Postmortales Wirtschaften Strategien der ökonomischen Willenssicherung im Mittelalter

Postmortales Wirtschaften Strategien der ökonomischen Willenssicherung im Mittelalter

Organizer
Prof. Dr. Gerald Schwedler
Venue
Kiellinie 5
ZIP
24105
Location
Kiel
Country
Germany
Takes place
In Attendance
From - Until
26.09.2024 - 28.09.2024
By
Gerald Schwedler, LS Spätmittelalter, Historisches Seminar Universität Kiel

Die internationale Tagung „Postmortales Wirtschaften“ widmet sich der Frage, inwieweit es im Mittelalter von Vorteil sein konnte, wenn Nachfahren die Verstorbenen in ihrem eigenen Handeln als wirkmächtige Entität einbeziehen und dadurch diesen sogar ermöglichten, „postmortal“ wirtschaftlich tätig zu sein. Dies konnte schon durch die Verstorbenen selbst testamentarisch gesteuert worden sein, indem etwa durch Besserstellung bestimmter Erben oder Obwalter Handlungsweisen vorgegeben wurden. Andererseits konnte die Fortführung von Handlunsweisen Verstorber durch Traditionsbildung und ideelle Anbindung an herausragende Vorgänger erfolgen.

Postmortales Wirtschaften Strategien der ökonomischen Willenssicherung im Mittelalter

voluntas defuncti circa eos in omnibus debeat conservari (Synode v. Paris 556-573)

Das in der Mediävistik ertragreiche Konzept der Memoria verweist auf die Interdependenz der Fürsorge für die diesseitigen wie die jenseitigen Güter sowie die Bildung einer Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Außerhalb der liturgischen Totenmemoria zeigt sich die wechselseitige Abhängigkeit von Lebenden und Toten indes weniger strukturiert und organisiert. Persönliche und individuelle Wünsche, Erwartungen und Ängste trieben die Menschen vor ihrem Tod an, in unterschiedlichsten Arten und Weisen über Schicksal und Verbleib ihrer Güter und die Gestaltung ihres eigenen Nachlebens zu verfügen, die in der Sorge um das eigene Seelenheil ihre Nachkommen auf Generationen banden oder zumindest zu binden versuchten. Um das eigene Andenken im Bereich der außerliturgischen Erinnerung im Denken und alltäglichen Handeln der Nachkommen zu verankern, wurden Regelungen, Testamente, Erbschaftsverträge und Einungen mit minutiösen schriftlichen Vorgaben erarbeitet. Etwaige mündliche Willensäußerungen und die zu Lebzeiten verbreiteten Erwartungshaltungen durch Versprechungen oder auch durch die Erziehung sind hierbei weitaus schwerer nachzuweisen. Auch materielle Hinterlassenschaften wie beispielsweise Bauwerke waren eine häufig genutzte Möglichkeit, in der Nachwelt präsent zu bleiben und gegebenenfalls Pfadabhängigkeiten zu bewirken.
Das wissenschaftliche Konzept „postmortaler Wirtschaft“ geht davon aus, dass es in besonderen Situationen für die Seite der Verstorbenen wie die Seite der Nachfahren von Vorteil sein konnte, sich gegenseitig zu begünstigen, sich gegenseitig im eigenen Handeln über die Schwelle des Todes als wirkmächtige Entität einzubeziehen und dessen eingedenk zu wirtschaften: auf der einen Seite durch Besserstellung bestimmter Erben oder Obwalter der eigenen Sache und auf der anderen Seite durch Traditionsbildung und ideelle Anbindung an herausragende Vorgänger und Vorfahren sowie deren (erfolgreiche) Handlungsstrategien. Was für das Stiften von Klöstern, Jahrzeiten oder Seelgerät für die Bereiche der liturgischen und beziehungsstiftenden Memoria bereits intensiv bearbeitet wurde, fand für die ökonomische Dimension bislang weniger Beachtung. In welcher Weise wurden Stiftungsgüter als Investitionsgüter verwendet, in welcher Weise spielten wirtschaftliche Konjunkturen eine Rolle und nicht zuletzt, wie sehr wurden Kriterien einer generationsübergreifenden Nachhaltigkeit berücksichtigt?
Ziel der Tagung ist eine multiperspektivische Analyse des Umgangs mit dem Willen der Verstorbenen. Dabei wird aus unterschiedlichen sozialen Bereichen (Adel, Kirche, Stadt) und in den unterschiedlichen formellen Reichweiten den Phänomenen postmortaler wirtschaftlicher Wechselwirkungen nachgegangen.

