Ob es sich um Vulkanausbrüche, das Artensterben, Industrieunfälle, Finanzkrisen oder um politisch-soziale Desaster handelt, ob sie plötzlich oder schleichend, vorhergesagt oder unerwartet eintreten, – Katastrophenereignisse bringen menschliche Handlungs- und Deutungsgewissheiten zum Einsturz; Katastrophenerwartungen stellen bestehende Ordnungen in Frage und konfrontieren die Gegenwart mit einer in radikalem Sinn ungewissen Zukunft. Das wissenschaftliche Wissen, wie es sich seit der frühen Neuzeit unter anderem in Universitäten, Gesellschaften und Akademien institutionalisiert hat, wird dadurch in seinen Deutungsansprüchen herausgefordert. Das betrifft auch Fragen der Darstell- und Imaginierbarkeit. Hier sind ästhetische Konzepte und künstlerische Verfahren gefordert, die im Angesicht der Katastrophe zugleich selbst an ihre Grenzen stoßen bzw. diese über das bislang Undenkbare hinaus erweitern. Die interdisziplinäre Tagung fragt danach, wie Katastrophen und Katastrophenerwartungen die Ordnungen des Wissens verändert haben und in der Gegenwart verändern, wie sie ästhetisch verarbeitet, literarisch erzählt und im Erzählen geschürt, perpetuiert oder bewältigt werden.
Etymologisch gesehen verbindet der Begriff ‹Katastrophe› die Idee des Fallens bzw. Stürzens (κατά, „nach unten“) mit jener des Umdrehens oder Umkehrens (στροφή). Er kann also mit Sprachbildern in Verbindung gebracht werden, die für die Darstellung wissenschaftlicher Brüche entscheidend sind, von Descartes’ „tabula rasa“ bis zu den zahlreichen „Turns“ und „Paradigmenwechseln“, die heute zur Bezeichnung neuer Wissensordnungen ausgerufen werden. Solche Disruptionen des Wissens können als längst fällige Ablösung überkommener Weltdeutungen gefeiert werden; sie können aber auch massive Widerstände oder zögerliche Skepsis provozieren. Sie können von außen angestoßen werden, wie 1755 durch das berühmte Erdbeben von Lissabon, das den Fortschrittsoptimismus der Aufklärung erschütterte; sie können aber auch auf innere Krisen epistemischer Ordnungen reagieren. In beiden Fällen gehen sie mit dramatischen Kränkungen kollektiver Weltdeutungen einher.
Vor diesem Hintergrund gilt das Interesse der Tagung insbesondere den affektiven Dimensionen von Katastrophen: den Momenten des Schocks, der Erschütterung oder des Schreckens, die der Plötzlichkeit des Ereignisses entsprechen, ebenso wie der tiefgreifenden Verunsicherung, dem Staunen, der Neugier und dem Zweifel, die sich mit der Dauer der wissenschaftlichen oder auch künstlerischen Bewältigung der Katastrophe verbinden.
Vorgesehen sind Beiträge zu den folgenden Themenfeldern:
- Katastrophen (und/oder die Bemühungen, sie zu vermeiden) als Herausforderung für die Wissenschaft
- Desorganisation des Wissens, Prognostikversagen und das Auftauchen von „falschen“ Experten/Rettern
- Pathos und Aisthesis: Schock, Schrecken, Staunen, Bewunderung und verwandte Affekte im Angesicht der Katastrophe
- Katastrophenimaginationen und der Topos des Unvorstellbaren
- Katastrophen erzählen
- Katastrophenrhetorik und „Panikmache“
Organisation
Die interdisziplinäre Tagung wird organisiert vom SNF Sinergia-Projekt „The Power of Wonder“, das von Mireille Schnyder (Universität Zürich), Nicola Gess (Universität Basel), Ulrich Bröckling (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) und Hugues Marchal (Universität Basel) geleitet wird.
Vortragsproposals können auf Deutsch oder Englisch eingegeben werden.
Die Vorträge sollen nicht länger als 30 Minuten sein und können sowohl auf Deutsch als auch Englisch gehalten werden.
COVID-19
Die Konferenz soll in Präsenz und unter Einhaltung der zu dem Zeitpunkt geltenden Covid-19-Massnahmen an der Universität Zürich stattfinden. Sollte dies nicht möglich sein, ist geplant, die Tagung in einem digitalen Format durchzuführen. Da es sich um die Abschlusstagung des Projektes handelt und der Termin daher nicht verschoben werden kann, wird die Tagung unabhängig vom Modus (präsentisch oder digital) an den oben genannten Tagen stattfinden.
Eingabe
Die Eingabefrist endet am 31. März 2022. Benachrichtigungen über die Annahme des Proposals erfolgen bis Mitte Mai 2022. Bitte senden Sie Ihren Proposal (maximal eine A4-Seite) sowie einen CV und ggf. eine Publikationsliste in einem PDF-Dokument per E-Mail an daniela.hahn@uzh.ch.
Unterbringung / Reisekosten
Bei Annahme Ihres Proposals und Einladung als Referent:in an die Konferenz erstatten wir Ihre Reisekosten (2. bzw. Economy-Klasse). Die zwei Hotelübernachtungen in Zürich organisieren wir für Sie.