Devianz, Kriminalität und Disziplin im akademischen Raum des Mittelalters und der Frühen Neuzeit

Devianz, Kriminalität und Disziplin im akademischen Raum des Mittelalters und der Frühen Neuzeit

Veranstalter
Prof. Dr. Matthias Asche, Universität Potsdam; Dr. Marek Ďurčanský, Institut für Geschichte / Archiv, Karlsuniversität Prag; PD Dr. Mlada Holá, Philosophische Fakultät, Karlsuniversität; Prof. Dr. Martin Holý, Historisches Institut, Tschechische Akademie der Wissenschaften Prag; Dr. Robert T. Tomczak, Adam Mickiewicz Universität Poznań)
Veranstaltungsort
Karlsuniversität Prag / Charles University Prague
PLZ
11638
Ort
Prag
Land
Czech Republic
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
12.06.2025 - 13.06.2025
Deadline
28.02.2025
Von
Michaela Žáková, Historisches Institut, Tschechische Akademie der Wissenschaften

Devianz, Kriminalität und Disziplin im akademischen Raum des Mittelalters und der Frühen Neuzeit

Die Konferenz zielt darauf ab, einen Austausch über Devianz, Konflikte und Disziplinierungspraktiken im akademischen Kontext des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zu fördern. Sie richtet sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die studentische Lebenswelten, Konfliktkulturen und Disziplinierungsmechanismen im Rahmen ihrer Forschung zur europäischen Universitätsgeschichte untersuchen.

Deviance, criminality and discipline in the academic sphere of the Middle Ages and the Early Modern Period

The conference aims to foster an exchange on deviance, criminality, and disciplinary practices in the academic sphere of the Middle Ages and the Early Modern Period. It is intended for scholars who explore student life-worlds, conflict cultures, and mechanisms of discipline as part of their research on the history of European universities.

Devianz, Kriminalität und Disziplin im akademischen Raum des Mittelalters und der Frühen Neuzeit