Programm

Donnerstag, 26.09.2024
15.15–15.30 Grußwort des Dekanats
Normen und Formen des postmortalen Wirtschaftens
Moderation: Oliver Auge, Kiel
15:30–16:10 Thomas Wetzstein (Eichstätt):
Adam Smiths invisible hand? Stiftungen ad pias causas in der Tradition der lateinischen Kirche und ihrer Rechtsordnung
16:10–16:50 Mathias Schmoeckel (Bonn)
Testierfreiheit und ökonomische Funktionen des Erbrechts im Mittelalter
16:50–17:20 Kaffeepause
17:20–18:00 Gabriela Signori (Konstanz)
Strafgedinge und Kirchenkritik: Die Nachlassregelungen des Werner Hund und seiner Frau Berchta (1309-1319)
18:15–19:30 Apero riche
Freitag, 27.09.2024
Strukturen, Akteure und Umsetzung
Moderation: Sebastian Scholz, Zürich
09:00–9:40 Arnd Reitemeier (Göttingen)
Fabrica und ökonomische Strategien Nachlassverwaltung. Auflösen, Umlenken, Zusammenführen – Stiftungen im Jahrhundert der Reformation
09:40–10:20 Mathias F. Kluge (Augsburg)
Hinterlassene Schulden: Konrad von Weinsberg und die römisch-deutschen Könige
10:20–10:50 Kaffeepause
10:50–11:30 Sven Rabeler (Kiel)
Festlegungen für die Ewigkeit? Zum Umgang mit Stiftungen nach dem Tod des Stifters.
11:30–12:10 Margareth Lanzinger (Wien)
Ökonomische und soziale Logiken testamentarischer Verfügungen in der Frühen Neuzeit
12:10–13:45 Mittagspause
Ideen, Vorstellungen und Intentionen. Zu testamentarischen Verfügungen und Familienstrategien
Moderation: Marc von der Höh, Rostock
13:45–14:25 Robert Šimůnek (Prag)
Der letzte Wille eines Adligen und die Welt seiner sozialen Beziehungen (Böhmen, um 1500)
14:25–15:05 Hanna Hirt (Heidelberg)
Christliche Ideale und fürstliche Wirklichkeit. Demütige Bestattungswünsche und die Bedürfnisse der Nachkommen im Konflikt
15:05–15:40 Kaffeepause
15:40–16:20 Marie Jäcker (Kiel)
Rechenschaft für das Jenseits: die Verwaltung der Chantry Chapel John Wakerings, Bischof von Norwich (†1425)
16:20–17:00 Marek Słoń (Lublin)
Die letzte Investition. Wirtschaftliche Strategien in bürgerlichen Testamenten des spätmittelalterlichen Polen
Samstag, 28.09.2024
Moderation: Simon Teuscher, Zürich
09:00–9:50 Eva Schlotheuber (Düsseldorf)
Monastische Erbengemeinschaft? Das Ringen um weltliches und geistliches Gut im Kloster
09:50–10:40 Christina Antenhofer (Salzburg)
Objekte der Toten: Verfügungen über mobile Güter zwischen ÷Ökonomie und Emotion
10:40–11:10 Kaffeepause
11:10–12:00 Gerhard Fouquet (Kiel)
Zusammenfassung
12:00–12:30 Abschlussdiskussion

Contact (announcement)

wiso-sekretariat@histosem.uni-kiel.de

https://www.histsem.uni-kiel.de/de/das-institut-1/abteilungen/professur-fuer-geschichte-des-spaeten-mittelalters-sowie-wirtschafts-und-sozialgeschichte/aktuelles
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