Alltag und Umwelt des Mirakels. Hagiografische Rahmenhandlungen als profanhistorische Quellen

Alltag und Umwelt des Mirakels. Hagiografische Rahmenhandlungen als profanhistorische Quellen

Organizer
Hanna Schäfer, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg)
Host
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
ZIP
91054
Location
Erlangen
Country
Germany
Takes place
In Attendance
From - Until
30.09.2025 - 01.10.2025
Deadline
25.02.2025
By
Hanna Schäfer, Bayerische und Fränkische Landesgeschichte, Department Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Alltag und Umwelt des Mirakels. Hagiografische Rahmenhandlungen als profanhistorische Quellen

Die Hagiografie steht im Ruf, aufgrund ihres häufig legendarischen Charakters und von Topoi geprägten Erzählens nur bedingt als historische Quelle verlässlich zu sein, wobei diese Einschätzungen vor allem auf die Haupthandlung rekurrieren. Eingebettet sind Heiligenviten und Mirakelberichte jedoch nicht selten in mehr oder weniger ausführliche Schilderungen von alltäglichem Geschehen und Umweltbedingungen, die durchaus Aussagekraft über die Lebenswelt ihrer Autor:innen und Rezipient:innen besitzen. Der Workshop widmet sich diesen Rahmenhandlungen von hagiografischen Texten und fragt nach ihrem Erkenntniswert für die Erforschung der vormodernen Alltags- und Umweltgeschichte.

Everyday Life and Environment of the Miracle. Hagiographical Background Stories as Profane Historical Sources

Hagiography has the reputation of being only partially reliable as a historical source due to its often legendary character and narration characterised by topoi; but these assessments primarily refer to the main plot. However, saints' vitae and miracle narrations are often embedded in more or less detailed descriptions of everyday events and environmental conditions, which are certainly informative about the living situations of their authors and recipients. The workshop is dedicated to these background stories of hagiographical texts and examines their value for the study of pre-modern history of everyday life and environmental history.

Alltag und Umwelt des Mirakels. Hagiografische Rahmenhandlungen als profanhistorische Quellen

Die Hagiografie steht im Ruf, aufgrund ihres häufig legendarischen Charakters und von Topoi geprägten Erzählens nur bedingt als historische Quelle verlässlich zu sein, wobei diese Einschätzungen vor allem auf die Haupthandlung rekurrieren. Eingebettet sind Heiligenviten und Mirakelberichte jedoch nicht selten in mehr oder weniger ausführliche Schilderungen von alltäglichem Geschehen und Umweltbedingungen, die durchaus Aussagekraft über die Lebenswelt ihrer Autor:innen und Rezipient:innen besitzen. Der Workshop widmet sich diesen Rahmenhandlungen von hagiografischen Texten und fragt nach ihrem Erkenntniswert für die Erforschung der vormodernen Alltags- und Umweltgeschichte.

Wiederholt hat die mediävistische Forschung auf den Informationsgehalt hingewiesen, den die szenische Einbettung hagiografischer Texte, und unter diesen besonders jene der Mirakelberichte, für die oft nur schwer greifbare Alltags- und Vorstellungswelt des Mittelalters besitzt. Hervorgehoben wird dabei, dass die Autor:innen heiligmäßiges Wirken und wundersames Geschehen (im Sinne eines unerklärlichen, das Erwartbare übersteigenden Ereignisses) wohl kaum in einem Darstellungskontext platziert hätten, der auf ihr Publikum gänzlich fiktional wirkte. Vielmehr hätten sie die Protagonist:innen ihrer Texte in einer Kulisse agieren lassen, die dem zeitgenössischen Publikum plausibel, d. h. der eigenen Lebens- und Erfahrungswelt nahekommend, erschien und mithin die Glaubwürdigkeit der Berichte bekräftigte. Dies sei besonders für Heilige mit nur wenigen oder gar unikalen Kultorten sowie für hagiografische Texte mit überwiegend lokaler bis regionaler Zielgruppe anzunehmen, weil ortskundige Rezipient:innen die dort geschilderten Umstände und Gepflogenheiten einer direkten Überprüfung in der eigenen Lebensrealität hätten unterziehen können: Existierten die erwähnten Personen, Institutionen oder Orte wirklich? Stimmten die beschriebenen Lebensumstände mit den eigenen überein? Traten die wundersam behobenen Probleme, Sorgen und Gebrechen auch im eigenen Umfeld auf? Die positive Beantwortung vergleichbarer Fragen dürfte die Authentizität von Viten und Mirakeln dabei nicht nur unterstrichen, sondern auch die potenzielle persönliche Relevanz einer Hinwendung zu den entsprechenden Heiligen und ihren Verehrungsstätten unterstrichen haben.