Schon die Universitäten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hatten einen internationalen Zuschnitt. Sie zogen Studenten aus ganz Europa an. Studenten und Gelehrte sahen sich auf ihrem Reiseweg an die Universitäten und in den Universitätsstädten oft mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die von der Beschlagnahmung ihres Eigentums bis hin zu Gefahren von Leib und Leben reichten. Kaiser Friedrich Barbarossa hatte 1158 zur Förderung und Sicherung der akademischen Mobilität die „Authentica habita“ verfügt - ein Dokument, das Aufnahme in das Römische Recht fand und den Scholaren bestimmte Privilegien gewährte, die im Laufe der Jahrhunderte immer mehr erweitert wurden.
Der Terminus „Akademische Freiheit“ (libertas scholastica) taucht in der alteuropäischen Universitätsgeschichte in mehreren Zusammenhängen auf und hatte dabei eine doppelte Bedeutung - eine rechts- und damit verbunden auch eine sozialgeschichtliche Dimension: Ursprünglich meinte ‚Freiheit‘ im akademischen Rahmen die traditionellen Privilegien und Gewohnheitsrechte der Universität als Rechtskorporation, die in der Vormoderne noch ein Personenverband war. Mit dieser korporationsrechtlichen Eigenständigkeit der Universitäten und der an ihr wirkenden Personen - Lehrende und Lernende –, für die ein exemtes, von der städtischen Gerichtsbarkeit losgelöstes akademisches Bürgerrecht (civis academicus/Universitätsverwandte) galt, aufs Engste verbunden war die Entstehung des Gelehrten als exklusiver Stand seit dem Mittelalter auf Grundlage spezifisch akademischer Privilegien.
Mit den sozialgeschichtlichen Folgen der Reformation, vor allem durch die Auflösung der älteren akademischen Ordnung - die von den Universitätsorganen reglementierten und von Magistern gewissermaßen als Internatsschulen geleiteten klosterähnlichen Wohn-, Lern-, und Lebensgemeinschaften in den Bursen und Kollegienhäusern –, entstand schließlich auch, zunächst an protestantischen Universitäten, der ‚freie‘, also der privat außerhalb der Universität in der Stadt wohnende Student, der für sich eine Reihe von Standesprivilegien beanspruchte: die im 18. und 19. Jahrhundert in der Studentenkultur begeistert besungene sogenannte „Burschenfreiheit“ oder „Burschenherrlichkeit“. Zum Sinnbild der studentischen Freiheit und des emanzipierten Studenten schlechthin wurde etwa der Degen, der zunächst Distinktionsmerkmal adliger Standeszugehörigkeit war, aber auch gewisse Habitusformen wie Provokationen, Kleidung und Liedgut. An katholischen Universitäten, die in Mittel- und Ostmitteleuropa bis zu seiner Auflösung vom Jesuitenorden und der Fortführung monastischer Lebensformen gekennzeichnet waren, vollzog sich dieser studentische Emanzipationsprozess deutlich verzögert erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts, der dann wie im protestantischen akademischen Milieu unter dem Eindruck der Französischen Revolution in eine allgemeine Politisierungs- und Zivilisierungsbewegung der Studenten einmündete.
Der in der universitätsgeschichtlichen Forschung oft als Konflikt beschriebene Gegensatz von „Town and Gown“, also zwischen Universitätsangehörigen und Stadtbürgern, bedarf einer kritischen Überprüfung: Freilich gab es einerseits im akademischen Raum sehr wohl standesspezifische Praktiken, die von den Einwohnern der Universitätsstädte als deviant wahrgenommen und abgelehnt wurden. Dabei legen die bislang dokumentierten Beobachtungen den Schluss nahe, dass ein deviantes Verhalten oftmals nur bei einer Minderheit der Universitätsangehörigen nachzuweisen ist. Andererseits waren die städtischen Bürger auf die Universität auf ein Zusammenleben mit den Universitätsangehörigen angewiesen - nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen. Es gab somit nicht nur zwei parallel existierende Gesellschaften in Universitätsstädten, sondern eben auch ein symbiotisches Miteinander.
Mit der Konferenz werden profilierte Beiträge zu diesen in der universitäts- und bildungsgeschichtlichen Forschung schon lange diskutierten Fragehorizonten zusammengeführt. Es geht den Veranstaltern in erster Linie um die Rekonstruktion von studentischen Lebenswelten und Mentalitäten innerhalb und außerhalb von lectio und collegium, um soziale Dynamiken studentischer Praktiken in chronologischer und diachroner Perspektive herauszuarbeiten. Mögliche Themen wären etwa:
- Devianzverhalten, Konflikt- und Gewaltpraktiken von Studenten (z.B. Duelle, Tumulte, Studentenauszüge, Alkoholmissbrauch, Glückspiel, Unzucht)
- soziale und juristische Disziplinierungsmöglichkeiten (z.B. durch Universitätsgerichtsbarkeit, Disziplinarordnungen, Stipendienvergabe)
- lokale Konflikte zwischen Universitätsangehörigen und städtischer Bevölkerung, aber auch mit Militärpersonen in Kriegs- und Friedenzeiten
- Vergleiche der Konfliktkulturen adliger und nichtadliger Studenten.

Bitte reichen Sie gerne Vorschläge für Vorträge (deutsch- oder englischsprachige Exposés mit maximal 3.500 Zeichen) und eine kurze biographische Notiz (Name, institutionelle Zugehörigkeit) bis spätestens 28. Februar 2025 an Prof. Dr. Matthias Asche: maasche@uni-potsdam.de ein.
Zeitlimit für die Vorträge: 20 Minuten
Konferenzsprachen: Deutsch und Englisch
Für die eingeladenen Referentinnen und Referenten werden die Kosten für die Reise und die Unterkunft übernommen, ebenso die Mahlzeiten.

