Offensiv bekennt sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock seit Beginn ihrer Amtszeit zu einer „feministischen Außenpolitik“, die für sie auch Waffenlieferungen an die Ukraine rechtfertigen kann. Demgegenüber positioniert sich Alice Schwarzer, eine der prominentesten deutschen Feministinnen in einem offenen Brief in der Frauenzeitschrift Emma im April 2022 ebenso wie in einem Manifest für den Frieden zu Anfang dieses Jahres mit dem Credo, dass eine Einmischung in den Krieg von dritter Seite nur in Form von Verhandlungsforderungen erfolgen dürfe. So konträr diese Positionen auch erscheinen, liegt doch beiden die Überzeugung zugrunde, dass Feminismus eine spezifische Perspektive auf die außenpolitischen Konflikte hervorbringe, eine wichtige Rolle bei der Konfliktlösung spielen und zu einer nachhaltigen Stabilisierung der Friedensordnung beitragen könne.
Wenn Politiker:innen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen westlichen Ländern, „feministische Außenpolitik“ zum Programm erklären, schwingt dabei in der Regel die Vorstellung mit, eine historische Wende werde vollzogen. Der Gedanke, dass es geschlechterspezifische Wege der Konfliktlösung und Versöhnung gebe, hat jedoch eine lange Tradition. Schon in den Anfängen der Frauenbewegung führten deren Aktivistinnen ihn als Argument ins Feld, um die Forderung zu untermauern, dass Frauen politisch eine Stimme erhalten sollten. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bemühten sich Feministinnen dann in der internationale Frauenfriedensbewegung gezielt aus einer geschlechterspezifischen Position heraus auf die internationalen Beziehungen Einfluss zu nehmen. Sie waren überzeugt, dass sie damit einen wichtigen Beitrag zu einem nachhaltigen Frieden liefern könnten. Eine wichtige Rolle spielte dabei die biologistische Argumentation, dass Frauen dazu bestimmt seien, Leben zu geben, und daher dem Krieg, der Leben vernichte, entgegenwirken müssten. Auch im sozialen Bereich definierten Frauen ihre besondere geschlechtsspezifische Aufgabe oft darin, eine ausgleichende, versöhnende Funktion zu erfüllen, und begründeten dies ebenfalls mit dem Verweis auf die „Mütterlichkeit“.
Allerdings war die Beschwörung der Mütterlichkeit in diesem Kontext ambivalent, denn sie konnte als wichtiger Baustein der bürgerlichen Geschlechterideologie ebenso dazu dienen, die traditionellen Geschlechterhierarchien zu rechtfertigen. Emanzipationsgegner:innen argumentierten beispielsweise, das politische Engagement von Frauen führe dazu, dass diese ihre Rolle als „Versöhnerinnen“ aufgäben. Darin erblickten sie eine schwerwiegende Gefahr für den sozialen Frieden. Und als geradezu skandalös erschien es vielen Zeitgenoss:innen, wenn Frauen sich ganz bewusst entschieden, anstatt sich für Versöhnung einzusetzen, sogar gewaltsam in Konflikten eingriffen.
Die Tagung möchte die Bedeutung der Kategorie „Geschlecht“ in Konfliktlösungs- und Versöhnungsprozessen des 19. bis 21. Jahrhunderts aus historischer Perspektive beleuchten. Sie will sich dabei nicht allein auf die historiographisch bereits relativ gut ausgeleuchtete Frauenfriedensbewegung konzentrieren, sondern Forschungen zusammenbringen, die nach Geschlechterzuschreibungen bei verschiedenen Formen von Versöhnungsbemühungen in unterschiedlichen Konfliktkonstellationen fragt – sei es in der Ehe, im Nachbarschaftsstreit, im Klassenkonflikt oder im Krieg.
Ein besonderes Augenmerk soll dabei auch der Frage gelten, die die Bedeutung von Geschlecht in Konfliktlösungsprozessen aus globalhistorischer Perspektive betrachten. Denn die hier beschriebene Geschlechterideologie war ein europäisches Produkt, ebenso wie auch Konfliktlösungsstrategien in Europa ihr eigenes Gepräge hatten, wobei hier wie dort christlich-religiöse Vorstellungen einflussreich waren. Und für beide Felder waren Europäer:innen vielfach von ihrem zivilisatorischen Vorsprung überzeugt. So verwundert es nicht, dass aus postkolonialer Perspektive heraus auch der Ansatz der „feministischen Außenpolitik“ als westliches Überlegenheitsdenken kritisiert wird. Auch dies gibt Anlass, die zeitgenössischen Vorstellungswelten und Praktiken einer kritischen Analyse zu unterziehen.
Denkbar wären Beiträge, die folgende Fragen diskutieren:
- Welche Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit beeinflussten bestimmte Strategien zur Konfliktlösung oder Versöhnungsinitiativen?
- Inwiefern finden sich komplementäre Geschlechtervorstellungen auch für Unversöhnlichkeit?
- Wie wurden diese Vorstellungen diskutiert? Gingen die Zeitgenoss:innen etwa davon aus, dass sie universelle Gültigkeit hatten oder hielten sie sie für historisch wandelbar? Welche Gegenentwürfe konnte es möglicherweise auch zu den gängigen Geschlechterzuschreibungen geben?
- Finden sich in anderen Kulturen andere Vorstellungen über den Zusammenhang zwischen Geschlecht und Konfliktlösung? Welche Wechselwirkungen gab es gegebenenfalls auf globaler Ebene (z.B. im kolonialen Kontext)?
- Welche Zusammenhänge zwischen der gesellschaftlichen und speziell der rechtlichen Stellung von Frauen auf der einen Seite und geschlechterspezifischen Zuschreibungen versöhnlicher oder unversöhnlicher Eigenschaften auf der anderen Seite lassen sich ausmachen? Lässt sich eine intersektionale Variabilität beobachten?
- Inwieweit erblickten auch Zeitgenoss:innen solche Zusammenhänge und wie wurden sie von Frauenrechtsaktivistinnen einerseits, von Antifeminist:innen andererseits diskutiert?
- Wie versuchten historische Akteur:innen, solche Geschlechterzuschreibungen in spezifischen Konfliktsituationen oder Versöhnungsinitiativen auszunutzen? In welchen Situationen wurden sie vielleicht auch instrumentalisiert (z.B. im Klassenkonflikt/in Ehekonflikten)?
- Wie wirkten sich verbreitete geschlechterspezifische Zuschreibungen aus, wenn es darum ging, Versöhnung zwischen den Geschlechtern zu erreichen?
Die Tagung wird vom 22. bis 24. Februar 2024 in Bonn stattfinden. Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Interessierte sind eingeladen, Abstracts bis max. 500 Wörter sowie eine ausformulierte Kurzbiografie (maximal 200 Wörter) bis zum 30. April 2023 via Mail an Prof. Dr. Christine Krüger (nng@uni-bonn.de) einzureichen. Die ausgewählten Beiträge werden im Vorfeld der Tagung den Beteiligten zur Verfügung gestellt. Reise- und Übernachtungskosten werden erstattet. Eine Publikation der Tagungsergebnisse ist angedacht.