Fotografien vielschichtig einzuordnen, rückte spätestens seit den Kontroversen um die sogenannte Wehrmachtausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung in das Blickfeld der NS-Forschung. Die Hinwendung zu Fotos steht im Kontext der breiteren Entwicklung des Forschungsfelds der Visual History. Band 39 der BGNS möchte den Fokus auf Fotografien legen, die verschiedene Gewaltkontexte innerhalb des NS in den Blick nehmen. In den letzten Jahrzehnten sind vor allem im Kontext der Shoah wichtige Arbeiten zu Fotos entstanden, die die Bedeutung der komplexen Quellengattung für die Forschungen zur Geschichte des NS deutlich machen.
Auf vielen Fotos sind Spuren struktureller Gewalt zu erkennen, nur ein Teil dieser Bilder zeigt die physische Gewalt selbst. Zugleich fehlt zu etlichen Gewaltkontexten eine bildliche Überlieferung. Der Band möchte besonders die bisher noch wenig beleuchtete fotografische Überlieferung im Zusammenhang mit der Verfolgung und Ermordung zentraler Opfergruppen in den Blick nehmen, also Fotografien von sowjetischen Kriegsgefangenen, politisch Verfolgten, Sinti und Roma, Patient:innen in Heil- und Pflegeanstalten oder „Partisanenverdächtigen“.
Der Band soll unterschiedliche Bildproduzent:innen berücksichtigen, also neben Täter:innen auch Verfolgte, Zeug:innen und Alliierte. Wir wünschen uns Beiträge, die von den fotografischen Quellen ausgehen. Über den Inhalt, Ort und die Zeit der Aufnahme gilt es, die Fotografien multiperspektivisch zu befragen und einzuordnen: Wer hat das Foto gemacht? Aus welchen Gründen bzw. mit welchen Intentionen? In welchen konkreten und allgemeinen Kontexten/Machtverhältnissen entstand die Aufnahme? Welche Handlungsspielräume hatten die Fotografierten? Wie und mit welchen Zielen ist das Bild gestaltet? Welche tradierten Bildsprachen spielten eine Rolle? Wie wurde es aufbewahrt und überliefert? Wurde das Bild veröffentlicht? Wie wurde zeitgenössisch mit dem Bild umgegangen und wie ist seine Nachgeschichte?
Wir freuen uns über Exposés von ein bis zwei Seiten inkl. kurze biografische Angaben bis zum 1. September 2023 an: alina.bothe@fu-berlin.de, c.kreutzmueller@fu-berlin.de, quinkert@museum-karlshorst.de.
Eine Auswahl und Benachrichtigung erfolgt etwa Mitte September. Deadline für die Beiträge im Umfang von 45.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) ist der 31. Januar 2024. Nach einem Redaktionstreffen der BGNS Mitte Februar erhalten die Beitragenden bis Ende März Zeit für die Einarbeitung möglicher Anmerkungen. Die Endredaktion des Bandes erfolgt im April/Mai 2024.