Call for Papers
PROKLA 146 (4/2006)
Zur Ökonomie der Technik
In der sozialwissenschaftlichen Forschung gilt der Technikdeterminismus seit längerem als überwunden. Technische Entwicklung folgt weder einer Eigenlogik, noch ist sie ein beliebig formbares Ergebnis sozialer Prozesse. Technologien entstehen und verbreiten sich in einem dynamischen Prozess, in dem die Spezifik der jeweiligen Technik mit sozialen, politischen und ökonomischen Faktoren zusammen wirken. Die historische Entstehung (Genese), Verbreitung (Diffusion) und Implementierung (Etablierung) neuer Technologien sind als soziale Prozesse in spezifischen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen (Innovationssystemen) rekonstruiert worden: Technik treibt und wird getrieben.
Entgegen der Abkehr vom Technikdeterminismus in den Sozialwissenschaften ist dieser andernorts nach wie vor bestimmend: In einer auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteten Politik wie auch in den Szenarien von einflussreichen Technikwissenschaftlern tritt er weiterhin in unterschiedlichen Formen auf. Eine davon ist die Vorstellung der Zwangsläufigkeit, wonach alle Entwicklung einem unausweichlichen technischen und gleichzeitig ökonomischen Imperativ folge, dem sich Politik und Gesellschaft zu unterwerfen haben. Dabei werden gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse weitgehend ausgeblendet. In einer anderen Variante wird demgegenüber auf die Gestaltbarkeit von Technik zur Schaffung einer besseren Zukunft gesetzt. Im Rahmen des ökonomistischen und technizistischen Paradigma von Beschleunigung und (betriebswirtschaftlicher) Optimierung der Gesellschaft werden gleichzeitig Begriffe und Konzepte integriert, die aus der kritischen sozialwissenschaftlichen Forschung, aus technikkritischen Ansätzen und der Nachhaltigkeitsforschung kommen. Neue Techniken sollen den Königsweg zur ökologischen Nachhaltigkeit ebnen (den Ressourceneinsatz optimieren, erneuerbare Energiequellen erschließen) oder stärker auf die potentiellen Kunden zugeschnitten sein (nutzerorientierte Technikentwicklung). Dass dies alles nach wie vor unter dem ökonomischen Primat der Verwertung von Kapital stattfindet, wird allenfalls am Rande reflektiert und Kritikern ein Akzeptanzproblem bescheinigt, dem eventuell mit Verfahren der Partizipation beizukommen wäre.
Neue Technologien transformieren in Wechselwirkung mit den jeweiligen Produktionsverhältnissen die Gesellschaft (z.B. IuK-Technologien) und die gesellschaftlichen Naturverhältnisse (Gentechnik, Nanotechnologie, Neurotechnologien). Die Verfügung über spezifische Technologien bestimmt internationale politische Machtverhältnisse (z.B. Atomtechnik). Die Märkte für alte und neue Technologien sind stets politisch konfiguriert und so ist die staatlich forcierte Entwicklung von neuen und die Weiterentwicklung von bereits durchgesetzten Technologien darauf ausgerichtet, Märkte zu erschließen und zu erweitern. Neue Technologien können innovativ im Sinne einer langfristigen gesellschaftlichen Entwicklung sein und Chancen eröffnen, bisherige ökonomische und politische Strukturen aufzubrechen (Umwelttechnologien, Renewables), sie können aber auch zu deren Aufrechterhaltung dienen und insofern Zukunftsbarrieren verfestigen (z.B. Innovationen im Individualverkehr und der Atomtechnik) – und nicht immer können spezifische Techniken der einen oder anderen Entwicklungsoption dauerhaft zugeordnet werden (umweltfreundliche Technik etwa wird nicht zwangsläufig unter hohen Sozialstandards produziert und verbreitet).
Während soziale, kulturelle und institutionelle Faktoren der Technikentwicklung sowohl auf der Mikroebene, als auch auf der Makroebene umfassend in den Blick genommen werden, ist die Ökonomie der Technikentwicklung bisher unterbelichtet. Der Fokus des Heftes soll sowohl auf die Wechselwirkungen zwischen technischer und ökonomischer Entwicklung in Vergangenheit und Gegenwart wie auf die damit verbundenen Legitimations-Diskurse, in denen sich alte und neue Technikgläubigkeit manifestiert, gerichtet sein.
Einzelne Themen könnten sein:
- eine kritische Diskussion der Konzeptualisierung von Technik in verschiedenen gesellschaftstheoretischen Entwürfen
- Verschiebungen und Reproduktion von politischen und ökonomischen Herrschaftsverhältnissen durch Technik (z.B. Datenschutz und Datensicherheit im Kontext von Mobil- und Satellitenkommunikation, Atomenergie/Atomstaat)
- Wechselwirkung von technischem, ökonomischem und institutionellem Wandel (z.B. Globalisierung der Finanzmärkte durch IuK-Technologien, Beschleunigung und Ausweitung von elektronischem Handel, Vereinheitlichung und Ökonomisierung von sozial heterogenen Institutionen durch Standardsoftware wie z.B. die Einführung von SAP in Krankenhäusern und Universitäten)
- aktueller Technikdeterminismus in Politik und Öffentlichkeit
- Analyse von Technikdiskursen (z.B. ‚Technikgläubigkeit’, ‚Technikfeindlichkeit’) und die jeweils damit verbundenen Vorstellungen sowohl von gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklungsdynamik als auch von Natur
- Geschichte und Zukunft von Technology Assessment (TA/ITA)
- Entstehung und Ausweitung hybrider und dezentraler soziotechnischer Netzwerke (Verkehrsleitsysteme, Flugverkehr, Intensivmedizin) und ihre Koppelung an Märkte und staatliche Institutionen
- Wechselbeziehungen zwischen der Genese und Diffusion neuer Technologien und neuer Herrschafts- und Regierungsformen (Governance-Strukturen, Gouvernementalität, veränderte Bedingungen staatlicher Herrschaft und Überwachung)
- Integration von technikkritischen Ansätzen in die politische und ökonomische Entwicklung neuer Technologien (Nutzerintegration, Kunde als unbezahlter Mitarbeiter)
- Alternative Ökonomie – alternative Technologien
Senden Sie bitte ein 1-2seitiges Abstract oder ein Manuskript an doschmid@fhw-berlin.de (Dorothea Schmidt, FHW Berlin) und psr@zedat.fu-berlin.de (Petra Schaper-Rinkel, FU-Berlin)
Einsendeschluss für Artikelvorschläge/Abstracts: 30. März 2006.
Deadline für die Abgabe der Artikel: 15. August 2006.