Der Dokumentation von Wundern und ihren Zeug:innen kam sowohl in Kanonisationsverfahren als auch bei der Legitimierung und Propagierung von Kultorten tragende Bedeutung zu. Blieben in entsprechenden Auflistungen zwar viele der wundersam Geheilten anonym, sind dahingehende Informationen in manchen Texten bisweilen so detailreich, dass sich Identitäten und Lokalitäten in anderen Quellenarten, z. B. aus administrativem oder historiografischem Entstehungskontext, identifizieren lassen, wodurch gleichsam die Verankerung des Mirakels in der historischen Lebenswelt fassbar wird.

Davon ausgehend, dass zumindest Autor:innen von hagiografischen Texten mit starkem Lokalbezug und ausführlicher Rahmenhandlung durchaus Wert auf eine plausible, d. h. in der Lebens- und Erfahrungswelt ihres Publikums verankerte, Berichterstattung legten (die vielleicht nicht immer wiedergab, was wirklich war, aber doch das schilderte, was aus zeitgenössischer Sicht als möglich galt), erscheint es gewinnbringend, entsprechende Manuskripte und Drucke eingehender auf ihre Aussagekraft als alltags- und umwelthistorische Quellen hin zu überprüfen.

Für eine entsprechende Auseinandersetzung kommen für den hier fokussierten Interessensschwerpunkt des vormodernen Alltags- und Umweltgeschehens z. B. folgende Themengebiete infrage:
- Personen und soziale Situationen (z. B. reale Identitäten, Gruppenzugehörigkeiten., gesellschaftlicher Status, Geschlecht, Lebensalter, Lebensbedingungen, Gefühle)
- Handlungs- und Arbeitsweisen (z. B. in Handwerk, Bildungseinrichtungen, Landwirtschaft, Religionsausübung, Zeitvertreib)
- Wirtschaftsleben (z. B. Handelspraktiken, Preise und Wertigkeiten, Waren, Krisen)
- Medizin- und Körperwissen (z. B. Symptome, Heilmittel, Unfallrisiken)
- Ernährung (z. B. Nahrungsmittel, Zubereitung, Verfügbarkeit/Mangel, Qualitäten)
- Gegenstände, ihre Beschaffenheit und Verwendung (z. B. Werkzeuge, Haushaltsgegenstände, Bekleidung)
- Umwelt (z. B. Verfügbarkeit und Nutzung von Ressourcen, Flora und Fauna, Tierhaltung)
- Geografie, Topografie, Infrastruktur, Architektur (z. B. Aussagen über Landschaft, Stadtbild, Straßen, Gebäude)
- Mobilität (z. B. Ausgangs- und Zielorte, Routen, Wallfahrten, Fortbewegungsmittel)
- Katastrophenerfahrung und -bewältigung

Von Interesse sind sowohl Auswertungen, die sich allein auf hagiografische Texte beziehen, als auch Studien, die Verbindungen zu seriellen, diplomatischen, historiografischen Quellen etc. aufzeigen. Der Workshop ist sowohl offen gegenüber interdisziplinären Ansätzen (Archäologie, Kunstgeschichte, Sprach- und Literaturwissenschaften, etc.) als auch gegenüber Vorschlägen zu den benachbarten Epochen des Mittelalters. Vortragssprachen sind Deutsch und Englisch.