Deviance, criminality and discipline in the academic sphere of the Middle Ages and the Early Modern Period

Universities had already adopted a distinctly international orientation during the Middle Ages and the Early Modern Period. They attracted students from across Europe. Both students and scholars often faced numerous challenges on their journeys through the academic world, ranging from the confiscation of their property to threats to their personal safety. In 1158, Emperor Frederick Barbarossa decreed the ‘Authentica habita‘ to promote and secure academic mobility - a document that was incorporated into Roman law and granted scholars certain privileges, which were expanded over the centuries.
The term ‘academic freedom‘ (libertas scholastica) appears in several contexts throughout the history of early European university, carrying a dual meaning - both a legal and a socio-historical dimension: Originally, ‘freedom’ in the academic context referred to the traditional privileges and customary rights of the university as a legal corporate association, which in the pre-modern era was still a corporation of persons. This corporate legal autonomy enjoyed by universities and the individuals operating within them - both teachers and students - was closely linked to the existence of an exempt academic citizenship (civis academicus / university relatives), distinct from municipal jurisdiction. This autonomy gave rise to the emergence of the scholar as an exclusive social class from the Middle Ages onward, grounded in specific academic privileges.
With the socio-historical consequences of the Reformation, particularly through the dissolution of the older academic order - characterized by monastery-like residential, learning and living communities within halls, ‘Bursen‘ and colleges that were regulated by university authorities and managed by masters - there emerged, initially at Protestant universities, the ‘free‘ student, one who resided privately outside the university in the city and claimed a range of class privileges: This phenomenon, celebrated in student culture during the 18th and 19th centuries, became known as ‘Burschenfreiheit‘ (freedom of the fraternity) or ‘Burschenherrlichkeit‘ (fraternities glory). The sword, which initially served as a distinction of noble status, became a symbol of student freedom and the emancipated student, alongside certain behavioural forms such as provocations, attire, and song. At Catholic universities, particularly in Central and Eastern Central Europe, which were characterized by the Jesuit order and the continuation of monastic lifestyles until their dissolution, this described process of student emancipation occurred significantly later, only gaining momentum towards the end of the 18th century. This development, much like in Protestant academic circles, culminated under the influence of the French Revolution in a general movement towards the politicisation and civilising of students.
The often described conflict of 'Town and Gown' in university historical research, referring to the opposition between university members and town citizens, requires critical examination: Indeed, within the academic sphere, there were specific practices associated with social class that were perceived as deviant and rejected by the inhabitants of university towns. However, the documented observations thus far suggest that deviant behaviour can often be attributed to only a minority of university members. Conversely, the town citizens relied on the university for cohabitation with its members - not least for economic reasons. Consequently, there were not merely two parallel societies existing within university towns, but rather a symbiotic coexistence of both.
This conference is intended to gather scholarly contributions that address the long-discussed horizons of inquiry within university and educational history research. The organisers are primarily focused on reconstructing student life and mentalities both within and outside of lectio and collegium, aiming to describe the social dynamics of student practices from both chronological and diachronic perspectives. Possible topics include:
- deviant behaviour, conflict, and violence practices among students (e.g. duelling, riots, student expulsions, alcohol abuse, gambling, fornication)
- social and legal mechanisms of discipline (e.g. through university jurisdiction, disciplinary regulations, awarding of scholarships)
- local conflicts between university members and the urban population, as well as with military personnel during war and peace
- comparisons of the conflict cultures of aristocratic and non-aristocratic students

Scholars are kindly invited to submit proposals for presentations (in either German or English, with a maximum length of 3,500 characters), accompanied by a brief biographical note (including name and institutional affiliation), to Prof Dr Matthias Asche: maasche@uni-potsdam.de by 28th Februar 2025 at the latest.
Time limit for presentations: 20 minutes
Conference languages: German and English
Travel and accommodation expenses, along with meals, will be covered for invited speakers.

Kontakt

Prof Dr Matthias Asche: maasche@uni-potsdam.de

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Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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