Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war “Loschen Aschkenas” (= Sprache Deutschlands) oder “Teitsch” (= Deutsch) als Bezeichnung für die herkömmliche Muttersprache‚ das ‘Mameloschn’, der aschkenasischen Jüdinnen und Juden üblich. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich die Bezeichnung ‘Yiddish’ durch.
Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob die jiddische Sprache als deutsche Sprache anzusehen sei, stets dahingehend beantwortet, dass Jiddisch nicht Deutsch sei und als Sprache der Ostjuden den Zugang nur zur jüdischen Kultur, nicht aber zur deutschen Kultur eröffnete. Ähnliches urteilten die deutschen Sozialgerichte.
Diese Rechtsauffassung hatte und hat weitreichende Folgen: Manche Opfer des Nationalsozialismus wurden von Leistungen des Bundesentschädigungsgesetz und jüdische Zuwanderer:innen aus der Sowjetunion vom Fremdrentengesetz ausgeschlossen. Den Gerichten war, wenn man die entsprechenden Urteilsbegründungen liest, offensichtlich nicht bewusst, dass das Jiddische neben z. B. Ladino, Tad etc. nur eine unter mehreren profanen jüdischen Alltagssprachen war.
Aber welche Beziehung haben das Deutsche und das Jiddische? Wie beurteilt die Sprachwissenschaft das Verhältnis von jüdischer Minderheiten- und Umgebungssprache in den verschiedenen Sprachräumen? Welche Sprachstruktur und welches Vokabular haben Jiddisch und Deutsch gemeinsam? Welche Gemeinsamkeiten gibt es mit Hebräisch und anderen Sprachen? Was folgt aus den Gemeinsamkeiten und den Unterschieden für die Definition des sprachwissenschaftlichen Verhältnisses?
Ziel dieser öffentlichen Fachtagung ist es, die vielfältigen Verbindungen zwischen dem Jiddischen und dem Deutschen zu erörtern. Dabei wird auch einen Blick auf das Jiddische als Gegenstand von Sprachpolitik in Deutschland, in der Sowjetunion oder Israel geworfen.
Es gilt, die gängigen Zuschreibungen und Fremdschreibungen in kritisch zu hinterfragen: Lässt sich Jiddisch tatsächlich aus dem deutschen Sprach- und Kulturkreis ausschließen, wie das die deutsche Rechtspraxis bisher getan hat? Müssen Begriffe wie 'Kultur', 'Sprache', 'Dialekt', 'Identität' nicht multidirektionaler und historisch dynamischer betrachtet und diskutieret werden?
Die Fachtagung ist öffentlich. Aufgrund der Pandemie kann es zu eingeschränkten Bedingungen für Besucher:innen kommen (Anzahlbeschränkung im Veranstaltungsraum, 3-G-Regeln u. ä.).
Interessierte melden sich bitte unter https://wie-deutsch-ist-jiddisch.de/anmeldung/ an.
Fachtagung im Rahmen des Festjahres "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" #2021jlid
Kooperationspartner der Veranstaltung:
Käte Hamburger Kolleg "Dynamiken der Religionsgeschichte" (CERES/Ruhr-Universität Bochum); Amadeu Antonio Stiftung; Centrum Judaicum Berlin