Gefängnis und Gesellschaft (INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4/2023)

Gefängnis und Gesellschaft (INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4/2023)

Veranstalter
INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft
PLZ
53113
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
01.12.2023 -
Deadline
25.08.2023
Von
Tom Pflicke, INDES-Redakteur

Gefängnis und Gesellschaft: Das ist eine komplexe, in vielerlei Hinsicht widersprüchliche, auf paradoxe Weise durch Nähe und Distanz gekennzeichnete Beziehung, mit der sich zahlreiche politik-, sozial-, rechts-, medien- und geschichtswissenschaftliche Facetten und Fragen verbinden.

Gefängnis und Gesellschaft (INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4/2023)

In Gefängnissen materialisiert sich das staatliche Gewaltmonopol, aber in politischen Debatten spielen sie kaum einmal eine Rolle. Haftanstalten schließen ihre Insass:innen räumlich und sozial von der Gesellschaft ab, zugleich kommt ihnen eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Ordnung zu. Die Inhaftierten werden weggesperrt, das Ziel des Strafvollzugs aber lautet Resozialisierung. Gefangene sollen ihre Taten bereuen, ihr Fehlverhalten einsehen und sich bessern – und unterliegen im Gefängnis Einflüssen, durch die sie oftmals auf eine noch krummere Bahn geraten. Das Strafmaß soll individuell festgelegt werden entsprechend der Schwere der Tat und den Umständen und Intentionen des einzelnen Täters, weshalb stark voneinander abweichende Inhaftierungsquoten unterschiedlicher ethnischer, sozialer, kultureller Gruppen erklärungsbedürftig sind.

Mit dem Thema Gefängnis und Gesellschaft verbinden sich mithin zahlreiche politik-, sozial-, rechts-, medien- und geschichtswissenschaftliche Facetten und Fragen. Zunächst ganz grundsätzlich: Welche Funktionen erfüllen Gefängnisse, der Theorie nach wie auch in der Praxis? Was ist der Sinn von Strafen und auf welche Weise spiegeln sich in ihnen Staat und Gesellschaft? Und inwieweit behalten und verlieren Strafanstalten ihre Funktionen im Zusammenhang mit Regimewechseln? Sodann: Wie haben sich die Praktiken des Einsperrens im geschichtlichen Verlauf gewandelt, was sind die Charakteristika und auf welcher Grundlage vollziehen sich die Veränderungen des Strafens in Früher Neuzeit und Moderne? Wie sieht es mit mittelalterlichen Vorformen und wie mit außereuropäischen Traditionen und Merkmalen des Einsperrens aus?

Auch bei diesem Schwerpunkt sind für die INDES, die sich im Untertitel „Zeitschrift für Politik und Gesellschaft“ nennt, die politischen, kulturellen und sozialen Aspekte von besonderem Interesse. Diesbezüglich stellen sich zum einen Fragen rund um den Charakter von Gefängnissen als „geschlossene Gesellschaften“. Wie andere Gesellschaften, so differenzieren sich ebenfalls Gefängnisgesellschaften entlang von Aufgaben und Rollen, neben der Anstaltsleitung und den Vollzugsbeamt:innen gibt es u.a. Ärzt:innen, Pfleger:innen, Pädagog:innen, Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen. Häftlinge wiederum lassen sich in Strafgefangene, Sicherungsverwahrte und Abschiebehäftlinge unterscheiden, auch der oder die politische Gefangene gehört zwar in Deutschland, aber längst nicht überall der Vergangenheit an. Gerade dessen Geschichte ist interessant und wechselhaft, sie erzählt von einem privilegierten Haftstatus gegenüber gemeinen Kriminellen im 19. Jahrhundert und von besonderen Qualen in den Lagern und Zuchthäusern der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts.

