Im Januar 2023 kündigte die bayerische Sozial- und Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an, falls die Bundesregierung den sog. Abtreibungsparagrafen § 218 StGB streichen würde. Eine solche Streichung sei – Scharf zufolge – „mit dem Schutz des ungeborenen Lebens unvereinbar und verfassungswidrig“. Zuvor hatte sich Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) für eine Abschaffung des Paragrafen ausgesprochen und dies mit dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen über den eigenen Körper begründet.[1] Bereits 2022 hatte das Thema im Zuge der Abschaffung des Paragrafen 219a, der ein Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche vorsah, im öffentlichen Diskurs viel (kontroverse) Aufmerksamkeit erfahren.
Die Auseinandersetzung über die Frage, wie Schwangerschaftsabbrüche juristisch geregelt werden sollen, ist dabei nicht neu. Seit Jahrzehnten ist die gesetzliche Regelung von Abtreibungen in unterschiedlichen Ausprägungen wiederholt Gegenstand politischer, juristischer und öffentlicher Debatten – mit sich häufig ähnelnden Argumenten und Standpunkten. Die historische Dimension dieser Diskussion, insbesondere das Wissen über die entsprechende Gesetzgebung in beiden deutschen Staaten vor 1989/90 und die öffentlichen sowie politischen Auseinandersetzungen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zum Thema scheinen den aktuellen Diskurs jedoch nur partiell zu beeinflussen. Der deutsche Fall der Rechtsentwicklung stellt in diesem Zusammenhang eine historisch einzigartige Situation dar, die sowohl für die Geschichte der deutschen Frauenbewegung(en) als auch für die deutsch-deutsche Verflechtungsgeschichte und die Transformationsforschung großes Erkenntnispotential bietet.
Um dieses Thema aus wissenschaftlicher Perspektive zu beleuchten, widmet sich die dies-jährige Veranstaltung der Regionalgruppe Nord des Arbeitskreises für Historische Frauen- und Geschlechterforschung e. V. (AKHFG) am 27. Oktober 2023 dem Thema „Schwangerschaftsabbruch in der DDR und BRD in historischer Perspektive“. Wie verliefen die Debatten in den beiden deutschen Staaten? Wie sah die konkrete Rechtsentwicklung in den unmittelbaren Nachwendejahren aus? Welche Streitpunkte gab es, insbesondere vor dem Hintergrund der zuvor unterschiedlich geregelten Rechtspraxis? Und welche Akteur:innen waren an den Debatten beteiligt? Diesen Fragen und möglichen Auswirkungen auf gegenwärtige Diskurse zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland geht das digitale Diskussionsforum auf Basis von zwei Impulsvorträgen nach. Anschließend sind alle Teilnehmenden dazu ein-geladen, sich selbst an der Diskussion zu beteiligen. Über die inhaltliche (Fach-)Diskussion hinaus soll auch die Möglichkeit gegeben werden, sich im Rahmen der Regionalgruppe des AKHFG zu vernetzen und über aktuelle Anliegen auszutauschen. Interessierte Nicht-Mitglieder sind hierzu ebenso herzlich willkommen.
Das Diskussionsforum wird via Zoom stattfinden. Um die Zugangsdaten zu erhalten, melden Sie sich bitte bis zum 26. Oktober 2023 bei Lisa Städtler und Hannah Rentschler an: nord@akhfg.de
Anmerkungen:
[1] Bayern will gegen mögliche Abschaffung des Paragrafen 218 klagen, in: Zeit Online, 11.01.2023, online unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-01/schwangerschaftsabbrueche-bayern-klage-paragraf-218.