Männlichkeit(en) werden erlernt, erlebt, erfahren, erlitten und performativ hergestellt. Die 14. Tagung des Arbeitskreises AIM GENDER wendet sich vorrangig alltäglichen Praktiken zu und ist insbesondere interessiert an den Arten und Weisen, wie Männlichkeit(en) gelebt werden.
Mannsein zu leben war nie ein einfaches Unterfangen, sondern gekennzeichnet von einer je historisch und soziokulturell spezifischen Verwobenheit von Privilegien, Abwertungen, Überlegenheiten und Unterdrückungen. Dabei geht es – oft nur unterschwellig oder unbewusst – auch um den Aufbau von Identitäten in Vergleich und Konkurrenz mit oder in Abgrenzung von anderen Männern, gegen Frauen, trans Personen, nicht-binäre Personen, inter Personen und andere Geschlechter.
Männlichkeit(en) werden immer auch konstruiert – vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Vorstellungen, Normen und Kriterien – und performativ hergestellt, etwa in Texten, Bildern, Liedern oder Körpern.
Für die Stabilisierung, aber auch für die Veränderung von Männlichkeit spielen Sozialisation und Subjektivierung im Lebenslauf eine zentrale Rolle. Der Erwerb von Risikokompetenz oder die Einübung von Kooperations- und Durchsetzungsfähigkeit werden nicht nur in Bildungsinstitutionen erlernt, sondern haben ihren Ort auch in privaten Beziehungen, im Spiel oder Wettkampf. Erlernt und im Lebenslauf immer wieder neu bestimmt wird das Verhältnis zum eigenen Körper – etwa in Sexualität, Arbeit, Sport und Körperpflege.
Ein spezifischer Umgang mit Schmerz und Krankheit sowie deren Verdrängung gehören ebenfalls zur erlernten Männlichkeit. Gewalt gegen sich selbst und andere kann dabei von einer alltäglichen Verhaltensweise zum Habitus gerinnen. Soldatische, durch koloniale Verhältnisse und innerfamiliale Gewalt hervorgebrachte Männlichkeiten zeugen davon.
Erlernt wird auch, vor allem in Familie und Schule, das Praktizieren von Religion und religiöse Zugehörigkeit. Daraus kann ein dauerhaftes Verhältnis zu Spiritualität entstehen. Beides kann auch genderspezifisch ausgeprägt sein. Die enge Verwobenheit von Männlichkeit, Spiritualität und Macht im Alltag von christlichen Kirchen drängt sich in diesem Zusammenhang vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Gewalt gegen Heranwachsende ebenfalls auf.
Mannsein, männliches Begehren, männliche Liebe und männliche Sexualität mögen früh und leicht gelingen oder lebenslang eine Herausforderung bleiben. Beim Erlernen sowie beim Überschreiten von (heteronormativer) Männlichkeit können überall Ängste entstehen. Ob Abwehr, aktive Annahme oder Flucht: der Umgang mit ihnen ist unumgänglich, und die Art des Umgangs ist ebenfalls ein konstitutiver Aspekt von Männlichkeit.
Die Art und Weise, wie Männlichkeit gelebt wird, verändert sich im Lebensverlauf. Formen von Partnerschaften, Freundschaften, aber auch solitäre und ungebundene Lebensweisen bestimmen große Bereiche des Alltags von Männern, und sie werden sehr unterschiedlich erlebt. Vaterschaft und Vatersein – auch in nicht-traditionellen Beziehungsarrangements – kann engagierter oder distanzierter angenommen und erlebt werden. Im Kontext der Norm leistungsorientierter Männlichkeit erweist sich der Umgang mit dem Altern als Herausforderung. Das gilt auch für den Übergang in Ruhestand oder Erwerbslosigkeit wegen der besonders starken Berufsorientierung von Männern. Lebensverläufe und Biographien können auch durch eruptive und aufgezwungene Ereignisse radikal verändert werden. Flucht vor kriegerischen Konflikten und Verfolgung lassen sich dazu zählen. Aber auch die Zerstörung der Existenzgrundlage durch Fluten, Feuer oder Missernten erschüttern männliche Biographien in besonderer Weise.
Diese Themen sind als Anregung für Beiträge zu allen Epochen, allen Bereichen des Sozialen, allen ästhetisch-medialen Präsentations- und Ausdrucksformen gedacht.
Wir laden ein, Abstracts (höchstens eine Seite, max. 1800 Zeichen, bitte nur als PDF (!)) für einen Vortrag bis zum 1. Februar 2023 an martin.dinges(at)outlook.de zu schicken. Das Abstract muss Name, Fachrichtung, Position und E-Mail-Adresse des oder der Vorschlagenden und einen Vortragstitel enthalten. Die Problemstellung und die benutzten Materialien sollten klar herausgearbeitet werden. Aus diesen Abstracts wird das Programm zusammengestellt. Spätestens am 20. Februar werden Sie informiert, ob Ihr Vorschlag für das Programm angenommen worden ist.
Tagungssprache ist Deutsch. Abstracts und Vorträge können aber auch in englischer Sprache vorgelegt bzw. gehalten werden.
Eine Finanzierung kann nicht übernommen werden.
Allen an der Teilnahme Interessierten empfehlen wir, sich direkt bei der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Fachbereich Geschichte, Im Schellenkönig 61, D-70184 Stuttgart (Tel: +49 711 1640 752) anzumelden. Diese Anmeldung ist unabhängig von der Präsentation oder Annahme eines Diskussionspapiers.
Anmeldungen und Rückfragen bitte an Simone Storck, E-Mail-Adresse: storck@akademie-rs.de
Die Einladenden
Martin Dinges (Historiker), Stuttgart
Britta Hoffarth (Erziehungswissenschaftlerin), ZfG Uni Hildesheim
Johannes Kuber (Historiker), Fachbereich Geschichte der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Diana Lengersdorf (Soziologin), Universität Bielefeld
Toni Tholen (Literaturwissenschaftler), Universität Hildesheim
Ziel des Arbeitskreises AIM GENDER ist die fächerübergreifende gegenseitige Wahrnehmung und Kooperation von Forschenden aus Geschichts-, Literatur-, Kultur- und Politikwissenschaften sowie der Soziologie, die zum Thema Männlichkeiten und deren Auswirkungen auf Kultur und Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart arbeiten. Beiträge aus anderen Fachrichtungen sind willkommen. Informationen über den Arbeitskreis und vergangene Tagungen stehen auf den Webseiten von AIM GENDER: https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/soziologie/fakultaet/personen/lengersdorf/forschung/aim_gender/index.xml.
Das ZfG ist das Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Hildesheim und hebt auf transdisziplinäre Vernetzung im breiten Feld der Geschlechterforschung ab: https://www.uni-hildesheim.de/zfg/.