gratwanderung des Borromäusvereins zwischen konservativer Beharrung und Moderne betont wird. Dieses „Dilemma des Vereins“ (S. 91) ist sicherlich nicht sein Spezifikum, sondern gilt cum grano salis für alle katholischen Verbände.

Dennoch hat die als roter Faden die Dissertation durchziehende ambivalente Einschätzung des Untersuchungsgegenstandes zugleich ihre positive Komponente hinsichtlich des bleibenden Gesamteindrucks. Steffi Hummel ist eine sachliche und differenzierte Überblicksdarstellung des Borromäusvereins gelungen, die sich mangels Quellen nicht in Einzelheiten verliert und stattdessen die großen Linien nachzeichnet. Dabei ist ihr die Fähigkeit eigen, stringent sowie für ein breites Lesepublikum verständlich zu formulieren und das Wesentliche präzise auf den Punkt zu bringen.