Gemeinsam wollen wir das Potenzial analytischer Zugänge zu Zeichnungen, Skulpturen, Alben, Gemälden und anderen visuellen Artefakten untersuchen, die unter extremen Bedingungen in NS-Lagern, Ghettos und Verstecken sowie in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden sind.
Es ist das große Verdienst einiger weniger beharrlicher Überlebender, Archivar:innen und Historiker:innen, dass die verstreuten Artefakte gesammelt, die Umstände ihrer Entstehung erforscht und die Biografien der Urheber:innen festgehalten wurden. Jedoch wurden insbesondere die Bilder, die die nationalsozialistischen Verbrechen mit meist figurativen Mitteln darstellen, im Schatten der Debatte um die Undarstellbarkeit des Holocausts weitgehend vernachlässigt. Lange Zeit blieb das Forschungsfeld relativ klein und überschaubar. Wissenschaftler:innen fassten diese künstlerischen Artefakte als eine Form des geistigen und politischen Widerstands auf, zogen die Bilder als Illustrationen dafür heran, „wie es war“, interpretierten sie als Ausdruck des erlittenen Traumas und hoben ihre künstlerische Qualität hervor. In jüngerer Zeit wächst das Forschungsfeld rasant an und die methodischen Ansätze und Fragestellungen sind vielfältiger geworden.
Die Tagung an der Universität Jena verfolgt zwei Ziele: Zum einen werden wir die aktuellen Ansätze zu diesen vielschichtigen Objekten zusammenführen und differenzieren. Zum anderen soll untersucht werden, wie die NS-Verbrechen und der Holocaust vor und unmittelbar nach der Befreiung dargestellt wurden. Trotz ihrer überwiegend realistischen Bildsprache sprechen diese Bilder nicht für sich selbst; sie benötigen eine Analyse hinsichtlich ihrer Motivwahl, künstlerischen Mitteln, Komposition und Formensprache. Daher wird besondere Aufmerksamkeit auf jene Perspektiven gelegt, die die Bilder als Bilder ernst nehmen.
Eingeladen sind Wissenschaftler:innen aller Karrierestufen, von Doktorand:innen bis zu Professor:innen, die in Bereichen wie Kunst- und Kulturgeschichte, Visual History, Anthropologie, Kultur- oder Bildwissenschaft forschen, sowie Archivar:innen und Kurator:innen, die sich mit dem Thema befassen. Erwünscht sind Beiträge, die sich mit den folgenden Themenbereichen auseinandersetzten:
I. Fragen in Hinblick auf die Bilder, beispielsweise:
- Wie manifestieren sich in den Bildern die Umstände ihrer Herstellung und die beabsichtigten Funktionen?
- Wie erzeugen (bewusste oder unbewusste) ikonographische, thematische, symbolische oder stilistische Verweise auf Bildtraditionen Bedeutung in den Abbildungen der NS-Verbrechen?
- Wie haben sich visuelle Darstellungen der NS-Lager und des Holocausts in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter den unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen verändert?
- Auf welche spezifische Weise werden Juden, Sinti und Roma, Frauen, Kinder oder alte Menschen dargestellt?
- Welche Rolle spielen das Geschlecht, die politische Einstellung, der religiöse und kulturelle Hintergrund des:r Künstlers:Künstlerin?
II. Methodische Fragen oder solche Fragen, die das Korpus definieren und differenzieren, beispielsweise:
- Müssen wir Kunstwerke, die von Kindern oder outsider artists geschaffen wurden, anders behandeln als die Werke von Künstler:innen, die eine formale Kunstausbildung erhalten haben?
- Sollte der Ort der Produktion (Konzentrationslager, Ghetto, Versteck oder DP-Lager) unseren analytischen Ansatz beeinflussen? Wie unterscheidet sich die Lagerkunst konzeptionell von Holocaust-Kunst?
- Ist es überhaupt sinnvoll, die in Lagern entstandenen Bilder mit anderen Methoden zu analysieren als andere Artefakte des Holocausts?
III. Fragen zum historischen Verständnis und zur Bildungsarbeit, beispielsweise:
- Was ist das erkenntnistheoretische Potenzial dieser Objekte? Warum sollten sie bewahrt oder ausgestellt werden?
- Wie können wir dieses Potenzial produktiv nutzen? Wie können diese Werke präsentiert oder in der Bildung eingesetzt werden?
- Welche kuratorischen, archivarischen oder pädagogischen Herausforderungen sind mit diesen Objekten verbunden?
Im Rahmen der Konferenz ist ein gemeinsamer Besuch der Kunstausstellung der Gedenkstätte Buchenwald vorgesehen. Die Gedenkstätte präsentiert seit 1990 die einzige Kunstdauerausstellung am Ort eines ehemaligen Konzentrationslagers in Deutschland und besitzt Deutschlands größte Kunstsammlung einer Gedenkstätte.
Die Tagung wird vom Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Universität Jena in Kooperation mit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora veranstaltet. Sie ist Teil des Forschungsprojekts „Jenseits der Undarstellbarkeit. Bildkünstlerische Artefakte von KZ-Häftlingen als visuelle Deutung der Lagerwirklichkeit“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird.
Die DFG erstattet die Kosten für Flug- oder Bahntickets in der Economy-Class für die An- und Abreise nach Jena bis zu einem Höchstbetrag. Auch die Hotelunterbringung während der Konferenz wird übernommen. Die Teilnehmer:innen sind verpflichtet, während der gesamten Dauer der Konferenz anwesend zu sein.
Die ausgewählten Beiträge werden in einem Sammelband veröffentlicht. Die 20-minütigen Vorträge und die Diskussionen werden in englischer Sprache gehalten.
Bewerber:innen senden bitte bis zum 10. April 2023 ein Abstract (300 Wörter) und eine Kurzbiographie von höchstens 150 Wörtern an ella.falldorf@uni-jena.de. Bei Fragen wenden Sie sich gerne an Ella Falldorf.