Zur „geschlossenen Gesellschaft“ gehören auch Fragen zum soziodemografischen Profil der Häftlinge als einem möglichen Ausdruck gesellschaftlicher Diskriminierung und Vorurteile; zur Rolle von Gefängnisstrafen für die politisch-religiöse Radikalisierung (und deren Prävention); zur Re-Integration von Ex-Häftlingen in die Gesellschaft; und zu den Verbindungen, zu Kommunikations- und Kontaktmöglichkeiten zwischen Gefängnis und Außenwelt. Auch die Rückwirkungen, die Phasen der Unfreiheit auf die Psyche, das Bewusstsein zeitigen, sind hier von Interesse – gerade auch, wenn sich zu der Unfreiheit die Unsicherheit über das Strafmaß hinzugesellt, wie es nicht selten in Diktaturen der Fall ist. Und wie blicken Gefangene auf die Gesellschaft, frei nach den Worten Arthur Koestlers, man sei nie so neugierig auf die Zukunft der Menschheit, als wenn man in einem Käfig sitzt, von zwei Gorillas bewacht?

Ein wichtiger Aspekt ist darüber hinaus die Thematisierung der Institution Gefängnis in Kunst und Kultur: die Verarbeitung eigener Hafterfahrungen in Literatur, Malerei und Musik; das Genre der Gefangenenliteratur; das Gefängnis als produktiver Ort des Denkens; Darstellungen des Gefängnisalltags im Film. Nicht zuletzt auch: Straftäter:innen (und Häftlinge) als Volksheld:innen, die den Reichen nehmen und wie etwa die Brüder Sass im Berlin der Zwischenkriegszeit mit Charme und Witz Polizei und Behörden narren. Und wo über Gefängnisse nachgedacht wird, wird nicht selten auch über Alternativen zu selbigen räsoniert, z.B. unter dem Schlagwort „Restorative Justice“.

Schließlich: Wenn bisweilen Klöster mit ihrer architektonischen Gestaltung und ihrer Absonderung von der Welt als Urformen des Gefängnisses bezeichnet werden, können auch zunächst einmal etwas abseitig anmutende Praktiken des Absonderns und Abschließens, wie sie z.B. in sozial exklusiven Gated Communities oder in Grenzzäunen zur Abwehr unerwünschter Migration zum Ausdruck kommen, im Rahmen des Schwerpunktthemas in ihren Bedeutungen und Wirkungen untersucht werden. Das Gefängnis als freigewählter Ort. So schief der Vergleich anmuten mag, auch Selbstzeugnissen aus den 1930er- und 1940er-Jahren lässt sich entnehmen, dass Häftlinge sich im Gefängnis geschützt fühlen konnten, da sie dort im Unterschied zu Polizeistationen und Kasernen wenigstens nicht gefoltert und totgeprügelt würden und – zumindest vorübergehend – sicher seien.

Zur Zeitschrift: Die INDES möchte Forschungsergebnisse nachvollziehbar und interessant präsentieren sowie politisch-gesellschaftliche Debatten anstoßen und mit originellen Beiträgen bereichern. Idealerweise gehen dabei Inhalt und Form Hand in Hand: Wichtig ist uns der „gute Stil“; die Beiträge sollen möglichst verständlich und anregend formuliert sein, ihre Lektüre sowohl Erkenntnis als auch Freude bereiten. Neben der klassischen Analyse eröffnet INDES auch andere Formate wie Porträts, Inspektionen, Interviews, Kommentare und Kontroversen. Insbesondere für Wissenschaftler:innen in der Qualifikationsphase bietet INDES zudem die neue Rubrik „Abhandlung“ mit einem Double-Blind-Peer-Review-Verfahren an (sowohl für Beiträge zum Schwerpunkt als auch zum „freien Teil“). Alle Beiträge durchlaufen zudem ein doppeltes Redigat durch die INDES-Redaktion.

Beitragsvorschläge (max. 300 Wörter) bitte bis zum 25. August an: indes@uni-bonn.de. Wir teilen unsere Entscheidung bis zum 1. September mit. Die Einreichungsfrist der Beiträge (rund 20.000 Zeichen) wäre dann der 13. Oktober (für „Abhandlungen“ mit Peer-Review-Verfahren, sofern sie im Schwerpunkt erscheinen sollen, der 29. September); das Heft soll im Dezember 2023 erscheinen.

Kontakt

E-Mail: t.pflicke@indes-online.de

https://indes-online.de/bei-indes-mitschreiben
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