Die Zeit um 1800 ist in der Geschichtswissenschaft in unterschiedlichen Perspektiven als Umbruchsphase oder als Epochenwandel beschrieben worden. Vor dem Hintergrund der politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen vollzogen sich auch tiefgreifende Veränderungen der Universitätsstrukturen in Europa. Zahlreiche der 1789 existierenden 143 Universitäten wurden geschlossen, verlegt oder mit anderen Universitätsstandorten vereinigt. Allein von den deutschen Universitäten wurden 19 von 35 Universitäten aufgelöst.
Zu den tiefgreifendsten Veränderungen kam es in Frankreich und den deutschen Ländern, wo sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zwei gegensätzliche Universitätsmodelle herausentwickelten. Demgegenüber hielt man im Vereinigten Königreich lange an Traditionen fest, und auch in Italien, Spanien sowie den kleineren Staaten in Nordwesteuropa und Skandinavien kam es zwar zu Veränderungen in der Universitätslandschaft, aber seltener zur Aufhebung bestehender Institutionen. In Mittel- und Osteuropa, ausgenommen Österreich und Russland, bestanden zwar sehr traditionsreiche Universitäten wie Prag oder Dorpat/Tartu, die Zahl und Dichte an Universitäten war jedoch insgesamt deutlich geringer.
Das „Massensterben“ deutscher Universitäten vollzog sich daher in einem europäischen Kontext mit sehr differenten Ausgangssituationen und Entwicklungen der verschiedenen Bildungssysteme. In der Forschungsliteratur zum Universitätssterben in den deutschen Staaten werden vor allem fünf wesentliche Gründe angeführt: mangelnde Leistungsfähigkeit der Universitäten; Verweigerung von modernisierenden Innovationen durch die Universitäten; Angebotsübersättigung mit der Folge einer Frequenzkrise; eingeschränkte Finanzierungsmöglichkeiten der Landesfürsten, schließlich die Kriegs- und Krisensituation Anfang des 19. Jahrhunderts.
Allerdings bestanden im Verlaufe des Vierteljahrhunderts sehr unterschiedliche Umfeldsituationen. Die territorialen Bedingungen, unter denen die Universitäten existierten bzw. aufgehoben wurden, waren uneinheitlich. Zwar wurden vornehmlich kleinere Universitäten geschlossen, doch andere mit sehr niedrigen Immatrikulationszahlen überlebten gleichwohl (etwa Rostock und Greifswald). Zeitweilig gefährdet waren aber auch an sich prosperierende Universitäten wie Göttingen oder Halle. Zudem verfügten die aufgehobenen Universitäten über differenzierte interne Potenzen.
Die Tagung verfolgt zwei Ziele: (1) Geprüft werden soll, inwiefern die Annahme überwiegend einheitlicher Ursachen für das Universitätssterben in den deutschen Ländern haltbar ist. (2) Das Universitätssterben um 1800 soll in eine europäische Vergleichsperspektive gerückt werden.
Beiträge zu folgenden Themenfeldern sind möglich:
– konkrete Fallbeispiele aufgehobener deutscher Universitäten
– Universitäten, die letztlich nicht aufgelöst wurden, aber von der Schließung bedroht waren oder sich vor dem Hintergrund der politisch-gesellschaftlichen Gegebenheiten reformieren mussten
– allgemeine politische und gesellschaftliche Umbrüchen um 1800, die im Zusammenhang mit den Veränderungen der deutschen und europäischen Universitätslandschaft stehen
– Veränderungen des Wissenschafts- und Bildungssystems als Kontextbedingungen der Universitätsschließungen oder ihrer Folgen
– universitäre Strukturen oder Einzelschicksalen von Hochschulen in anderen europäischen Ländern um 1800
– ländervergleichende Perspektiven
Beitragsvorschläge werden mit einem Kurzexposé von max. einer Seite bis zum 31. Juli 2022 erbeten an daniel.watermann@hof.uni-halle.de
Es ist geplant, die Ergebnisse der Tagung in einem Sammelband zu publizieren.