Bitte senden Sie Ihren Vorschlag für einen 20-25-minütigen Vortrag (<500 Wörter) und ein kurzes CV bis zum 25. Februar 2025 an han.schaefer@fau.de.

Die Reisekosten (DB, 2. Klasse) und eine Übernachtung der Vortragenden können übernommen werden.

Everyday Life and Environment of the Miracle. Hagiographical Background Stories as Profane Historical Sources

Hagiography has the reputation of being only partially reliable as a historical source due to its often legendary character and narration characterised by topoi; but these assessments primarily refer to the main plot. However, saints' vitae and miracle narrations are often embedded in more or less detailed descriptions of everyday events and environmental conditions, which are certainly informative about the living situations of their authors and recipients. The workshop is dedicated to these background stories of hagiographical texts and examines their value for the study of pre-modern history of everyday life and environmental history.

Research in medieval studies has repeatedly emphasised the informative value of the setting of hagiographical texts, especially that of miracles, with regard to the everyday life and thought of the Middle Ages, which are often difficult to grasp. It has been pointed out that the authors would hardly have placed sacred activity and miraculous events (in the sense of an inexplicable event that transcends the expected) in a context that seemed entirely fictional to their audience. Rather, they would have let the protagonists of their texts act in a setting that seemed plausible to the contemporary audience, i.e. close to their own living conditions and experience, and thus affirmed the credibility of their accounts. This was particularly likely for saints with only a few or even unique places of worship as well as for hagiographical texts with a predominantly local or regional audience, because recipients with local knowledge could have directly verified the circumstances and customs described in such texts in their own lives: Did the people, institutions or places mentioned really exist? Did the living conditions described correspond to their own? Did the miraculously resolved problems, worries and ailments also occur in their own environment? A positive answer to comparable questions is likely to have not only emphasised the authenticity of vitae and miracles, but also to have underlined the potential personal relevance of turning to the respective saints and their places of veneration.

The documentation of miracles and their witnesses played a key role both in the process of canonisation and in the legitimation and propagation of places of worship. While many of the miraculously healed remained anonymous in these collections, the information provided in some of these texts is sometimes so detailed that identities and locations can be identified in other types of sources, e.g. from administrative or historiographical contexts of origin, revealing the roots of the miracle in the historical reality.

Assuming that at least authors of hagiographical texts with a strong local focus and a detailed background story attached great importance to plausible reporting, i.e. anchored in the everyday lives and experiences of their audience (which perhaps did not always reflect what really happened, but nevertheless described what was considered possible from a contemporary perspective), it seems profitable to analyse corresponding manuscripts and prints more closely regarding their informative value as sources of the history of everyday life and the environment.

The following topics, for example, could be considered for such studies:
- People and social situations (e.g. real identities, group affiliations, social status, gender, age, living conditions, emotions)
- Practices and working methods (e.g. in crafts, educational institutions, agriculture, religious activities, pastimes)
- Economic life (e.g. trading practices, prices and values, goods, crises)
- Medical and physical knowledge (e.g. symptoms, remedies, accident risks)
- Nutrition (e.g. food, its preparation, availability/shortage, qualities)
- Objects, their nature and use (e.g. tools, household items, clothing)
- Environment (e.g. availability and use of resources, flora and fauna, keeping of animals)
- Geography, topography, infrastructure, architecture (e.g. statements about landscapes, cityscapes, streets, buildings)
- Mobility (e.g. starting points and destinations, routes, pilgrimages, means of transport)
- Experience of and coping with disasters

Of interest are both analyses that refer only to hagiographical texts, as well as studies that show connections to serial, diplomatic, historiographical sources, etc. The workshop is open to interdisciplinary approaches (archaeology, art history, linguistics and literary studies, etc.) and to proposals on the neighbouring epochs of the Middle Ages. Conference languages are German and English.

Please send your proposal for a 20-25-minute presentation (<500 words) and a short CV to han.schaefer@fau.de by 25 February 2025 at the latest.

Travel expenses (Deutsche Bahn, 2nd class) and one overnight stay for the speakers can be covered.

Contact (announcement)

Hanna Schäfer: han.schaefer@fau.de

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