Vom Aufkommen der Spottdichtung im antiken Mittelmeerraum bis in die unmittelbare Gegenwart mit ihren Debatten über die Gewalt von Sprache waren und sind Techniken zur Artikulation verbaler Meinungsverschiedenheiten entscheidend für die Herausbildung der menschlichen Gesellschaft. In unserem viertägigen Seminar werden wir auf historisch sensible Weise die verschiedenen Möglichkeiten untersuchen, mit denen Kulturen den Ausdruck von Uneinigkeit regeln, sowie der lebenswichtigen und zugleich prekären Rolle nachspüren, die Kontroversen bei der Schaffung und Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung spielen. Wir werden uns auf das konzentrieren, was Immanuel Kant konstitutive “ungesellige Geselligkeit” genannt hat: die dynamische Spannung zwischen integrativen und desintegrativen Kräften, die die menschliche Gesellschaft erst ermöglicht. Unsere Diskussionen werden sich auf die rhetorischen Formen und institutionellen Rahmenbedingungen konzentrieren, die dafür verantwortlich sind, verbale Konflikte zu organisieren und in Formen der Konfrontation zu kanalisieren, die physische Feindseligkeiten umgehen. Darüber hinaus wollen wir uns mit den Affekten – von Wut über Gleichgültigkeit und Enthusiasmus bis hin zu Misstrauen – befassen, die derartige verbale Auseinandersetzung begleiten. Affektive Aspekte der Produktion und Rezeption polemischer Rede sind entscheidend für das Verständnis ihrer dreifachen Struktur: Die konkurrierenden Parteien wenden sich nicht nur aneinander, sondern versuchen auch, die Zustimmung einer imaginären oder konkreten Öffentlichkeit zu gewinnen. Mit anderen Worten: Die Sprache schafft ‚Öffentlichkeiten der Meinungsverschiedenheit‘, während soziale Institutionen die Grenzen zwischen Meinungsverschiedenheit und Kampf, zwischen verbalem und physischem Konflikt kontrollieren.
Ziel unserer viertägigen Seminardiskussion ist es, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie unterschiedliche historische Kontexte und Textformate höhere oder niedrigere Toleranzen für den Ausdruck von Meinungsverschiedenheiten und Kritik entwickeln. Zu den Leitfragen des Seminars gehören: Was ist ein unzumutbarer oder illegitimer sprachlicher Angriff zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort? Welche rhetorischen oder sozialen Machtstrukturen regeln das Explizieren/Aussprechen von Differenz? Was sind die sozialen Auswirkungen unerlaubter Kritik? Wie organisieren unterschiedliche historische Milieus die Zirkulation konträrer Aussagen oder Meinungen? Wie vermitteln literarische Texte und literarische Gattungen Aggression? Inwiefern sind konventionalisierte Formen wie Farce, Parodie, Pasquill, Persiflage und Satire als Ausdrucksformen von Dissens, Kritik oder Aggression zu verstehen? Unsere Diskussionen werden von der Intuition geleitet, dass unterschiedliche institutionelle Rahmenbedingungen und mediale Möglichkeiten unterschiedlich explizite, vehemente, formalisierte und komplexe Ausdrucksformen der Meinungsverschiedenheit hervorbringen. Zu berücksichtigen sind in diesem Seminar sowohl politische und juristische Kontexte als auch literarische und philosophische Diskurse.
Meinungsverschiedenheiten haben – so die Ausgangshypothese des Seminars – sowohl ein konstruktives als auch ein destruktives Potenzial. Meinungsverschiedenheiten können zu Gewalt aufrufen oder sie anspornen, aber auch zu einer Quelle kreativer Energien werden. Durch die Betrachtung verschiedener Institutionen, Diskurse und Genres wollen wir die historischen Modalitäten des Dissens sowie seines Beitrags zur modernen pluralistischen Gesellschaft untersuchen.
Für Kost und Logis während der Veranstaltung wird gesorgt, wohingegen die Reisekosten von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu übernehmen sind. Wenn Sie sich für das Summer Seminar bewerben möchten, senden Sie bitte eine kurzes CV und einen Text von etwa 400 Wörtern, in dem Sie Ihr Interesse an dem Thema darlegen, bis zum 15. Dezember an folgende E-Mail-Adresse: lmu_pu@princeton.edu.