Trotz seiner kaum zu überschätzenden kulturanthropologischen Bedeutung wurde das Spiel im Allgemeinen wie das Brettspiel im Besonderen in der Forschung über lange Zeit marginalisiert – und dies, obwohl Johan Huizinga mit ‹Homo Ludens› bereits im Jahr 1938 einen Begründungstext der Kulturwissenschaften vorlegte, der Spielen als eine jeder menschlichen Kulturtechnik vorausgehende Tätigkeit bestimmte (Huizinga 1938 / 2009). Durch die Etablierung der ‹Game Studies› als eigenständige wissenschaftliche Disziplin änderte sich der Zugang zum Spiel grundlegend. Dass auch die kulturwissenschaftlich ausgerichtete Mediävistik mittlerweile im ›Ludic Century‹ (Eric Zimmerman) angekommen ist, belegt eine ansehnliche Reihe von thematisch einschlägigen Publikationen, die in der jüngeren Vergangenheit erschienen sind (s. Auswahlbibliographie).
Die internationale wissenschaftliche Tagung ›Brettspiele im Mittelalter – das Mittelalter im Brettspiel. Poetik, Rezeption, Praxis‹, die vom 21. bis 23. November 2024 an der Universität Freiburg / Schweiz stattfindet, erörtert die Filiation von ›Mittelalter und Spiel‹ sowohl aus einer literaturhistorischen als auch aus einer rezeptionsästhetischen Perspektive. Um den sehr umfassenden Themenkomplex in repräsentativer Breite abzubilden, soll der aus der Tagung resultierende Sammelband für weitere Beiträge geöffnet werden. Publiziert wird der Band unter der Herausgeberschaft von Inci Bozkaya, Robert Schöller und Cyril Senn in der vom transcript-Verlag betreuten Reihe ›Populäres Mittelalter‹.
Der Band beleuchtet das Thema ›Brettspiele‹ aus einer zweifachen Perspektive. Vorschläge für Beiträge sollten eine der beiden Perspektiven einnehmen:
Zum einen (1) bildet das mittelalterliche Brettspiel den Schwerpunkt der Untersuchungen. Brett-, Würfel- und (im späteren Mittelalter) auch Kartenspiele entfalteten, wie nicht zuletzt archäologische Funde der jüngeren Vergangenheit belegen, eine enorme Präsenz im Alltags- und im höfischen Leben des mittelalterlichen Menschen. Die europäische Literatur des Mittelalters zeugt in Form einer Vielzahl von Spielszenen, Illustrationen und sprachlichen Wendungen von dieser Präsenz; nicht zuletzt bildeten Brettspiele das Fundament einer eigenen literarischen Gattung, namentlich der didaktisch ausgerichteten Schach- und Kartenallegorien. Erbeten werden Beiträge, die sich des Phänomens ›Brettspiel‹ in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive annehmen, wobei auch komparatistische Ansätze durchaus willkommen sind Zusätzlich können Texte der Frühen Neuzeit Berücksichtigung finden. Selbstverständlich können neben Brettspielen im engeren Sinn auch Würfel- und Kartenspiele Gegenstand der Betrachtung sein. Einige Anregungen für mögliche Themensetzungen seien genannt:
(1) Brettspiele im Mittelalter
- Ludische Sprachlichkeit in mittelalterlichen Texten (Metaphorik; Sentenzen und Redensarten etc.)
- Ludopoetik: Aleatorik und Kontingenz als literarische Erzählverfahren
- Didaktische und mnemotechnische Funktionalisierungen des Brettspiels in der mittelalterlichen Literatur
- Das Brettspiel als Element der höfischen Kultur des Mittelalters
- Transmediale Darstellungen des Brettspiels im Mittelalter (Texte, Illustrationen, Artefakte)
- Das Brettspiel als Medium transkultureller, gegebenenfalls nonverbaler Kommunikation
- Brettspiel und Körperlichkeit (Handgreiflichkeiten, amouröse Verflechtungen)
- Das Brettspiel als narratives Dingobjekt
- Fallbeispiele und paradigmatische Einzeltextanalysen / Spielszenen in der mittelalterlichen Literatur
Zum anderen (2) werden die neomediävalen Inszenierungen des Mittelalters im modernen Brettspiel aus rezeptionsgeschichtlicher und -ästhetischer Perspektive in den Blick genommen. Das Mittelalter bildet in auffälliger Weise einen Attraktionspunkt im boomenden Brettspielmarkt. Aufgrund von dessen Popularität leistet das Brettspiel (wie auch das Computerspiel) einen substanziellen Beitrag zur Erzeugung von Mittelalterbildern. Die traditionelle Bipolarität des Mittelalterbildes – romantisch geprägtes ›leuchtendes‹ versus archaisierendes ›finsteres‹ Mittelalter– spiegelt sich auch im Medium ›Brettspiel‹. In den Beiträgen soll nach den Eigenarten bei der Generierung von ›Mittelalterlichkeit‹ – einem Leitbegriff der Buchreihe ›Populäres Mittelalter‹ – im Medium des modernen Brettspiels gefragt werden. Es ist möglich, Computerspiele ergänzend bzw. vergleichend hinzuzuziehen, doch sollten diese nicht im Mittelpunkt stehen. Die Beiträge könnten sich im Rahmen folgender Schwerpunkte bewegen:
(2) Das Mittelalter im Brettspiel
- Fiktionalitätskonzepte von Brettspiel und Literatur; ›Immersion‹, ›Welterzeugung‹ und das ›Imaginäre‹
- Erzählverfahren von analogen (digitalen) Spielen und Literatur im Vergleich
- Mittelalter-Brettspiele in der Literatur
- Brettspielmechaniken und neomediävale Narration
- Transmediales-Erzählen (z. B. Darstellungen von mittelalterlichen Figuren und Stoffen in verschiedenen medialen Kontexten; Verwendung von ›mittelalterlichen‹ Schriftformen und Dingen im ludischen Erzählakt
- Literarische und ludische Intertextualität (Interaktion von Spiel und Text; Komplementarität von Schrifttext und Spieltext)
- Semiotische Architektur von Mittelalter-Brettspielen (Spielkomponenten als Zeichenträger; Materialität)
- Genreüberblicke (das Mittelalter im Pen & Paper, Eurogame, Trading Card Game etc.)
Das detaillierte Konzept der Tagung – das zugleich das Konzept des Sammelbandes ist – und das Tagungsprogramm können hier (Konzept) und hier (Programmflyer der Tagung) eingesehen werden. Aufgrund der interdisziplinären Ausrichtung des Bandes sind Beitragsvorschläge von Autor:innen aller mediävistischen Disziplinen aus den Geistes-, Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften sehr willkommen.
Beitragsvorschläge mit einseitigem Konzept auf Deutsch oder Englisch werden erbeten an alle drei Herausgeber:innen:
Eingabefristen: Konzept: 31. Dezember 2024; Schriftlicher Beitrag: 1. Juni 2025
Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge!