Erste Veranstaltung in der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen" im Sommersemester 2022.
Mit den sozial-, geschlechter-, kultur- und globalgeschichtlichen Erweiterungen der Geschichtswissenschaft vor allem seit den 1970er-Jahren sind ihre Themen vielfältiger, die theoretischen Ansätze und Methoden pluraler und Forschungsdesigns multiperspektivischer geworden. Dementsprechend hat die Komplexität des Fachs zugenommen, das heute in seiner Vielgestaltigkeit gerade auch über die Epochengrenzen hinweg kaum noch zu überblicken ist. Angesichts dieser Pluralisierung scheinen die Konturen der Geschichtswissenschaft zu verschwimmen, was von den einen als „anything goes“ beklagt und von anderen als notwendige Diversitätssteigerung begrüßt wird. Unserer Ansicht nach stellen sich aber auch angesichts der Vervielfältigung von Perspektiven, Zugängen und Quellenkorpora auf einer ganz basalen Ebene des historischen Arbeitens noch immer gleiche oder zumindest ähnliche Grundfragen: Was ist eine gute historische Frage? Gibt eine Einheit der Geschichte oder nur partiale Geschichten? Wie politisch kann, darf und muss Geschichte sein? Ist historische Erkenntnis objektiv? Wie sollen die räumlichen und zeitlichen Bezüge unserer Forschungen gestaltet sein?
Zwar haben sich auch die historiographischen Theoriediskussionen seit den 1970er-Jahren ausdifferenziert und mit Anleihen aus den systematischen Nachbarwissenschaften zu diesen Fragen Stellung genommen, geklärt sind sie aber bei weitem nicht. Weil sie sich vielmehr in der alltäglichen historiographischen Praxis immer wieder aufs Neue stellen, möchten wir, Historiker_innen der HU und der FU Berlin sowie des ZZF Potsdam, sie mit interessierten Kolleg_innen in loser Folge systematisch diskutieren und dabei vor allem den Brückenschlag zwischen abstrakter Theoriereflexion und konkreter historiographischer Arbeitspraxis suchen.