Tagungsthema:
Das 19. und 20. Jahrhundert ist die Zeit der Früh- und Hochindustrialisierung, deren Folgen heute noch nachwirken. Es kam zu enormen gesellschaftlichen Veränderungen und zu einer fortschreitenden Urbanisierung bzw. Bildung von Ballungsgebieten. Diese Entwicklungen gingen Hand in Hand mit der Herausbildung großer sozialer Gegensätze, was wiederum zu Protest-, Arbeiter:innen- und Frauen- oder auch Naturschutzbewegungen führte. Massenproduktion und Massenkonsum im globalen Maßstab bewirkten den Ausbau und die Verdichtung lokaler, regionaler und überregionaler Infrastruktur. Schnellere Verkehrsmittel und das aufkommende Fernmeldewesen ermöglichten eine raschere bzw. intensivere Kommunikation über größere Distanzen. Die Industrie, der Bauboom, die Ausbeutung von Rohstoffen verursachten aber auch massive Umweltschädigungen und führten zu tiefgreifenden Landschaftsveränderungen. All diese Prozesse haben die Lebensbedingungen in den beiden letzten Jahrhunderten bis in die Gegenwart gravierend beeinflusst und werden noch eine ferne Zukunft mitbestimmen. Sie manifestieren sich nicht zuletzt in materiellen Quellen, in archäologischen Kontexten, in der Landschaft.
Ebenso fällt in diese Zeit die Herausbildung von Nationalismus und Nationalstaaten. Imperialismus und Kolonialismus verfestigten globale Ungleichheiten. Industrialisierte Kriege ebenso wie lokale Konflikte und Proteste wurden ausgetragen. Millionen von Menschen kamen durch Gewalt und Verfolgung zu Tode.
In Österreich seit rund 20 Jahren, in anderen europäischen Ländern schon etwas länger, ist es zu einer beträchtlichen Zunahme von archäologischen Untersuchungen gekommen, die Befunde und Funde des 19. und 20. Jahrhunderts analysieren. Die archäologische Forschung öffnet sich für neue Fragestellungen. In Folge des „material turn“, nehmen Archäolog:innen zunehmend die beiden letzten Jahrhunderte in den Blick und erforschen die materielle Kultur und ihre Kontexte. Die Archäologie liefert nicht nur Informationen zur Baugenese oder chronologischen Aspekten der Materialität. Sie gewährt zudem Einsicht in erst in jüngerer Zeit untergangene Industrien, Handwerksbetriebe, aber auch in Gewaltkontexte, gesellschaftliche Ungleichheiten und betont die ökologischen Dimensionen dieser Entwicklungen.
Wesentlich für Analysen im Sinne einer Historischen Archäologie und damit einer holistischen Betrachtung ist der Einbezug aller zur Verfügung stehenden Überlieferungsstränge. Neben den materiellen Quellen sind dies verschiedenste schriftliche Dokumente, mündliche Überlieferung und (audio)visuelle Medien. So ist es möglich, die Stärken und Schwächen, das Aussagepotential und die Perspektivierungen der verschiedenen Quellen analytisch zu nutzen und ein vielschichtiges Bild der Vergangenheit zu entwerfen. Daran sollten sich auch die Beträge zu der internationalen Tagung orientieren.
Wir laden Sie ein, Ihre Forschungen zu vielfältigen Aspekten und Fragestellungen des 19. und 20. Jahrhunderts zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Folgende Schwerpunkte können im Blickpunkt stehen:
- Das Aufeinanderprallen von gesellschaftlichen Systemen und Ideologien
- Die Industrie und die industrialisierte Gesellschaft
- Urbanisierung, Verdichtung und Assanierung
- Restrukturierungen im ländlichen Raum
- Massenproduktion und Konsumption/Konsum
- Umweltveränderungen, Umweltzerstörungen und Nachwirkungen
- Konflikte (Krieg, Protest, Massengewalt und Verfolgung)
- Migration und Vertreibung
- Regionale, transregionale, überregionale Entwicklungen und Vernetzungen sowie soziale, wirtschaftliche und politische Prozesse im archäologischen Befund
- Bewusstmachungen, Erinnern und Aufklären
- Herausforderungen bei der wissenschaftlichen Erforschung und Analyse von Funden (Massenfunde) der letzten 200 Jahre
Unterschiedliche Kontexte, Landschaften, Orte, Ensembles und Objekte des Lebens und Wohnens, des Arbeitens und des Handels, staatlicher und kommunaler Einrichtungen, Orte des Todes, Orte von Konflikten, Orte der Infrastruktur, der Deponierungen, der Freizeit, der Religion und Kult können thematisiert werden.
Wir hoffen, dass Sie sich mit der einen oder anderen aktuellen Fragestellung aus Ihrem Forschungsfeld in diesen Themenkreisen wiederfinden. Wir freuen uns aber auch über Anregungen, die über die hier angeführten Themenfelder hinausgehen. Von besonderem Interesse sind Beiträge, die sich mit konkreten Fragestellungen und Lösungsvorschlägen aus aktuellen Forschungsvorhaben ergeben. Gerne können auch zusammenfassende, forschungsgeschichtliche oder methodische Darstellungen oder themenrelevante Einzelbeispiele eingereicht werden. Wir erhoffen, dass archäologische und andere Quellen im Sinne einer konsequenten Inter- und Transdisziplinarität ausgewertet und zueinander in Bezug gesetzt werden.
Die tagungsbegleitende Posterausstellung bietet die Möglichkeit auch laufende bzw. in Vorbereitung befindliche Projekte vorzustellen.
Abstracteinreichung
Bitte reichen Sie Abstracts mit Name(n) der Vortragenden und aussagekräftigem Titel und bis spätestens 31. Jänner 2022 per E-Mail an tagung.oegm@univie.ac.at ein. Das Abstract sollte maximal 1500 Zeichen inkl. Leerzeichen umfassen, möglichst unformatiert. Über die Auswahl der Präsentationen entscheidet das Tagungskomitee. Gerne können Sie auch einen Vorschlag für ein Poster einreichen (DIN A1 Format).
Tagungsgebühr: € 60,-
Ermäßigte Tagungsgebühr für Studierende, Vortragende und Posterpräsentierende: € 30,-
Eine Drucklegung der Tagungsbeiträge ist für den folgenden Band der Beihefte der BMÖ (erscheint 2023) vorgesehen.