Ökonomie des Konsums
Massenkonsum ist ein notwendiges Komplement von Massenproduktion und als Inbegriff für die Verknüpfung beider gilt das Geschäftsmodell, das als erster Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA umsetzte. Die neue Produktionsform war alles andere als widerspruchs- und konfliktfrei, doch den meisten Angehörigen der unteren Schichten erschien sie als Möglichkeit des Zugangs zu einer verheißungsvollen Konsumwelt. Der Tauschhandel, der ihnen angeboten wurde, lautete: akzeptiere inhaltsleere, fremdbestimmte und im Höchstmaß kontrollierte Arbeit, dann erhältst du die Chance, Güter zu erwerben, die bisher den Wohlhabenden und Reichen vorbehalten waren. Das System der Massenproduktion von standardisierten Gütern wurde in den folgenden Jahrzehnten in den USA, nach dem Zweiten Weltkrieg auch in den meisten europäischen Ländern dominant und entfaltete seine größte Wirksamkeit dort, wo es mit wohlfahrtsstaatlichen Regelungen und einer keynesianischen Wirtschaftspolitik abgesichert war. Wie haben sich dadurch Lebensstile und Konsumnormen im letzten Jahrhundert verändert? Gibt es seither Veränderungen in der Bedeutung symbolischer Distinktion für soziale Ungleichheiten? Und inwieweit haben Ökonomen in ihren Überlegungen und Modellen jemals qualitative Dimensionen des Konsums berücksichtigt?
Wo immer es sich durchsetzte, hat das fordistische Modell seinen Zenit jedoch inzwischen längst überschritten. Gibt es angesichts stagnierender und teilweise sinkender Masseneinkommen in den entwickelten Ländern eine „Krise des Massenkonsums“ und kann zu deren Erklärung an frühere Unterkonsumtionstheorien angeknüpft werden? Wie verhält sich in dieser Situation der Einzelhandel, eine Branche, die unter diesen Entwicklungen leidet, sie mit der Politik des Drucks auf die Löhne in ihrem eigenen Bereich aber auch mitproduziert?
Oder aber werden die Bedingungen des Massenkonsums dadurch aufrechterhalten, dass Markenkleidung und Joggingschuhe, Spielzeug und Fußbälle in Weltmarktfabriken für Hungerlöhne produziert werden und können sich Urlauber einen All-inclusive-Urlaub auch deshalb noch leisten, weil die Beschäftigten im „Dritte-Welt“-Tourismus so schlecht bezahlt werden? Ein anderer Ausweg für absatzsuchende Branchen kann darin liegen, dass neue Konsumentengruppen erschlossen werden – in den entwickelten Ländern selbst etwa Kinder und Jugendliche, denen man möglichst schon im Kindergartenalter „Markenbewußtsein“ beizubringen versucht. Was bedeutet das für deren soziales Leben? Auch der Export des „american way of life“ in weniger entwickelte Länder scheint hier Chancen zu bieten. Wie haben sich beispielsweise Konsumformen und –strukturen in China geändert? Gibt es dort Anzeichen für eine fordistische Entwicklung?
Gleichzeitig werden die gesellschaftlichen Kosten dieser Produktionsform immer deutlicher sichtbar: Sie schädigt oftmals nicht nur die Umwelt, sondern die Konsumenten selbst, wie etwa bei der Versorgung mit Lebensmitteln zu sehen ist, wenn es zu gesundheitlichen Problemen oder zu Fehlernährung kommt. Sind all diese Entwicklungen alternativlos oder ist eine Re-Politisierung des Konsums möglich? Können Fair-Trade-Initiativen neue Wege zur Vereinbarkeit von sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Zielen weisen oder sind sie zwangsläufig auf ein Nischendasein reduziert? Gibt es im Bereich des Konsums Formen des Widerstandes (u.a. Konsumentenboykotte) gegen bestimmte Folgen kapitalistischer Vergesellschaftung?
Zu diesen und anderen Fragen der Ökonomie des Konsums wird um Vorschläge für Artikel gebeten – in Form eines Exposés von 1-2 Seiten bis zum 17. Oktober an schmidt@prokla.de. Die fertigen Beiträge sollen bis zum 8. Januar 2005 vorliegen.