CFP „Nationalsozialismus und Geschlecht“, Freie Universität Berlin, 15.-17. Februar 2007
Der Nationalsozialismus war deutlich geschlechtsspezifisch organisiert. Gemessen an der weit rei-chenden Bedeutung, die Geschlechterbildern bei der Propagierung und Durchsetzung der nationalsozi-alistischen Weltanschauung zukam, gibt es relativ wenige Studien zur Kategorie Geschlecht im ›Drit-ten Reich‹. Es ist das Verdienst der feministischen Forschung, die Wichtigkeit dieser Kategorie für das Funktionieren der nationalsozialistischen Herrschaft kenntlich gemacht zu haben. Die feministische Forschung entfachte in ihren Anfängen in den 1970er Jahren nicht nur eine Diskussion um die Positi-on des ›Weiblichen‹ in der gegenwärtigen Gesellschaft, sondern fragte auch nach der Rolle von Frau-en in der Geschichte und hier insbesondere während der Zeit des Nationalsozialismus. Dabei tat sich die Frauenforschung zunächst schwer mit dem nationalsozialistischen Erbe. Vor allem die Frage, ob die weibliche Bevölkerung in ihrer überwiegenden Anzahl Opfer des NS-Systems gewesen sei, oder ob sie sich maßgeblich an Aufbau und Erhalt der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beteiligt ha-be, wurde zum zentralen Thema. Hieran entzündete sich eine breit und kontrovers geführte Debatte, die bis weit in die 1990er Jahre andauerte und weitestgehend in dem Konsens endete, dass Frauen, ab-hängig von ihrer politischen Einstellung, ethnischen Zugehörigkeit und gesellschaftlichen Position zur Zeit des Nationalsozialismus, Opfer, Täterinnen, Zuschauerinnen, Mitläuferinnen oder Widerstands-kämpferinnen hatten sein können. Jedoch scheint es, als wäre der kritische Diskurs zur Rolle von Frauen im ›Dritten Reich‹ innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung mit der Feststellung, dass Frauen eine Vielfalt von Rollen im Nationalsozialismus einnahmen, eingeschlafen. So gibt es zwar auch weiterhin Untersuchungen zu Frauen im Nationalsozialismus, diese scheinen aber eher nebenein-ander zu stehen, als kritisch aufeinander Bezug zu nehmen.
Die Annahme einer Rollenvielfalt von Frauen im ›Dritten Reich‹ bedeutet keineswegs, dass die Frage nach der Kategorie Geschlecht ad acta gelegt werden kann. Vielmehr scheint erst die Absage an Natu-ralisierungen und Essentialisierungen von ›Weiblichkeit‹ eine differenzierte Analyse der vielfältigen Verbindungen von Sexualität, ›Rasse‹ und Macht zu ermöglichen. Eine wichtige Aufgabe der Frauen- und Geschlechterforschung zum Nationalsozialismus ist es, die kritische Diskussion wieder aufzu-nehmen, die bestehenden Forschungsprojekte und ihre Ergebnisse miteinander zu verknüpfen und the-oretische, analytische und methodische Hintergründe zu diskutieren, da nur so unzulässigen Vereinfa-chungen, Essentialismen und ›Re-Objektivierungen‹ entgegen getreten werden kann.
Eine Möglichkeit zu einer solchen Wiederaufnahme der Diskussion soll die interdisziplinäre Tagung Nationalsozialismus und Geschlecht bieten. Dabei soll die Frage nach der Bedeutung der Kategorie Geschlecht im NS-System im Zentrum der Analysen stehen. Willkommen sind Beiträge aus der Ge-schichte, Kunstgeschichte, Soziologie, der Psychologie, den Kulturwissenschaften oder ähnlichen Fachrichtungen. Die Vorträge können sich mit Machtstrukturen im Nationalsozialismus zwischen den Geschlechtern, mit der Bedeutung von Geschlecht innerhalb der nationalsozialistischen Weltanschau-ung, Kunst und Kultur, mit Symbol- und Körperpolitiken, mit Sexualität, Sexualbildern und sexuali-sierter Gewalt im Nationalsozialismus sowie mit Geschlechterbildern in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach 1945 beschäftigen. Es sind sowohl Ergebnisse der Biographieforschung als auch Untersuchungen zu Institutionen und Organisationen möglich. Abstracts (1 Seite) sowie kurze Angaben über den wissenschaftlichen Werdegang richten Sie bitte bis zum 30. April 2006 an folgende e-mail Adresse: NS-Gender@gmx.de.