Internationale Tagung am 17. und 18. März 2025 an der Universität zu Köln, veranstaltet von Kathrin Borgers (Kunsthistorisches Institut der Universität zu Köln), Emily Hyatt (Institut für Kunstgeschichte der Universität Yale) und Henrike Haug (Kunsthistorisches Institut der Universität zu Köln)
„Ich war eine Plastikflasche“: Von Mehrweg-Einkaufstaschen über Küchengeräte bis hin zu Textilien ist es heute nicht ungewöhnlich, dass Gegenstände aus wiederverwendeten Materialien Beischriften tragen, die explizit auf ihre Herkunft verweisen. Diese zeitgenössische Praxis scheint einen Wert zu haben, der über rein praktische Aspekte der Wiederverwendung hinausweist. Indem sie damit werben, ein bereits vorhandenes, negativ konnotiertes Material auf umweltfreundliche Weise umzuwandeln, versprechen diese Objekte, die ökologischen Bedenken der Verbraucher:innen zu beruhigen und die Gewissensbisse der Konsument:innen zu lindern. Diese Praxis des plakativen Recycling ist jedoch kein reines Phänomen der Gegenwart, sondern findet auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit vielfältige Resonanz. Unter dem Titel „Wiederverwendungswert“ laden wir zu dieser Konferenz Beiträge ein, die verschiedene Aspekte der Wiederverwendung von materiellen Ressourcen aus historischer Perspektive untersuchen.
Wenngleich der Begriff „Nachhaltigkeit“ im 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Forstwirtschaft geprägt wurde, bezeugen historische Quellen wie beispielsweise frühneuzeitliche Bergbautraktate ein verbreitetes Interesse und Bewusstsein für den nachhaltigen Umgang mit erschöpfbaren Ressourcen. Zudem haben die wachsenden Fernhandelsnetze sowie der kontinuierliche Anstieg der Bevölkerung ab dem Mittelalter zu einer „Recycling-Mentalität“ geführt, bei der Werkstoffe zahlreiche Umwandlungen durchliefen, während sie die Besitzer:innen wechselten und verschiedenen Zwecken dienten.
Uns interessieren dabei besonders Motive, Potenziale und Strategien der Wiederverwendung von Werkstoffen in der Vormoderne, insbesondere dann, wenn dabei die Erinnerung an die Herkunft des Materials bewahrt wird. Dabei kommen etwa Verfahren des Upcycling, der Transformation, der Aneignung, der Zerstörung oder auch Auflösung in den Blick, etwa wenn Substanzen – beispielsweise im Kontext mittelalterlicher Reliquien – aus sakralen in profane oder aus profanen in sakrale Kontexte überführt werden. Ebenso gelungene bzw. misslungene Weiternutzungen von Werkstoffen innerhalb transkultureller Übertragungsprozesse oder innerhalb zeitlicher Verläufe, die immer wieder neue Einsatzmöglichkeiten von Materialien erlauben oder fordern.
Mit Blick auf künstlerische Verfahren ist zu fragen, welchen Stellenwert hier Praktiken der Weiterverwendung von Werkstoffen einnehmen – sind es vor allem ökonomische Gesichtspunkte oder finden sich andere Motive, wie beispielsweise besondere Qualitäten, die älteren, nicht mehr verfügbaren oder nicht mehr herstellbaren Materialien innewohnen? Nicht allein in der Zweitnutzung von Edelsteinen und Perlen, sondern ebenso bei der Herstellung von menschgemachten Kunststoffen wie Papier, Glas oder Metalllegierungen scheint dies eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt zu haben. Wiederverwendung steht beispielsweise bei der Herstellung von Pappmaché im Mittelpunkt, bei der Lumpen und Altpapier zu einem modellierbaren Material für die Herstellung von Skulpturen recycelt werden. Gleichzeitig werfen solche Praktiken die Frage auf, wie Erinnerungen an die vorherige materielle Form sichtbar oder unsichtbar weitertransportiert wurden, etwa in den Körperspuren gebrauchter Textilien oder durch den Inhalt zerkleinerter schrifttragender Papierstücke.
