geschichten: die Produktion historischen Wissens

geschichten: die Produktion historischen Wissens

Veranstalter
Arbeitskreis Geschichte + Theorie (AG+T)
Veranstaltungsort
Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF), Universität Bielefeld
Gefördert durch
Das Junge ZiF, Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Universität Bielefeld
PLZ
33615
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
27.03.2025 - 29.03.2025
Deadline
15.10.2024
Von
Michael Homberg, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

"Geschichte wird gemacht", hieß es 1983 bei den Fehlfarben. Geschichte wird aber vor allem geschrieben und das keineswegs nur von Historiker:innen und keinesfalls nur in Büchern und Aufsätzen. Im Gegenteil, Geschichte wird von Akteur:innen aus unterschiedlichen Disziplinen und Feldern produziert und in einer Vielzahl von Formaten lebendig. Diese Produktion von Geschichte nennen wir 'geschichten'. Die geplante Konferenz widmet sich dem Geschichten als einem komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher Praktiken, zu denen Er/Finden, Recherchieren, Skalieren, Fabulieren, Arrangieren, Edieren und Adressieren zählen.

geschichten: die Produktion historischen Wissens

"Geschichte wird gemacht", hieß es 1983 bei den Fehlfarben. Geschichte wird aber vor allem geschrieben und das keineswegs nur von Historiker:innen und keinesfalls nur in Büchern und Aufsätzen. Im Gegenteil, Geschichte wird von Akteur:innen aus unterschiedlichen Disziplinen und Feldern produziert und in einer Vielzahl von Formaten lebendig. Für die gesellschaftlich verbreiteten Geschichtsbilder sind Fernsehdokumentationen und Feuilletonartikel, Filme und Serien, Romane und Theaterstücke, Ausstellungen, Comics und Videospiele von zentraler Bedeutung. Wie die akademische Geschichtsschreibung prägen diese die kursierenden Bilder 'der' Vergangenheit. Ähnlich wie Norbert Elias den Begriff des 'Zeitens' für den Umgang mit Zeitlichkeit eingeführt hat, bezeichnen wir diese Produktion von Geschichte als 'geschichten'. Geschichten steht für das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Praktiken, zu denen Er/Finden, Recherchieren, Skalieren, Fabulieren, Arrangieren, Edieren und Adressieren zählen.

Diesen und anderen Praktiken widmet sich die geplante Konferenz "geschichten: die Produktion historischen Wissens", die von Donnerstag, 27. März, bis Samstag, 29. März 2025, am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld stattfindet. Im Zentrum des Interesses steht eine Praxeologie des Geschichtens, welche nicht nur akademische (geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche), sondern auch die Praktiken anderer Geschichtenden in den Blick nimmt. Wie produzieren verschiedene Experimentalsysteme ein "epistemisches Ding" (Hans-Jörg Rheinberger) namens Geschichte? Welche Praktiken teilen die Geschichtswissenschaften mit anderen Disziplinen der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie mit nicht akademisch verfassten Akteursgruppen, welche hingegen sind feld- und disziplinenspezifisch? Und inwiefern tragen solche Praktiken zu einer anderen Vorstellung von der Geschichte im Singular bei? Ziel der Konferenz ist es, konventionelle Annahmen der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften aufzubrechen und vierzig Jahre nach den Fehlfarben über eine Analyse der Praktiken des Geschichtens zu einem umfassenderen Verständnis des "Machens" von Geschichte zu gelangen.

Die Konferenz bringt Geschichtende aus den Bereichen Literatur, Film, Theater, Museum, Journalismus, der Spieleindustrie und den Geistes- und Sozialwissenschaften miteinander ins Gespräch. Die folgenden sieben Praktiken des Geschichtens stehen im Zentrum:

1. Er/Finden: Das Geschichten beginnt mit dem Finden eines Themas und/oder einer Fragestellung. Wie kommen Geschichtsschreibende aus Journalismus und Kunst, Unterhaltung, Bildung und Wissenschaft zu ihren Fragestellungen und Themen und welche Rolle spielen Techniken der Immersion bei der Annäherung an neue, alte Zeiten? In der Geschichtswissenschaft soll kühl und möglichst neutral analysiert und präsentiert werden, doch haben bereits Historiker wie Droysen und Collingwood die "Einfühlung" als historische Methode konzeptionalisiert. Welche Bedeutung kommt der Immersion folglich beim Schreiben von Geschichte zu?

