Der Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte e.V. (AKKU) lädt hiermit herzlich zu seiner Jahrestagung 2002 am 4. und 5. Oktober in Frankfurt am Main ein.
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Das Unternehmen als gesellschaftliches Reformprojekt
Strukturen und Entwicklungen von Unternehmen der "moralischen Ökonomie"
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Eine Vielzahl von Unternehmen ist über das Ziel der Gewinnmaximierung allein keineswegs ausreichend zu beschreiben. Immer hat es auch solche Unternehmen gegeben, für die Maximierung von Umsatz, Gewinn oder Marktanteil nur positiver Nebeneffekt oder angenehme Begleiterscheinung anderer Interessen waren und erst dann in den Vordergrund traten, wenn die Existenz des Unternehmens bedroht war. Die Bandbreite solcher Interessen ist dabei überaus groß: Allgemeine Abenteuerlust mag der hauptsächliche Antrieb für die venezianischen Kaufleute des 16. Jahrhunderts gewesen sein, und politische oder gesellschaftsreformerische Zielsetzungen von Unternehmen sind seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkt zu beobachten. Bei solchen Unternehmen kann nicht immer klar entschieden werden, inwiefern das gesellschaftliche Reformprojekt in einer marktwirtschaftlichen Umwelt weiterhin das Zentrum unternehmerischen Handelns ausmachte, oder ob nach einer Zeit der „Abnutzung“ – sei es aufgrund einer unternehmensinternen Zielverschiebung oder durch die Veränderung der gesellschaftlichen Unternehmensumwelt – nicht doch wieder das Gewinnmaximierungsinteresse in den Vordergrund rückte. Sicherlich hing das Austauschverhältnis zwischen beiden vordergründig konkurrierenden Polen des Wirtschaftens jeweils davon ab, wie erfolgreich sie waren.
Ob man die auf diese Weise entstandenen Institutionen nun als gesellschaftliche Reformprojekte betrachtet, die mit den Mitteln der Ökonomie umgesetzt werden sollen, oder ob man umgekehrt im Feld der Ökonomie Institutionen zu entdecken glaubt, die erfolgreich mit gesellschaftlichen Bewußtseinslagen, mit moralischen Tugenden operieren – jedenfalls gibt es eine eigentümliche Form des Wirtschaftens, die wir als „moralische Ökonomie“ bezeichnen möchten. Die Unternehmen, die dieser spezifischen Wirtschaftsweise zuzuordnen sind, wurden bislang nicht systematisch zum Gegenstand der Unternehmensgeschichte gemacht. Vereinzelt liegen beispielsweise Studien über Genossenschaften vor, die unter verschärftem Konkurrenz- und Professionalisierungsdruck ihre Unternehmenskultur der Effizienz opferten. Und die großen Skandale der 1980er Jahre um Selbstbedienungsmentalität und Mißmanagement bei „Coop“ und „Neuer Heimat“ resultierten aus dem häufig unausgesprochenen Mißverhältnis der Perspektiven von Moral und Ökonomie. Sie brachten nicht nur die unternehmerische Tätigkeit von Gewerkschaften, sondern den gesamten Sektor der „gemeinnützigen Wirtschaft“ in Verruf. Erstaunlicherweise erwuchs aber in anderen Bereichen zeitgleich das Bedürfnis, neue Formen der Unternehmensorganisation (Selbstverwaltung, Basisdemokratie etc.) zu erproben und mit gesellschaftlichen Reformanliegen zu verbinden (Ökologie, Nachhaltigkeit etc.) – mit dem Ergebnis zahlreicher neu gegründeter „alternativer“ Unternehmen.
Vor diesem Hintergrund problematisiert die Tagung „Ethik“, „Moral“ und „Gesellschaftsreform“ als Steuerungsprobleme im Unternehmen und fragt nach dem systematischen, komplexen Wechselverhältnis von Einkommensstreben und Moral, ökonomischen Imperativen und Unternehmenskultur. Gegenstand und Bezugspunkt der Tagung sollen nicht einzelne Branchen oder unternehmerische Rechtsformen sein. Statt dessen wird eine spezifische Form des „moralischen Wirtschaftens“ untersucht, deren „Erfolg“ (im ökonomischen Sinne) einzig von der jeweiligen historischen Bewertung der zugrundegelegten „Moral“ abhängt und daher nur historisch-empirisch erklärt werden kann. Bis zu welchem Grad ist es überhaupt möglich, Unternehmenssteuerung durch moralische Appelle oder die Inszenierung eines spezifischen Bewußtseins herzustellen? Vor welche Probleme wird die Unternehmensorganisation durch (markt)wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformansprüche gestellt? Die Tagung wird diese Fragen in den Mittelpunkt stellen – freilich in nüchterner wissenschaftlicher Weise und ohne sie moralisch zu bewerten.
Die Teilnahme ist kostenlos.
Allerdings ist eine verbindliche Anmeldung bis zum 12. September 2002 erforderlich.
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