Materialumwandlungen erfolgten auch über die Sammlung und Wiederverwendung von so genannten Nebenprodukten in den Werkstätten. In der Fachliteratur der Zeit werden solche Weiterverwendungen vermeintlicher Abfallmaterialien beschrieben: So wird in einem englischen Traktat zur Glasherstellung aus dem 17. Jahrhundert berichtet, dass „sandiver“ (suin de verre), ein Produkt, das bei der Reinigung von Cristallo-Glas entstand, von England nach Frankreich exportiert wurde, um als Flussmittel in der Metallverarbeitung Verwendung zu finden (Merrett 1662). Und auch Georgius Agricola weist in De re metallica (1556) die Lesenden darauf hin, wie wichtig es sei, den bei der Verhüttung anfallenden Ruß aufzufangen, umzuformen und gewinnbringend zu verkaufen, anstatt ihn wegzuwerfen. Vergleichbare Formen der Weiter- (nicht der Wieder-) Verwendung von vermeintlichen „Abfallprodukten“ finden sich im Umfeld der Beinschnitzerei-Werkstätten.
Die hier angesprochenen Beispiele bezeugen die Relevanz, unter kunstwissenschaftlichen Gesichtspunkten das vormoderne Ressourcenbewusstsein und das ökonomisch-ökologische Verhalten zu untersuchen, und schärfen zugleich den Blick für die vielschichtigen Bedeutungsebenen, die dem wiederverwerteten Material innewohnen (können). Dabei erweist sich die materielle Weiternutzung als gängige Handwerkspraxis, als eine Variante der Spolienverwendung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit und als Zeugnis für die Notwendigkeit eines vertieften Verständnisses der Eigenschaften und Möglichkeiten von Werkstoffen.
Unsere Tagung fragt nach diesem weiten Feld und lädt Beiträge ein, die sich folgenden Themenbereichen widmen
Quellen/ Handlungskontexte
- In welchen Formen und an welchen Orten wird die Weiter-Wiederverwendung erinnert und kommuniziert – durch technische und theologische Literatur, Prozessionen und Feste, Herstellungsverfahren oder Präsentation?
- Welche Anweisungsliteraturen oder andere Quellen gibt es für die Wiederverwendung von Neben-/Rest-/Abfallprodukten, die bei Herstellungsprozessen anfallen?
- Welche Gruppen bzw. Personen wissen und erfahren von der Wieder- bzw. Weiterverwendung des Materials (ausführende Handwerker:innen, Auftraggeber:innen oder eine „Öffentlichkeit“)?
Verfahren
- Wie wird diese Transformation im fertigen Objekt durch Spuren der Hand der Künstler:innen usw. sichtbar?
- Welche Materialien kommen für die Wieder- bzw. Weiternutzung in Frage und welche Prozesse des Sammelns, des Reinigens, des Auflösens, des Einschmelzens, des Zerreibens usw. werden dafür genutzt?
- Wie kann man Gegenstände interpretieren, die aus trans-lokalen Materialien oder aus re-/trans-/up-cyceltem Material bestehen?
Wertigkeiten
- Wie werden Aufwertungen/Umwertungen nicht nur ökonomisch, sondern auch inhaltlich (durch Materialevokationen/ -fiktionen/ -imitationen) nachvollzogen?
- Wann ist der Wiederverwendung bestimmter Materialien eine inhaltliche Aufwertung inhärent (beispielsweise bei der Umwandlung erbeuteter Bronzen, oder in der Transformation von beschriebenen Papieren in Bildwerke etc.)?
- In welchen Objekten wird die geringe Wertigkeit von wieder- bzw. weitergenutzten Materialien bewusst ausgestellt oder betont – und warum?
- In welchem Maße hängen Praktiken der Wiederverwendung und Umwandlung von Materialien mit umfassenderen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wissenssystemen zusammen (ökologische Systeme, Naturgeschichte, Gewinnung und (alchemistische) Manipulation von natürlichen Ressourcen usw.)?
Wir laden Vorschläge ein, die sich mit Themen aus diesem Bereich in einem historischen Kontext befassen, vorzugsweise mit dem (globalen) Mittelalter und der frühen Neuzeit. Wir begrüßen Beiträge aus verschiedenen geografischen und kulturellen Kontexten und freuen uns besonders über Ansätze, die sich mit bislang nicht ausreichend untersuchten Materialien und/oder nicht sichtbar gemachten Aspekten künstlerischer und handwerklicher Wiederverwendungspraktiken befassen.
Bitte senden Sie kurze Themenvorschläge (maximal 400 Wörter) zusammen mit einem kurzen Lebenslauf bis zum 20. August 2024 an
kathrin.borgers@uni-koeln.de