Ein transnationales Leben. Bausteine zur Biographie von Johann Konrad Dippel (1673-1734)

Ein transnationales Leben. Bausteine zur Biographie von Johann Konrad Dippel (1673-1734)

Organizer
Martin Mulsow (Erfurt/Gotha), Vera Faßhauer (Erfurt/Gotha)
Venue
Schloßberg 2 (Sitzungssaal)
ZIP
99867
Location
Gotha
Country
Germany
Takes place
In Attendance
From - Until
26.01.2023 - 27.01.2023
By
Vera Faßhauer, Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt

Am 26. und 27. Januar 2023 findet am Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt eine internationale Tagung zum transnationalen Leben und Wirken des radikalpietistischen Theologen, Philosophen, Mediziners und Alchemisten Johann Konrad Dippel (1673-1734) statt.

Ein transnationales Leben. Bausteine zur Biographie von Johann Konrad Dippel (1673-1734)

Ideengeschichtliche Biographik ist immer noch viel zu sehr in dem verfangen, was der Soziologe Anthony D. Smith „methodologischen Nationalismus“ genannt hat: den Nationalstaat als einzige Analyseeinheit oder als Container für soziale (und ideengeschichtliche) Prozesse anzusehen. Das hat die Forschung blind gemacht für Entwicklungen und Personen, die über die staatlichen Grenzen hinausgehen und hinausgegangen sind. Gerade im Bereich des radikalen Denkens sind die Akteure immer wieder zu Flucht und Migration bewegt worden und haben gezwungenermaßen ein transnationales Leben geführt. Wie kann man dem heute biographisch und forschungspraktisch entsprechen? Der Radikalpietist Johann Konrad Dippel ist ein exemplarischer Fall für diese Problematik. Er stammt aus Hessen-Darmstadt, hat in Gießen und der französisch-deutschen Stadt Straßburg Theologie studiert, wo er sich der lutherischen Orthodoxie entfremdete. Er lebte 1704 bis 1707 als Alchemist und erfolgreicher Erfinder des „Berliner Blaus“ in Berlin, musste von dort aber wegen einer antiorthodoxen Streitschrift über Jena und Frankfurt in die Niederlande fliehen. Dort blieb er bis 1714, promovierte in Leiden und war in Maarssen als Arzt und Chemiker tätig. 1714 bis 1717 lebte Dippel dann im dänischen Altona, einem Freihafen für Freidenker und Separatisten. Doch auch hier machte er sich wegen seiner furchtlosen Freimütigkeit unbeliebt, so dass er ohne Gerichtsprozess inhaftiert und auf die Insel Bornholm abgeschoben wurde. Erst 1726 wurde er aus der Haft entlassen und ging für zwei Jahre nach Schweden, wo er massiven Einfluss auf die Entwicklung (und Spaltung) der schwedischen Kirche nahm. Er wurde des Landes verwiesen und siedelte nach Dänemark über, wandte sich aber schon bald nach Lauenburg, Lüneburg, Celle, Hannover, Liebenburg bei Goslar und schließlich Berleburg, wo ihn der pietistische Graf Casimir in sein Territorium aufnahm. 1734 wechselte Dippel nach Laasphe im benachbarten Territorium, wo er in diesem Jahr auch starb.

Entsprechend dem „methodologischen Nationalismus“ gibt es zwar deutsche Einzelforschungen über deutsche Radikalpietisten, schwedische über Dippel und den Pietismus in Schweden, dänische über die dänischen Verhältnisse, niederländische über den Separatismus und die Alchemie in Holland – aber diese Forschungen sind nie koordiniert und zusammengeführt worden. Sowohl Pietismus als auch Freigeisterei als auch Alchemie sind transnationale Phänomene und transzendieren die nationalsprachlichen Studien. Zudem ist die Wirkung in diesen Bereichen oft subkutan und Dippels Präsenz kaum an den offiziellen Zitationen ablesbar, die seine Erwähnung eher vermeiden. Heranzuziehen ist daher – erstmals – das reichlich in den diversen nationalen und lokalen Archiven vorhandene Archivmaterial und eine Betrachtung der Unterstützernetzwerke. Die Tagung wird diesen Umstand reflektieren und exemplarisch danach fragen, wie die nationalsprachlichen Einzelforschungen kooperativ zusammengeführt werden können und wie daraus so etwas wie eine transnationale Biographik entstehen kann. Was ist der Mehrwert an Erkenntnissen, wenn das Einwirken niederländischer Unterstützer auf die Freilassung in Dänemark, die Bedeutung deutscher spiritualistischer Ideen auf die Kirchenspaltung in Schweden, die Wirkung Berliner alchemischer Aktivitäten und Dippels psychodynamischer Medizin auf die Niederlande und die Rückwirkung niederländischer Medizin und Chemie auf Deutschland und Dänemark in den Blick genommen werden? Generelle These der Tagung ist, dass die außerordentliche Bedeutung Dippels für die Geistes- und Religionsgeschichte des 18. Jahrhundert erst in der transnationalen Zusammenschau deutlich wird.

Programm

Donnerstag, 26.1.2023

FAMILIENHINTERGRUND
13.00 Kilian Heck (Greifswald): Die Familie Johann Konrad Dippels

BERLIN
14.00 Alexander Kraft (Berlin): Dippel als Naturwissenschaftler in Berlin

15.00 Jan Rohls (München): Dippels "Weg-Weiser zum verlornen Licht
und Recht"

HOLLAND
16.30 Fred van Lieburg (Amsterdam): Dippels Netzwerke in den Niederlanden

DÄNEMARK

17.30 Frederik Stjernfelt (Kopenhagen): Dippel‘s “Ein Hirt, und eine Heerde” and his Arrest in Altona

Freitag, 27.1.2023

8.30 Juliane Engelhardt (Kopenhagen): Dippel‘s Impact on Radical Pietism in Denmark

9.30 Kilian Heck (Greifswald): Dippels antiquarische Aktivitäten auf Bornholm

SCHWEDEN
10.30 Johannes Ljungberg (Lund/Kopenhagen): Dippel in Sweden and the Fate of the ‚Dippelians‘

BERLEBURG
12.00 Vera Faßhauer (Erfurt/Gotha): Dippel und Johann Samuel Carl. Ein handschriftlicher Traktat Dippels aus dem Nachlass J. Chr. Senckenbergs

13.00 Martin Mulsow (Erfurt/Gotha): Der Kampf um Dippels Vermächtnis 1734-1736

Diskutanten:
Dr. Dietrich Klein (Prien)
Dr. Kristine Hannak (Engen)

Contact (announcement)

forschungszentrum.gotha@uni-erfurt.de

https://www.uni-erfurt.de/forschungszentrum-gotha
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German
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