Der Zusammenhang von Religion und Wirtschaft wurde lange Zeit mithilfe kulturalistisch geprägter Großnarrative erklärt. Die berühmte Theorie Max Webers, die einen Konnex zwischen der calvinistischen Ethik und dem Geist des Kapitalismus sah, hat das Mittelalter als kapitalismusunfähig, da zu katholisch, abgetan. Zudem förderte Webers Theorie Erklärungsansätze für eine vermeintliche ökonomische Divergenz zwischen dem ‚Westen‘ und dem Rest der Welt: Da nicht-westliche Kulturen, so Weber, Religionen pflegten, die dem Geist des Kapitalismus zuwiderliefen, hätten sich dort keine kapitalistischen Strukturen entwickeln können. Nicht nur der Ansatz Max Webers, sondern auch der mit Klischees behaftete und höchst umstrittene Versuch Werner Sombarts, einen kapitalistischen Geist im Judentum zu identifizieren, weisen auf Grenzen solcher Großnarrative hin. Gleichwohl bleiben die wechselseitigen Beziehungen zwischen Religion und Wirtschaft ein heiß diskutiertes Thema in der Mediävistik, wobei insbesondere die Schriften Giacomo Todeschinis aktuelle Forschungen zur Wirtschaftsethik im theologischen und moralischen Diskurs beflügelt haben. Insbesondere im Zuge der kommerziellen Revolution seit dem 11. Jahrhundert entstanden neue wirtschaftliche Praktiken und Instrumente (z.B. Kreditinstrumente und Vertragsformen), die zu einer Infragestellung herkömmlicher wirtschaftsethischer Grundlagen (wie etwa der Definition von Wucher) und letztlich zur Transformation moralischer und (kirchen)rechtlicher Grundlagen führten.
Auf der Tagung soll das Verhältnis zwischen Religion und Wirtschaft in globalhistorischer Perspektive diskutiert werden. Neben Vorträgen zum christlichen Mittelalter sind Beiträge etwa aus jüdischen oder islamischen Kontexten willkommen, ebenso vergleichende Untersuchungen oder Fallbeispiele zu wirtschaftlichen Kontakten im interreligiösen Bereich. Der zeitliche Schwerpunkt sollte ca. zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert liegen. Der inhaltliche Schwerpunkt soll auf folgenden drei Forschungsfeldern liegen, die auch miteinander kombiniert werden können:
1. Die Rolle religiöser Normen: Inwieweit wurden wirtschaftliche Prozesse und Praktiken etwa im Handel, Handwerk, Verkehr, dem Steuerwesen usw. von religiösen Normen bestimmt? Ist diesbezüglich eine Kluft zwischen Theorie und Praxis zu beobachten, und falls ja, welche wirtschaftlichen Ursachen lassen sich hierfür ausmachen? Förderten religiöse Normen oder Praktiken besondere Märkte, z.B. im Bereich des Pilgerwesens?
2. Wechselwirkungen zwischen religiösem Diskurs und wirtschaftlichen Praktiken: Wie reagierten religiöse Diskurse auf neue Wirtschaftspraktiken? Inwiefern kann eine Änderung im wirtschaftsbezogenen oder wirtschaftswertenden religiösen Diskurs als Indiz für Änderungen in den Wirtschaftspraktiken angesehen werden?
3. Die Rolle der Wirtschaft in interreligiösen Interaktionen: Welchen Einfluss hatte die Religion auf wirtschaftliche Austauschprozesse in einem multireligiösen Kontext, etwa zwischen Christen und Muslimen oder Juden? Lassen sich Produktionszweige ausmachen, an denen Angehörige unterschiedlicher Religionen beteiligt waren? Falls ja, warum gab es solche Fälle und wie lief die Arbeitsteilung ab? Gab es gemeinsame oder getrennte Märkte? usw.
Die Konferenz ist als Präsenzveranstaltung in Münster geplant. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Referent*innen erhalten einen Zuschuss zur Deckung von Reise- und Unterkunftskosten.
Interessenten werden gebeten, bis zum 15. Dezember 2022 ein Abstract des geplanten Vortrags (ca. 300 Wörter) und einen kurzen Lebenslauf an Colin Arnaud (arnaud@uni-muenster.de) und Christian Scholl (christian.scholl@uni-muenster.de) zu senden.