Contesting truths. Wahrheitskonkurrenzen vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Contesting truths. Wahrheitskonkurrenzen vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Veranstalter
Wolfram Drews / Marcel Bubert (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
Ausrichter
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Veranstaltungsort
Münster
PLZ
48143
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.11.2021 - 06.11.2021
Deadline
03.11.2021
Von
Marcel Bubert, Universität Münster, Historisches Seminar

Der Workshop untersucht Wahrheitskonkurrenzen und Evidenzstrategien im Kontext epistemischer und medialer Wandlungsprozesse vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

Contesting truths. Wahrheitskonkurrenzen vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Niemals zuvor scheint die Pluralität konkurrierender Wahrheitsansprüche so greifbar gewesen zu sein wie heute. Die traditionellen Hüterinnen der ‚Wahrheit‘, wie die klassischen Medien und die Wissenschaften, haben offenbar nicht nur an Glaubwürdigkeit eingebüßt, sondern zunehmend Konkurrenz durch andere Anbieter von Wahrheiten bekommen, die in eigenen Medien mit jeweils eigenen Evidenzkriterien unterwegs sind. Diese Vielfalt von ‚Wahrheitsangeboten‘, die in segmentierten Teilöffentlichkeiten vermarktet und objektiviert werden, scheint die Grundlagen einer allgemein akzeptierten Ordnung der Dinge und einer intersubjektiv geteilten ‚faktualen‘ Wirklichkeit zu unterlaufen. Manche Beobachterinnen des Geschehens haben unter diesem Eindruck von einem ‚postfaktischen‘ Zeitalter gesprochen.

Die Frage, wie historisch ‚neuartig‘ diese Entwicklungen sind, ist allerdings durchaus umstritten. Eine umfassende Historisierung der damit verbundenen Phänomene, die auch vormoderne Kontexte einbezieht, steht nach wie vor aus. Gab es vormals ein ‚faktisches‘ Zeitalter, in dem sich die gesellschaftliche Produktion von Wahrheit, bei allen partikularen Konflikten, auf einer breiten Basis unstrittiger Fakten, in einer kohärenten, von allen Mitgliedern der Gesellschaft geteilten Episteme vollzog? Oder lassen sich bereits in früheren Gesellschaften konjunkturartige Phasen von ‚Wahrheitskonkurrenzen‘ beobachten, die analoge Segmentierungen und Dynamiken widerstreitender Evidenzstrategien aufweisen konnten? In diesem Fall stellt sich die Frage, unter welchen Umständen solche Konjunkturen aufkamen, welche Formen sie annahmen und welche Effekte sie zeitigten. Inwieweit konnte die kulturelle Aushandlung von Wahrheitsansprüchen in früheren Epochen, unter jeweils spezifischen historischen und medialen Bedingungen, ‚marktförmig‘ strukturiert sein? Welche Strategien und Techniken der Evidenzherstellung und Glaubwürdigkeitserzeugung kamen in solchen Aushandlungen zum Einsatz? Wie veränderten sich diese Techniken im Kontext epistemischer und medialer Wandlungsprozesse? Auf welche Weise schließlich wurden diese Dynamiken von den Zeitgenossen beobachtet und reflexiv eingeholt? Konnten sich dabei analoge Wahrnehmungen einer ‚postfaktischen‘ Pluralität von Wahrheitsansprüchen und damit verbundene Verunsicherungen einstellen?

Der Workshop möchte diese Fragen mit Blick auf Wahrheitskonkurrenzen und Evidenzstrategien in unterschiedlichen historischen Kontexten vom Mittelalter bis zur Gegenwart diskutieren, wobei die Fallstudien durch theoretische Inputvorträge aus verschiedenen Disziplinen ergänzt werden. Die historische Langzeitperspektive des Workshops soll einen Beitrag zur Historisierung des (vermeintlich) postfaktischen Zeitalters leisten. Interessierte sind herzlich willkommen, sich bis zum 03. November 2021 anzumelden.

Programm

Freitag 05.11.2021

10:15-10:45 Begrüßung und Einführung: Wahrheitskonkurrenzen und Evidenzstrategien im Wandel von Öffentlichkeiten (Wolfram Drews/Marcel Bubert, Münster)

10:45-11:45 Halbwahrheiten. Zur Manipulation von Wirklichkeit (Nicola Gess, Basel)

Kaffeepause

12:15-13:00 Zahlen und Fakten: Spätmittelalterliche ‚Rechenhaftigkeit‘ als Modus der Evidenzerzeugung (Jan Keupp, Münster)

Mittagspause

14:00-14:45 Wie Malebouche der Prozess gemacht wird: eine rechtshistorische Betrachtung der Figur der Verleumdung im Roman de la Rose (Pia Claudia Doering, Münster)

14:45-15:30 Die Wahrheit des Verfahrens und die Wahrheit des Gerüchts: Verschwörungstheorien vor englischen Gerichten in der Frühen Neuzeit (André Krischer, Münster)

Kaffeepause

16:00-16:45 Parochiale Wahrheit. Ortsfamilienbücher als populäres Wissensformat seit dem 19. Jahrhundert (Elisabeth Timm (Münster)

16:45-17:30 Feste und Feiertage als umkämpfte Räume weißer Wahrheiten in den USA – Die Reconstruction als Umbruchphase (Jana Weiß, Münster)

Kaffeepause

18:00-19:00 Theorie der Fälschung (Martin Doll, Düsseldorf)

Samstag 06.11.2021

09:15-10:00 Theorien der Wahrheit - ein Leitfaden mit Warnhinweisen zu Fallgruben (Oliver Scholz, Münster)

10:00-10:45 Evidenzstrategien lateinischer Mahomat-Viten. Der islamische Prophet aus wechselnden christlichen Perspektiven (Wolfram Drews, Münster)

Kaffeepause

11:15-12:00 Mit eigenen Augen. Evidenzstrategien in Verschwörungsnarrativen des europäischen Mittelalters (Marcel Bubert, Münster)

12:00-12:45 Koloniale Vergangenheiten. Wahrheitskonkurrenzen im postkolonialen Frankreich – eine Bestandsaufnahme (Silke Mende, Münster)

Mittagspause

14:00-15:00 Was ist und wozu dient politische Epistemologie? (Frieder Vogelmann, Frankfurt a.M.)

15:00-15:30 Schlussdiskussion

Kontakt

Dr. Marcel Bubert
WWU Münster, Historisches Seminar
bubertm@uni-muenster.de