2. Recherchieren: Die Recherche ist nicht nur die Grundlage geschichtswissenschaftlicher Forschung. Auch andere Akteure, die Geschichte schreiben, recherchieren in Bibliotheken und Archiven oder durch Ortsbesuche und Interviews. Gehen die Filmemacherin oder der Romancier beim Lesen, Anstreichen, Annotieren anders vor als die Historikerin? Worin unterscheidet sich die Recherche je nach Vorprägung, Medium und Produkt? Und wie bildet sich dies im Prozess des Geschichtens ab?

3. Skalieren: Wann beginnt die Geschichte? Wie viel Abstand braucht sie und wie wird sie produziert, wenn sie "noch qualmt" (Barbara Tuchman)? Wie verändern sich die Antworten auf diese Fragen durch die digitale Überlieferung, die immer wieder als eines der großen Potentiale der Zeitgeschichte beschrieben wird?

4. Fabulieren: Wer sich mit der Vergangenheit beschäftigt, stößt unweigerlich auf Lücken und Leerstellen. Wie gehen Historiker:innen und andere Geschichtende aus Kunst, Journalismus und Public History mit der "Silence of the Archives" um (Saidiya Hartman)? Welche Techniken von Oral History bis Critical Fabulation haben sie entwickelt, um die Verstummten zum Reden zu bringen, und welche Anverwandlungen zwischen Geschichtswissenschaft, Literatur und Film lassen sich beobachten?

5. Arrangieren: Als "Emplotment" bezeichnete Hayden White die Anordnung unterschiedlicher Beobachtungen zu einer Geschichte. Wie gehen Geschichtende beim Arrangieren und argumentativen Verbinden solcher Beobachtungen und Bilder vor, und von welchen Prinzipien lassen sie sich dabei leiten?

6. Editieren: Geschichte wird gemacht – meist in mehrstufigen Verfahren und von mehreren Akteur:innen. Es wird geschrieben, gelesen, gelöscht, kopiert und wieder eingefügt, gekürzt und lektoriert. Wie sehen diese Kollaborationen aus und wie verändern sich die dabei entstehenden Geschichten während dieser Prozesse?

7. Adressieren: In welchem Setting, an welchem Ort, mit wem und auch für wen – Fachpublikum, Schule, Öffentlichkeit – geschrieben wird, ist von erheblichem Einfluss auf das Schreiben. Wie prägen Produktions- und Konsumptionsbedingungen Projekt, Prozess und Produkt? Welchen Einfluss üben dabei Verlage und Unternehmen, Märkte und Publika aus?

Übergeordnetes Ziel der Tagung ist es, erstens, ein besseres und umfassenderes Verständnis der Produktion und Zirkulation historischen Wissens zu gewinnen und damit den Ruf nach reflexiven Praktiken der Wissensproduktion aufzunehmen; zweitens eine Grundlage für eine Praxeologie des Geschichtens bereit zu stellen, welche die epistemische Produktion von Geschichte in der Präsentation beleuchtet, und Produktion und Präsentation dadurch systematisch integriert; und, drittens, einen breiteren gesellschaftlichen Austausch über die Wege und Formen historischen Wissens in der Öffentlichkeit und Wissenschaftspolitik des frühen 21. Jahrhunderts anzustoßen.

Abweichend vom konventionellen Konferenzformat wird die Tagung "geschichten: Die Produktion historischen Wissens" entlang dieser Praktiken strukturiert sein. In den Panels werden jeweils zwei bis vier Vortragende aus unterschiedlichen Bereichen und Disziplinen miteinander ins Gespräch kommen, um die zur Debatte stehende Praktik näher und aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Die Dokumentarfilmer:innen Jürgen Ast und Regina Schilling (Berlin), die Soziologin Sabine Maasen (Hamburg), die Anglistin Julika Griem (Essen) sowie die Computerspiele-Autorin Lena Falkenhagen (Hamburg) haben ihre Teilnahme bereits zugesagt.

An Kurzimpulse von circa zehn Minuten Länge (Vortrag, Performance, Film etc.) werden sich Gespräche anschließen, in denen die Vortragenden und das Publikum miteinander in Austausch treten. Vorschläge für Beiträge inklusive Abstract und kurzem Lebenslauf von jeweils maximal 300 Wörtern Länge senden Sie bitte bis zum 15. Oktober 2024 an arbeitskreis@geschichteundtheorie.de.

Weitere Informationen finden sich unter http://www.geschichte-und-theorie.de/.

Für den Arbeitskreis Geschichte + Theorie (AG+T):

Tobias Becker (Freie Universität Berlin)
Fernando Esposito (Universität Konstanz)
Alexander C.T. Geppert (New York University/NYU Shanghai)
Michael Homberg (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam)
Laetitia Lenel (Universität Duisburg-Essen)
Nina Verheyen (Universität zu Köln)

Kontakt

arbeitskreis@geschichteundtheorie.de

Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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