Gesunde, belastbare, „fitte“ Körper stellen eine politische Ressource dar, die als solche oftmals erst auffällt und öffentlich diskutiert wird, wenn sie Einschränkungen erfährt. Krankheit und Gebrechlichkeit – und mehr noch ihr Bekannt- und Erkennbarwerden – bedeuten für Politiker:innen und Staatsoberhäupter eine potenziell erhebliche Hypothek. Sie können als Gefahr für ihre Autorität, Amtsfähigkeit und gegebenenfalls Wählbarkeit wahrgenommen oder gedeutet werden. Infolgedessen war der Umgang mit körperlichen Beeinträchtigungen lange Zeit nicht ausnahmslos, aber oftmals von Strategien der Vertuschung, Beschwichtigung und Relativierung gekennzeichnet.
In der Gegenwart zeichnet sich indes ein zunehmend differenziertes Bild ab: Während sich etwa in den schlussendlich höchst folgenreichen Debatten um die Amtsfähigkeit des betagten US-Präsidenten Joe Biden im Kern eine Fortschreibung bekannter Muster im Umgang mit vermeintlicher körperlicher Beeinträchtigung gezeigt hat, beschreiten andere politische Persönlichkeiten neue Wege im Umgang mit Krankheiten – ohne dadurch erkennbar an Autorität einzubüßen oder ihre Wahlchancen zu verringern. Plastische Beispiele hierfür stellen die Ministerpräsidentinnen von Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern Malu Dreyer und Manuela Schwesig dar, die – im Unterschied zu Vorgänger:innen in vergleichbaren Ämtern – offen über ihre schweren Erkrankungen kommuniziert haben. Das aktuell prominenteste Exempel lieferte Anfang 2024 der britische König Charles III., der unmittelbar nach der Diagnose eine Krebserkrankung öffentlich machte und so einen neuen offenen Kommunikationsstil begründete, der noch während der Regentschaft seiner Mutter, Elisabeth II., kaum vorstellbar gewesen wäre.
Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen und ausgehend von der Hypothese, dass in jüngerer Vergangenheit ein merklicher Wandel im Umgang mit Krankheiten und Gebrechlichkeiten politischer Persönlichkeiten eingesetzt hat und die offene Kommunikation über körperliche Einschränkungen möglicherweise sogar als politische (Glaubwürdigkeits-)Ressource einsetzbar geworden ist, will der Workshop „Politische Leiden: Zum Umgang mit Krankheit und Gebrechlichkeit von Politiker:innen und Staatsoberhäuptern vom 19. bis ins 21. Jahrhundert“ entsprechende fallstudienartige Beobachtungen aus verschiedenen politischen Konstellationen zwischen 19. Jahrhundert und der Gegenwart diskutieren.
Willkommen sind sowohl Beiträge, die sich auf Politiker:innen in demokratischen Systemen beziehen, als auch solche, die nicht-demokratische Staaten oder Staatsoberhäupter in verschiedenen Varianten von Monarchien in den Blick nehmen. In der Summe sollen unter anderem folgende Fragen von Interesse sein, wobei sich die einzelnen Beiträge selbstverständlich gerne auf Teilaspekte beschränken oder aber auch weitere Aspekte thematisieren können:
- Wie verhielten sich einzelne politische Persönlichkeiten angesichts plötzlich eingetretener, wie angesichts länger anhaltender „Leiden“?
- Welche Unterschiede lassen sich im Umgang mit physischen Krankheiten, psychischen Leiden und altersbedingten Gebrechen ausmachen?
- Inwieweit veränderten gewandelte mediale Settings (insbesondere zwischen dem Beginn des Fernseh- und der Etablierung des Internetzeitalters inklusive der ubiquitären Verbreitung „sozialer Medien“) die individuellen Handlungsspielräume einzelner Akteure im Umgang mit ihren Einschränkungen?
- Inwiefern änderten sich die Modi, in denen Medien über körperliche Schwächen und Krankheiten von Politiker:innen oder Staatsoberhäuptern berichteten?
- Welche Relevanz kam Bildern zu, die von körperlicher Beeinträchtigung zeugten?
- Lassen einzelne Akteure gezielte Kommunikationsstrategien im Umgang mit ihren Einschränkungen erkennen? Sind hier generations- und / oder genderspezifische Unterschiede zu beobachten?
- Ist erkennbar, dass gewandelte gesellschaftliche Debatten über den Umgang mit Körpern und ihren vermeintlichen Schwächen sich (un-)mittelbar in den Handlungsweisen politischer Persönlichkeiten niederschlugen? Falls ja, wo lassen sich Zäsuren ausmachen?
- Inwieweit zeugen demokratisch und nicht-demokratisch regierte Staaten von unterschiedlichen Strategien im Umgang mit Krankheiten und Gebrechlichkeiten führender politischer Akteur:innen – oder lassen sich möglicherweise keine Muster in Abhängigkeit von der Staats- und Regierungsform ausmachen?
- Machte es im Umgang mit Krankheiten oder Gebrechlichkeiten einen Unterschied, ob die betroffenen Personen Inhaber:innen von Ämtern mit politischer Entscheidungsmacht waren oder rein repräsentative Funktionen erfüllten?
- Welche Rolle spielte in welchen historischen Konstellationen die Differenzierung von ‚politischem Körper‘ (‚body politic‘) und erkranktem physischem Körper?
Der Workshop soll am 14. Februar 2025 in Freiburg stattfinden.
Beitragsvorschläge in Form eines Abstracts (ca. 500 Wörter) zuzüglich eines kurzen CV werden bis zum 31.10.2024 erbeten und können wahlweise gesendet werden an kristoffer.klammer@geschichte.uni-freiburg.de oder moritz.sorg@geschichte.uni-freiburg.de.